Mein Herz schlägt wild, als wir den Mc Donald's betreten. Mit Tim hineinzugehen fühlt sich so komisch an, so fremd. Und doch irgendwie vertraut, als wären wir wieder sechzehn Jahre alt. Wir werden erst gar nicht bemerkt von der einzigen Kassiererin, die gähnt und sich auf der Theke abstützt; sonst ist hier niemand. Langsam frage ich mich, ob die überhaupt noch etwas zu essen oder trinken da haben. Sofort knurrt mein Magen vielleicht etwas zu laut, sodass die Frau zu uns herüberschaut. Tim neben mir macht einen Schritt auf sie zu und wirft noch einen kurzen Blick auf die Leuchttafeln, bevor er bestellt. Er braucht ewig, bis er einen Burger gefunden hat. Schnell beiße ich mir auf die Lippen, als er zu mir schaut. „Und was trinkt ihr dazu?", fragt die Frau, die schon in dem Alter unserer Mütter ist. Ein umso größeres Drücken im Bauch löst es in mir aus, als Tim antwortet. „Zwei heiße weiße Schokoladen bitte", er klingt so überzeugt und doch so zittrig in der Stimme. Ein wenig verdutzt schaut die Frau mich an, aber ich nicke und bestelle mir noch schnell einen Chickenburger. „Na dann, ihr Süßen, wer zahlt?", fragt sie und lässt die Kasse aufspringen, Tim und ich schauen uns kurz an. Ich mag es nicht, dass ich ihn automatisch angeschaut habe. Also räuspere ich mich: „Getrennt." Tim wendet den Blick von mir ab, als ich ausgerechnet dieses Wort benutze, was sich schwer anfühlt. Es hängt noch zwischen uns, als wir beide bezahlt haben und nebeneinander an der Sitzbank lehnen, bis die Dame zwei Tabletts mit den Tassen geholt hat. Schweigend nimmt sich jeder seine Bestellung, halbherzig lächele ich die Kassiererin an, bevor wir uns einen Platz suchen. Im Einvernehmen gehen wir in die hinterste Ecke an den Bartisch. Vorsichtig nehme ich gegenüber von Tim Platz, wobei ich darauf achte, dass sich unsere Beine unter dem Tisch nicht berühren. „Ich war schon ewig nicht mehr in so etwas", murmelt Tim und schaut sich um, als wäre das hier eher ein Museum, dessen Kunstwerke man alle mitnehmen kann. „Echt? Ich hätte eigentlich gedacht ... ja", etwas überfordert spiele ich an dem Reißverschluss meiner Lederjacke herum. „Was? Dass ich hier Stammgast bin? Von wegen keine Eltern, keine Freundin, Alkoholiker und Vollzeitjob?", Tim schaut ein wenig belustigt, jedenfalls funkeln seine Augen wieder auf, was mich lächeln lässt. „Vielleicht?" „Da liegst du aber falsch. Ich kann schließlich kochen und ich glaube, wenn man hier alleine hergeht, ist die Stimmung nur halb so gut", Tim schaut mich an, fast so intensiv wie gestern und an all den anderen Tagen. „Das stimmt gar nicht. Wenn man alleine herkommt, kann die Stimmung auch perfekt sein. Ich habe das oft gemacht, wenn mein Geld es zugelassen hat. Dann habe ich mich in eine dieser Ecken mit einem Kakao gesetzt und einfach nur am Laptop getippt, stundenlang", bei dem Gedanken ziehen sich meine Mundwinkel noch höher. Wenn ich über etwas spreche, das ich liebe, wie das Schreiben, muss ich meistens strahlen. „Woran schreibst du?", mir kommt es so vor, als läge ziemlich viel ehrliches Interesse in Tims Frage. Sofort tauchen Bilder von meinen Protagonisten vor meinem inneren Auge auf und lenken mich ab, sodass ich mich konzentrieren muss, bei Tim zu bleiben und nicht innerlich meine Story weiterzuplanen. „Ach, nur eine Art Romanze. Es ist natürlich nicht nur eine Romanze, auf keinen Fall, es geht auch viel um Selbstfindung, Konfrontation mit Ängsten und der Vergangenheit und Freundschaft, alles. Man kann das nicht pauschalisieren. Ein wenig wie ein New-Adult-Buch, das aber auch schon zum Genre des klassischen Romans zählen könnte", es ist mir nicht direkt unangenehm über mein Manuskript zu sprechen, aber es fühlt sich komisch an, wenn die andere Person nicht auch vertraut mit meinen Charakteren ist. Außerdem ist es Tim, der da vor mir sitzt. „Wie ironisch", kommentiert Tim und grinst ein wenig, fast frech, „dass ausgerechnet du eine Lovestory schreibst." „Haha. So etwas ... gehört halt dazu, sonst würde das Leben nicht funktionieren", vehement schüttele ich den Kopf. Tim lacht leise, als ich mich so gegen seine Theorie sträube. Gerade