Kapitel achtunddreißig

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„Weißt du, was ich mich frage? Woher du wusstest, dass das so abgelegen ist", kommentiere ich kühl, als Tim mich um einen Steinbrunnen an dem Einstieg zum Außenbereich führt. Ganz am Ende des gesamten Schwimmbads liegt ein abgesonderter Whirlpool, der durch Palmen sogar noch abgegrenzt ist. Als die beiden Frauen darinnen uns bemerken, hören sie auf zu ratschen und schauen sich an. Zwar weiß ich nicht, was genau die beiden zu beflüstern hatten, aber es schien so intim, dass die beiden lächelnd den Pool verlassen, in ihre Badeschlappen schlüpfen und sich einen anderen privaten Ort suchen um zu reden. „Tja, vielleicht war ich ja schon auf der Suche, nachdem ihr über eine Stunde bei den Rutschen wart", Tim grinst mich frech an und streift seine Schuhe ab. „Und warum genau wolltest du herkommen?", hake ich skeptisch nach, Tim antwortet mir nicht, sondern steigt wortlos in den Pool. Sofort brodelt das Wasser wieder auf, kleine Sprudelhaufen entstehen und gluckern laut, die weiße Gischt verdeckt seinen gesamten Oberkörper, als er sich setzt. „Oh", mache ich deshalb auch nur und weiß nicht wirklich, was ich denken soll. Zwar finde ich es beeindruckend, dass Tim so einen Aufriss macht und alleine das Schwimmbad erkundet hat, aber genauso schade finde ich es auch, dass er sich scheinbar nicht traut, sich ununterbrochen so zeigen. Ich meine, er ist immer noch er. Im Gegenteil, sein Brustkorb zeigt noch mehr, wer er ist. So ein starker, aufopferungsvoller Mann mit dermaßen viel Liebe, die er in sich trägt, sodass es mir fast weh tut, wenn ich sie ihm nicht immer zurückgeben kann. „Em?", Tim holt mich sanft aus meinen Gedanken. Ich blinzele und stelle meine Schuhe schnell unordentlich neben dem erhöhten Pool ab, dann steige ich ebenfalls über die Leiter hinein. Als erstes habe ich das Gefühl, hier nicht wirklich reinzupassen. Doch kaum spüre ich das kochend heiße Wasser an meinen Oberschenkeln, kann ich verstehen, warum man hierherkommt. Vorsichtig, weil ich noch nie in so etwas war, steige ich über die kleinen Düsen an den Füßen zu Tim und setze mich neben ihn. Ein bisschen von dem Wasser spritzt mir ins Gesicht, aber hinterlässt eine angenehme Wärme, sodass ich mich ein bisschen entspannen kann. Aber auch nur etwas. Im Grunde kreisen meine Gedanken um meinen Freund und sind noch immer dort, was ich in den Duschen mit Luna besprochen habe. „Dein erstes Mal?", fragt Tim heiser und schaut sofort beschämt, als ihm auffällt, was das für eine Anspielung war. Ich verkrampfe mich auch. „Ja. Deines?", erwidere ich erstickt, Tim nickt: „Auch." Wir schauen uns an. Intensiv. Aus der Unsicherheit beider wird etwas, das ich nicht einordnen kann. Eine Wärme breitet sich in mir aus, zuerst in der Brust, dann kriecht sie durch meinen Bauch, in mein Unterleib und kribbelt. Ist es das, wovon Luna gesprochen hat? Und plötzlich löst es etwas in mir aus, meine Beine erheben sich von selbst, ich rutsche an Tim heran, seine Hände gleiten auf meine Hüfte, sodass er mich langsam auf seinen Schoß zieht. Mit angehaltenem Atem warten wir beide ab, was der andere tut. Vorsichtig rutsche ich näher auf seinen Beinen nach vorne, sodass ich deutlich den Stoff seiner Badehose unter meinen Unterschenkel spüre; durch das wirbelnde Wasser wird er immer wieder gegen mich gedrängt. Mit leicht geöffneten Lippen beobachtet Tim, wie ich meine Hände links und rechts neben seinen Oberarmen ablege, was für ihn das Signal ist, meine Hüfte fester zu umfassen. Atemlos starren wir uns wieder an, seine Nase bebt etwas, seine Lippen wirken auf einmal richtig trocken, sodass ich erst jetzt merke, dass es mir ganz genauso geht. „Irgendwie ist mir das zu kitschig", flüstere ich leise, Tim lächelt. „Und jetzt?", erwidert er rau, seine Augen scheinen immer dichter zueinander