Kapitel siebenundzwanzig

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Ein trübes gräuliches Licht blendet mich, als ich die Augen aufschlage. Draußen ist endgültig Herbst, viel zu früh für dieses Jahr. Ein Vogel krächzt laut, sodass ich es noch hier drinnen höre, genau wie Tims – oh oh. Blitzschnell drehe ich meinen Kopf zu Tim, der dadurch eine unsanfte Kopfnuss von mir bekommt. „He ... y", grummelt er sofort, als er die Augen träge aufmacht. Als er mich sieht, grinst er breit. „Sorry", presse ich hervor. Zu mehr bin ich aktuell nicht fähig, ich liege hier neben meinem Exfreund im Bett und habe die ganze Nacht lang an ihm gekuschelt. Das ist eine Sache, über die ich erst einmal fertig werden muss. Mit rasendem Herzen schaue ich mich im Zimmer um, das genauso aufgeräumt aussieht, wie ich es von gestern Abend in Erinnerung habe. Aber was habe ich erwartet? Dass sich alles verändert? Doch die Welt dreht sich weiter, das sollte ich besser als jeder andere wissen. Und trotzdem fühlt sich jedes Detail neu an, wie Tims Kissen unter uns zerknittert ist, wie sich ein Schatten des Kissens auf seinen Wangen abzeichnet, wie sich seine Augenlider heben und senken, als er mich ansieht. „Du schaust so schockiert", meint Tim ausdruckslos, es wirkt noch immer so, als würde er damit rechnen, dass ich gleich gehe. Ich weiß nicht, was bei ihm dieses Gefühl verursacht, so wenig wert zu sein oder dass ich ihn nur verletzen möchte. Vielleicht fürchtet er jedes Mal, dass ich mich rächen wollen könnte, für das, was damals geschehen ist. Andererseits kennt er mich; ich würde niemals mit den Gefühlen eines anderen spielen, egal, was mir widerfahren ist. Also leuchtet es mir wirklich kein bisschen ein, was ihn so verunsichert. Ich könnte auch misstrauisch sein, schließlich hat er mich damals betrogen und – ich sollte verdammt nochmal aufhören, Fazite aus der Vergangenheit zu ziehen, ich weiß. „Nein, ich – es ist einfach alles ziemlich neu alt oder alt neu, was auch immer", lächele ich vorsichtig; ob die Vorsicht mir gegenüber oder ihm gegenüber gilt, weiß ich noch nicht. „Ja ...", Tim greift nach meinen Händen. Mit einer gewissen Entschlossenheit verhaken sich seine Finger in meinen, ein wenig knochig und unkoordiniert. Aber gut. „Wollen wir es Luna und Maik sagen?", fragt er nach einer Weile, die wir vermutlich beide damit verbracht haben, auf unsere verschränkten Hände auf der Decke zu schauen. „Heute kommen wir bestimmt eh nicht zu Wort. Die beiden sind schließlich verlobt. Oh, brauchen wir nicht irgendetwas zur Feier des Tages oder so?", sofort entreiße ich meine Hand Tims, was mir gar nicht so ungelegen kommt. Der Typ fürs Händchenhalten war ich wirklich noch nie, nicht einmal in unserer vorherigen Beziehung. „Ich fürchte auch. Okay, dann ... wann sind die beiden hier?", reagiert Tim ebenfalls, wobei er sich etwas zu schwungvoll aufsetzt; wir stoßen erneut zusammen. „Ich schaue nach. Meinst du, du kannst kochen?", kritisch mustere ich seinen Brustkorb, der wieder eine gesündere Farbe hat als gestern, nur ist der Verband schon wieder verrutscht. „Ich glaube. Aber du musst mir beim Anziehen helfen", blinzelt Tim mich an, ich schüttele den Kopf über ihn. „Hmmm, genau", mache ich seine Stimmlage nach. Wer kochen kann, kann sich auch selber anziehen. Und vor allem habe ich Angst, wenn ich ehrlich bin. Ihm bei so etwas Intimen zu helfen, wenn ich wütend auf ihn bin, ist okay. Aber jetzt, wo wir in einer Art Datephase oder Annäherungsphase stehen, ist es etwas völlig anderes. Real und ein Ausblick auf das, was noch irgendwann zwischen uns passieren kann. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass es ziemlich schnell ziemlich komisch zwischen uns werden könnte, nachdem was gestern Abend alles passiert ist. Es ist etwas, was viele andere Erwachsene vielleicht als harmlos betiteln würde, es war nicht mal eine wilde Knutscherei, aber es war etwas Tieferes. Und das wissen wir beide. „Also dann ... gehe ich rüber? Und wenn etwas ist, rufst du?", frage ich, obwohl es eher so klingt, als wäre es ein Befehl. Tim nickt auch ohne Widerspruch. Stille. Etwas zu spät rutsche ich von seinem Bett, wobei ich seine Blicke im Rücken spüre. Auf einmal fühle ich mich nackt, obwohl ich noch meinen Hoodie trage, den ich auch augenblicklich noch weiter über meine Beine ziehe. Erst, als ich Tims Zimmer verlassen habe, kann ich aufatmen. Diese unbeholfene Stimmung ist genauso schrecklich wie die Momente als Teenager: Und jetzt?

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