zu einem guten Zeitpunkt bringt die Mitarbeiterin von vorhin unsere Burger-Tabletts und stellt sie uns mit einem warmen Lächeln hin, bevor sie sich dem Mann zuwendet, der gerade reinkommt. „Du glaubst also doch an die Liebe?", Tim lässt seine Blicke auf mir, anstatt sein Tablett zu sich zu ziehen. Mir wird es zu heiß unter seinen Blicken, umso schneller reiße ich mein Tablett an mich und konzentriere mich darauf, die Papierschachtel meines Burgers aufzumachen. „Jein. Ich habe mal daran geglaubt. Und ich glaube schon daran, wie bei Luna und Maik", nuschele ich Richtung Tisch. Irgendwie kann ich es gerade nicht, aufgucken und Tim anschauen. „Ja, die beiden haben etwas Besonderes", Tim klingt etwas heiser, sodass ich doch gezwungen bin, zu ihm zu schielen. Er hat nachdenklich die Hand an die Stirn gestützt, als würde ihm etwas Schmerzen bereiten. „Das hast du alles miterlebt?", ich räuspere mich und lächele gezwungen, was sich schon wieder falsch anfühlt. Seit dem Moment heute auf dem Friedhof fühlt sich alles komisch an. Einerseits stehen Tim und ich uns so nahe, besonders, weil er mich gebraucht hat. Ich kann nicht so ganz verdrängen, dass er mich Em genannt hat. Und wie er sich an mir festgehalten hat. Als wäre ich sein Rettungsanker. Mir schnürt es die Kehle zu; ich bin unfähig, etwas von meinem Burger abzubeißen. „Ja, jede freie Minute war Maik für mich da. Ich hatte ein wenig das Gefühl, ich würde ihn belasten. Aber wir sind sofort nach dem Abitur zusammengezogen, also zu zweit. Er war wirklich der beste Freund, den ich haben konnte", Tim schluckt, als würde er sich an die Zeit zurückerinnern. Er hat sein Essen auch noch nicht anrühren können. „Er war für dich da? Als deine Eltern ... ja?", ich versuche, so behutsam wie möglich zu klingen. „Ja. Seitdem ist er sehr für mich wie ein Bruder. Ihr, oder Luna und Maik sind die letzte Familie, die ich noch habe", der Schmerz in Tims Stimme löst mehr in mir aus, als er sollte. Eigentlich will ich nach seiner Hand greifen, aber genauso sehr sträube ich mich, das zu tun. Letztendlich entscheide ich mich dafür, mein Knie sanft gegen seines zu legen. Tim schaut mich an, als sich unsere Beine berühren. In seinem tiefen Blick kann ich lesen, dass er weiß, was ich sagen will. „Deswegen hast du getrunken? Wegen deiner Eltern?", flüstere ich. „Ja und nein. Damals, als das mit uns beiden auseinander ging, habe ich mir vorgenommen, nie wieder zu trinken. Manchmal war die Versuchung schon da, ich meine, ich war jung, und zwischen sechzehn und achtzehn Jahren kenne ich niemanden, der nicht mal ein Bier trinkt. Aber dann, als meine Mutter starb ... da habe ich getrunken. Und mein Vater war mit sich selbst beschäftigt, hat selber harte Schmerzmittel genommen. Als er dann auch tot war, bin ich sofort zur Bundeswehr gegangen. Es war hart, und es war schrecklich, aber ich wurde so diszipliniert, nicht zu trinken. Aber als ich dann draußen war, da habe ich das alles erst noch mehr realisiert. Ich hatte nichts. Meine Mutter nicht, meinen Vater nicht, keinen Job und nichts, wofür ich brannte. Und dich hatte ich auch nicht mehr", Tims Stimme wird immer leiser, aber ist trotzdem noch lauter als mein lauter Herzschlag. Es ist kaum zu glauben, dass Tim nicht hört, wie wild mein Herz schlägt. Sonst ist alles in mir wie erstarrt, mein Blick ist starr, ich kann Tim nur direkt in die blauen Augen starren, die mich intensiv anschauen. Nur während ich versuche, ihn mit Blicken zu durchbohren, ein wenig seine Seele auszuziehen, lässt er es geschehen. Es ist, als würde sich seine Seele Stück für Stück für mich entblößen, bis ich offen hineinblicken kann. Tims Blick zeigt mir so viel Schmerz und Zerbrochenes, dass mir die Tränen in die Augen schießen. „Sag was", Tims Flüstern klingt wie ein Flehen, das mich in die Enge treibt. „Wir sollten essen, bevor die Burger kalt sind", ich räuspere mich und nehme mit zitternden Fingern meinen Karton und klappe ihn auf. Als ich meinen Burger anhebe, ist das Brot nur noch lauwarm.
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RomanceTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...