zu wandern und dabei immer tiefer und unergründlicher zu werden. „Habe ich hoffentlich den Moment kaputtgemacht", wispere ich, meine trocknen Lippen ziehen sich zu einem Grinsen. „Mehr oder weniger", antwortet Tim leise. Und trotzdem ist da noch diese Anspannung zwischen uns, die Art, wie wir uns gegenseitig anblicken. „Tim ... ich muss dir etwas sagen", ich hole tief Luft, wie ich es heute sonst nur kurz vor dem Eintauchen ins Wasser gemacht habe. „Ja?", Tims Fingernägel drücken sich in meine Haut. Komischerweise will ich, dass sie noch tiefere Spuren dort hinterlassen. „Ich ... ich bin verdammt stolz auf dich. Um ehrlich zu sein habe ich bis zur letzten Sekunde geglaubt, du würdest dich nicht trauen. Vielleicht habe ich es auch ein Stück weit gehofft, weil das heißen würde, dass du mindestens genauso stark bist wie ich. Aber inzwischen komme ich damit klar, dass es so ist. Im Gegenteil, ich bin so unfassbar stolz auf dich und auf uns ...", wispere ich, das Wasser verschluckt fast meine Worte, indem so so laut brodelt, aber dennoch hört Tim sie. Sein Blick wird augenblicklich dunkler. „Und ... ich war eifersüchtig, als die Frau dich eben so angebaggert hat. Und es gefällt mir auch nicht, dass du mit so vielen Frauen geschlafen hast, dass sie wissen wie du dich anfühlst und ich hasse es, wenn wir nur irgendwo in der Stadt sind und eine Frau fast sabbert, weil sie dich sieht. Es kotzt mich richtig an, dass du so heiß bist. Und dass du trotzdem so bescheiden bist und sogar Angst hast, dich zu zeigen", bringe ich leise hervor, Tim keucht leise auf und schaut noch immer so intensiv. Als ich langsam meine rechte Hand von dem Beckenrand über seinen Arm gleiten lasse, hinterlasse ich eine Gänsehaut auf ihm. Dort, wo ich das Tattoo erahne, streiche ich noch sanfter über seinen Brustkorb, unter mir zittert Tim leicht, als ich die Tinte an meinen Fingern spüre. „Em ... soll das ... eine Liebeserklärung sein?", fragt Tim atemlos, seine Finger krallen sich in meine Hüfte, bis sie den Knochen spüren. „Hm vielleicht. Ich wollte es auf keinen Fall romantisch gestalten und dachte mir 'hey, was gibt es Unromantischeres als einen öffentlichen Whirlpool?'", grinse ich ihn frech, aber unsicher an. Tim strahlt. „Ich liebe dich, Em, so sehr, dass es weh tut", flüstert er dann heiser, seine Wimpern zittern, als er seine Augen schließt, um sich vorzubeugen und mich zu küssen. Er gibt sich sogar damit zufrieden, dass ich es immer noch nicht gesagt habe. Weil er gerade gespürt hat, dass ich es fühle. Aber ich gebe mich nicht damit zufrieden. Er hat heute seine größte Angst überwunden; dann will ich das auch. „Tim ... ich ... ich ... liebe dich", wage ich es wieder nach elf Jahren, diese Worte einem Menschen gegenüber zu benutzen. Umso härter drückt Tim seine Lippen auf meine, ich gebe genauso nach und erwidere den Kuss mindestens genauso forschend. Leidenschaftlich lässt Tim seine Hände zu meinem Rücken gleiten, sie berühren jeden Zentimeter meiner Haut, bis er den Knoten meines Bikinis erreicht hat und ihn fest umfasst. Ich tue nichts dagegen, weil ich es auch nicht will. Wären wir nicht ... oh verdammt. Keuchend löse ich mich von ihm, streife noch einmal seine Zunge mit meiner und lasse die Gefühlsexplosion in mir los, ehe ich zurückweiche. „Hey, Herr Kriminaloberkomissar. Fällt das nicht unter das Erregen öffentlichen Ärgernisses?", raune ich und öffne wieder die Augen. Tim grinst mich breit an. Ich grinse frech zurück. „Verdammt, die zukünftige Chefredakteurin hat Recht. Gute Recherche", neckt er mich ebenso, ich lächele. Aber die Stimmung bleibt so geladen zwischen uns. Noch immer habe ich das Gefühl, dass wenn ich mich nur einen Millimeter meinem Freund nähere, alles zwischen uns explodiert. Doch das tut es auch so schon, als wir hören, dass sich jemand nähert. „Verdammt. Lass uns gehen", ich