„Mädels", eine männliche Stimme, die ich erst nicht einzuordnen weiß, weckt mich. Grummelnd blinzele ich in das Sonnenlicht, das in das Wohnzimmer fällt. Mir tut alles weh. Mein Nacken ist ganz verspannt und meine Schulterblätter waren in der Nacht schmerzhaft zusammengepresst. Ächzend setze ich mich auf. Ich lag bis eben auf Lunas Schulter, die zusammengekuschelt auf dem Sofa mit mir liegt. Zwischen uns stapeln sich leere Chipstüten und etliche Bücher, die ich gestern den ganzen Tag gelesen habe. Um ehrlich zu sein schäme ich mich, die Bücher so missbraucht zu haben, indem ich die Geschichten nicht mit dem Herzen, sondern nur mit dem Kopf gelesen habe. Erst jetzt registriere ich wieder Maik, der sanft an Luna rüttelt und ihr die blonden Strähnen aus dem Gesicht streicht. „Lu, du musst auch aufstehen", meine ich zu hören, aber er flüstert. Automatisch muss ich lächeln. Wenn ich bei mir bei einem Mann keine Sorgen machen muss, dass er eine Frau verletzt, dann ist das Maik. Und besonders bei Luna. Diese grummelt und richtet sich neben mir auf. Sie trägt auch noch das bunte Shirt von gestern Abend. Nur, dass sie heute arbeitet. Oh Gott. „Scheiße, tut mir leid", sage ich sofort, als Luna müde in meine Richtung lächelt. „Hm was denn?", sie schaut verwirrt und schaut zwischen Maik und mir hin und her, bis ihr wieder einzufallen scheint, dass ich mich an ihrer Schulter ausgeweint habe, bis ich nicht mehr konnte. Und dass sie mich so lange gehalten hat, bis ich still war. Dann hat sie geredet wie ein Wasserfall, vielleicht um mich abzulenken; vielleicht aber auch, um mir alles aus ihrem Leben zu erzählen, was in den letzten elf Jahren passiert ist und was sie mir nicht am Telefon erzählt hat. Zum Beispiel hat sie mir in aller Einzelheit berichtet, wie ihr erstes Mal war. Natürlich war es mit Maik, die beiden hatten sogar ihre ersten Küsse miteinander, was irgendwie noch süßer ist. Und es tat gar nicht weh zu hören, wie die beiden ihr Leben zusammen weitergelebt haben, als ich weggezogen bin. Es hat mich sogar glücklich gestimmt, zu hören, dass Maik das alles für Luna abfangen wollte, dass sie ihre beste Freundin verloren hat. Die Vorstellung, wie er versucht hat, Bücher mit ihr zu lesen, die wir sonst immer zusammen gelesen haben, ist unfassbar süß. Es klingt sowieso so, als hätten die beiden die schönste Beziehung, die es geben kann. Aber das ist toll so, ich freue mich für Luna, auch wenn ich bei meiner Ankunft nicht damit gerechnet hatte. „Nein, es war toll", Luna schüttelt müde den Kopf über mich und wischt sich mit der Hand über die Augen. „Das freut mich, Leute, aber du musst dir überlegen, ob du heute noch zur Arbeit fährst. Die Alternative wäre, dass ich euch Crossaints aufgebacken habe. Und Tim hat euch Kaffee gemacht", Maik streicht kurz über Lunas Oberschenkel und lächelt mich ebenfalls aufmunternd an. Luna ist die Erste, die losquietscht. „Du bist der Beste!", sie lacht und springt Maik in die Arme, wobei sie schmerzhaft das Gesicht verzieht, als hätte sie auch Rückenschmerzen. „Danke, das ist wirklich lieb", grinse ich auch rüber zu Maik. Er schmunzelt mich an und drückt seiner Freundin einen Kuss auf die Stirn. „Nein, das ist selbstverständlich. So, aber jetzt muss ich los, damit wenigstens irgendjemand hier arbeitet", Maik setzt Luna wieder ab, die schmollt. Sofort beugt Maik sich neben das Sofa, wo er ein Tablett mit zwei Tassen und einem Korb voller Hörnchen mit extra viel Schokolade hervorholt. „Ich frage mich echt, womit wir das verdient haben", seufze ich und schnappe ihm das Holztablett weg, Maik lacht. „Tja, ihr seid nun mal meine besten Freunde. Also eigentlich ihr drei", sagt er beiläufig, während er sich von Luna verabschiedet. Ich kann ihn nur anstarren, dass auch Maik gerade gesagt hat, dass auch ich seine beste Freundin wäre. Aber er bemerkt es gar nicht, sondern küsst Luna, die den Kuss leidenschaftlich erwidert, aber ihn dann ziehen lässt. Als Maik das Wohnzimmer verlässt, hebt er seine Hand wie zum Gruß, als ich auch das Freundschaftsband bei ihm entdecke: Er hat bereits den Autoschlüssel in der Hand, an dem die vier verschlungenen Farben neben dem Haustürschlüssel baumeln. Unmerklich beiße ich die Zähne zusammen, bis Luna mich anrempelt. „Na dann, ich nehme mir frei und wir machen den ganzen Tag lang blau! Wir könnten ein Sofa-Frühstück machen, Filme gucken und weiter über alte Zeiten sprechen!", sie schaut ganz begeistert, ein wenig erinnern mich ihre Sommersprossen und die Grübchen an ein kleines Kind, das um einen Lolli bettelt. „Das klingt cool, wirklich. Aber du musst dir nicht zwingend deswegen freinehmen", sage ich, als Luna gerade einen Schluck von ihrem Kaffee aus einer Tasse nimmt, auf der lauter lateinische Sprüche stehen. Sie verschluckt sich an ihrem Getränk und lacht dann. „Machst du Witze?! Ich nehme mir für dich total gerne frei. Außerdem ist das nur einmal!", sie verdreht die Augen über mich, als hätte ich eine doofe Frage gestellt. Ich grinse. „Okay." „Okay", wiederholt sie strahlend und hält mir den Korb mit dem Gebäck hin, ich greife herzhaft hinein und kuschele mich zurecht. Fast habe ich wieder vergessen, was gestern Abend alles aus mir herausgebrochen ist. Vielleicht habe ich das Ganze zu einseitig gesehen. Ja, die Situation ist sowas von bescheuert und bemitleidenswert, aber ich habe übersehen, dass es Leute gibt, die mir vielleicht doch helfen. Luna kann nun einmal zuhören. Und trösten. Und mit mir schweigen. Ich habe sie wirklich vermisst. Und vor allem gebraucht, fällt mir auf.
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Hey
Storie d'amoreTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...