will aufstehen und stütze mich auf Tims Schultern ab, aber mein Freund lässt seine Hände blitzschnell meinen nassen Rücken hinunterrutschen und umschlingt wieder meine Hüfte. „Hm?", ich blinzele und mustere ihn, seine Wangen färben sich rot. Wie damals. „Das geht leider nicht", Tim räuspert sich, aber seine Stimme bleibt so angeraut und heiser. „Ach ja? Und warum nicht?", grinse ich frech, auch wenn ich die Antwort erahnen kann. Doch ich will es von ihm hören, will, dass das Feuerwerk in mir weiterhin angeheizt wird. Tim tut mir den Gefallen, nur wesentlich intensiver als ich vermutet hatte. Schluckend verstärkt er den Griff um meinen Bikinihosensaum und zieht mich mit einem Ruck so nah an sich, dass meine Brust an seiner ruht; deutlich spüre ich Tim unter Wasser. „Schlimm?", raunt er leise, aber ich höre die Unsicherheit in seiner Stimme. „Was? Ich bin mir nicht ganz sicher, was du meinst", necke ich ihn, Tim blickt mir fest in die Augen. „Em ... du bringst mich gerade um den Verstand", nuschelt er zwischen uns, ich nicke. „Merke ich", grinsend lasse ich extra den Blick nach unten wandern, auch wenn ich bei dem sprudelnden Wasser nichts erkennen kann – brauche ich ja auch nicht, ich habe ihn noch bestens in Erinnerung, wie ich ihm vor Wochen beim Duschen geholfen habe. „Du machst es gerade immer schlimmer mit deinem Blick, Em", Tim fleht schon fast, was mich noch mehr grinsen lässt. „Was hat es überhaupt ausgelöst?", wage ich es noch mehr, meinen Freund zu provozieren, Tim knackt mit dem Kiefer, grinst aber etwas, schon fast frech. Die Tatsache, dass ich nicht wegrutsche, nicht vor ihm zurückweiche, anders, als ich es ihm vor Wochen angekündigt habe, scheint ihm mehr Vertrauen zu geben; in sich und in uns. „Alles? Bei dir fühle ich mich wieder wie sechzehn. Und als du dann noch die drei Worte gesagt hast ...", Tim antwortet sogar ehrlich, wobei er den Blick nicht senkt. Selbstbewusst schaut er mir in die Augen, die Furcht, dass ich abhauen könnte, ist verschwunden. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide noch immer spüren, wie das Blut des anderen jeweils rauscht, wie nah wir uns sind, wie wenig Stoff zwischen uns ist und wie unsere Herzen aneinander wummern. „Oh, schon besetzt", regt sich jemand auf. Jemand, den ich längst ausgeblendet habe. Zerknirscht drehe ich meinen Kopf zu einem Paar, das allwissend grinst, ehe es wieder den Rückzug antritt. Zum Glück. Nicht einmal eine Sekunde lang blicke ich noch dem verliebten Paar hinterher, das in die Toiletten verschwindet, dann drehe ich meinen Kopf wieder zu Tim. „Wenn du bereit bist, sollten wir zu Luna und Maik schauen", murmele ich und versuche, klar zu denken. Tim nickt und schaut mich noch eine Weile an. „Was willst du dann noch machen?", fragt er dann, während er sich langsam wieder entspannt. „Hm, vielleicht nochmal rutschen. Oder in die Wellen", ich gehe auf den nicht allzu aufheizenden Small-Talk ein, weil wir beide wissen, dass es besser für Tim ist. Ganz abgesehen davon ist es jetzt wirklich wichtig, über den restlichen Tagesablauf zu sprechen. „Ich komme mit", Tim klingt entschlossen. Ungläubig schaue ich ihn, suche nach einem Zucken in seinem Blick, aber er schaut mich ernst an. „Sicher?", hake ich auch nach, mein Freund nickt und löst langsam die Hände von mir. „Ja, ich kriege das hin", scheinbar hat das eben ihm einen verdammt großen Stoß gegeben. „Na dann", schmunzelnd erhebe ich mich von seinem Schoß und halte ihm die Hand zum Hochziehen hin. Tim grinst und lässt sich symbolisch von mir auf die Beine ziehen. Als wir aus dem Pool steigen, kann ich es mir nicht verkneifen, einen heimlichen Blick auf seinen Schritt zu werfen, doch genauso schnell reiße ich mich wieder zusammen und klettere aus dem Becken, um unsere besten Freunde am Kiosk abzuholen.

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