Ich sehe den Wohnwagen trotz des Gewitters schon von Weitem. Hastig parke ich mein Auto so dicht es geht an dem Rasen und springe hinaus in die peitschende Kälte. Wie Geschosse fallen die dichten Tropfen auf mein Gesicht und durchnässen mich innerhalb von Sekunden; über mir zucken die Blitze, als ich die Autotür zuschlage und im Rennen den Ford absperre. Dann hetze ich weiter über den feuchten Asphalt, auf dem schon hohe Pfützen stehen. Das dreckige Wasser spritzt in meine Sneaker, als ich durch das Wasser sprinte und daraufhin über den heruntergekommenen Zaun auf das Grundstück springe. Das Gras gibt ein sabschiges Geräusch von sich, als ich ein paar Zentimeter einsinke. Fluchend renne ich weiter und stolpere fast über die Maulwurfshügel, die sich in dem hüfthohen Gras befinden. Je weiter ich mich von den Straßenlaternen entferne, desto weniger sehe ich – und der Regen trägt auch keinen guten Teil dazu bei. Letztendlich bin ich doch dazu gezwungen, keuchend mein Handy aus der Jackentasche meiner Lederjacke zu ziehen und die Taschenlampe zu aktivieren, der Boden flackert unter mir auf. Hastig nutze ich die Zeit, die mir noch bleibt, bis sich mein Handy wieder verabschieden wird. Und was dann? Falls er doch nicht da ist? Nicht ein Licht leuchtet im Wohnwagen ... Als ich den Wagen erreiche, erhellt ein Blitz das ganze Grundstück. Doch es reicht nicht, um ins Innere zu blicken. Scheiße. Entschlossen schlage ich mit der Hand gegen die nasse Tür. Mein Klopfen und Hämmern übertönen kaum das Donnern über mir. Als es drinnen still bleibt, schlage ich verzweifelt auf das Schloss. Und wenn er doch da ist? Und es ihm nicht gutgeht? Unter meinem Schlag springt die Tür auf. Das Wasser rinnt mir von oben entgegen, als ich vorsichtig an der Tür ziehe. Das Innere bleibt schwarz. „Verdammte Scheiße", ich schüttele mein Handy, das noch einmal aufblinkt. Ein letzter Strahl erhellt den Wagen. Da, ein Bein. Dann halte ich nur noch ein nasses nutzloses quaderförmiges Ding in der Hand. „Tim?", panisch, dass er wirklich am Boden liegt – oder dass es jemand anders ist –, taste ich in dem alten Ding nach dem Lichtschalter, der irgendwo am Türeingang war – vorausgesetzt die Batterien funktionieren noch. Doch ich habe Glück, es knarzt und knackt, dann springt ein kleines Licht über der Küchenleiste an. Tim stöhnt auf. „Em?", höre ich seine vertraute Stimme. Sofort springe ich ganz in den Wagen und verschließe die Tür hinter mir wieder gewaltsam. Keine Sekunde später zuckt wieder ein greller Blitz am kleinen Fenster mit den alten Vorhängen vorbei. „Em", wiederholt er mit rauer Stimme, die ich so noch nicht wirklich an ihm gehört habe. „Hey", ich trete um die kleine Küchennische herum. Mein Herz bleibt stehen, als ich ihn dort am Boden sitzen sehe. Zwischen seinen Beinen stehen einige Bierflaschen, von denen ich nicht ausmachen kann, welche geöffnet, welche ausgetrunken und welche nur angetrunken sind. „Hey", er will mit einem Streifen alle Flaschen wegräumen, doch es klirrt nur und die bräunliche Flüssigkeit läuft über den Boden und seine Beine, die in einer schmutzigen Jeans stecken. Automatisch lasse ich mich auf die Knie fallen und rutsche zu ihm, um ihm in die Augen blicken zu können. Seine blauen Augen mustern mich und klammern sich förmlich an mir fest, als ich ihm näher komme. „Du bist hier", flüstert er. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es für eine Illusion hält, so gut kenne ich seinen unsicheren Blick. Ungläubig hebt er den Arm und berührt meine Lederjacke, streift meine Kapuze und fährt mir dann durch die nassen roten Strähnen, um erleichtert aufzuseufzen. Ich schmunzele gegen meinen Willen und doch würde ich am liebsten weinen. „Ich dachte, du gehst feiern. Wegen deines Buches", wispert er erschöpft. Ich betrachte die Flaschen am Boden. Hebe den Blick wieder, er schaut betroffen. „Du wusstest es", hauche ich und schüttele den Kopf, sofort läuft mir Wasser über das Gesicht. Tim löst seine Hand aus meinem Haar und reibt mir harsch mit seinem weißen Ärmel über die Wange, um alles wegzuwischen. Gleichzeitig heben sich unsere Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. Ich bin es, die sich zuerst löst. „Tim, steh bitte auf", fordere ich und greife nach seinen Händen. Sie fühlen sich zum ersten Mal kalt an. „Wieso?", er lässt sich nach hinten fallen und stößt mit dem Kopf gegen das Regal, es knallt laut, sodass ich kurz die Augen schließen muss. „Weil ich will, dass du kämpfst", ich habe zu wenig Kraft, um diesen schweren Kerl nach oben zu ziehen, stattdessen reißt er mich mit einer schnellen Bewegung zu Boden. Gerade noch fange ich mich und lande nicht auf den Flaschen, sondern sinke auf sein Bein. „Wie lange tust du das hier schon?", besorgt streift ich ihm behutsam über die Wange. Er zuckt bei meiner Bewegung zusammen – so empfindsam ist er also noch. Gequält schließt er die Augen. „Hier wohnen oder trinken? Versagen?", murmelt er tief. „Du versagst nicht", am liebsten würde ich ihn schlagen oder schütteln. „Doch, ich war zu schwach. All die Sitzungen bei Doktor Oles haben nichts gebracht", nuschelt er in sein Shirt – oder liegt das an seinem Alkoholgehalt? „Hey", jetzt schlage ich ihn doch und zwar auf die Brust. Er hebt den Blick und seine Seele kommt deutlich in seinem leeren Blick zum Vorschein. „Wir kriegen das wieder zusammen hin. Und du bist nicht schwach, Tim. Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne. Okay, vielleicht nicht stärker als ich, aber ...", ich schmunzele ihn an. Er lächelt. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem ehrlichen Grinsen, das ich vermisst habe. So sehr. Bevor ich es mir anders überlegen kann oder einen Rückzieher machen kann, beuge ich mich ganz zu ihm vor. Seine ungewohnt dichten Bartstoppeln kratzen mich, als ich meine Lippen auf seine drücke. Keuchend erwidert Tim den Kuss; sein Mund schließt sich um meinen, seine Lippen greifen immer wieder nach meinen und seine Zunge stößt fordernd gegen meine. Er schmeckt nach Bier und Whiskey, als ich ihm genauso leidenschaftlich entgegenkomme und mit dem Knie die Bierflaschen zur Seite schubse, um ihm näher zu kommen. Wie von selbst hilft er mir und schiebt sein rechts Bein ebenfalls unter meine Hüfte, sodass ich ganz auf seinen Schoß rutsche. Schwer atmend presse ich mich an sein Unterleib und halte mich in seinem Nacken fest, während seine Hände haltlos über meinen Rücken und durch meine Haare gleiten. „Shit, Em, du bist so nass", raunt Tim in den Kuss, als sich unsere Münder kurz lösen, um nach Luft zu schnappen. Als wir uns in die Augen schauen, lachen wir beide kurz. Gott, wie ich sein Lachen vermisst habe. Und gedacht habe, dass ich es nie wieder hören würde. „Und du erst", ich klettere von seinem Schoß, auch wenn es mir schwerfällt. Widerwillig lässt er seine Finger von mir rutschen und in seinen Schoß fallen, der ganz nass ist; entweder von meiner durchnässten Hose oder dem Bier. Tim beobachtet mich mit einem Blick, der mir sehr gefällt. Voller Leidenschaft, Feuer und Hoffnung. Sogar Sicherheit. „Ich habe mich nicht nur gehen lassen", murmelt Tim, sein Adamsapfel ruckelt hin und her, „ich habe mich in Arbeit gestürzt. Ich habe nur heute getrunken, Em. Ich wollte so sehr bei dir sein und mit dir feiern, aber dann war mir klar, dass ich dich verloren habe ..." „Hast du nicht", als ich ihm diesmal die Hand reiche, zieht er sich an mir rauf. Er wankt tatsächlich kein bisschen, als er mir gegenüber steht. Als hätten meine Küsse ihn wieder nüchtern gemacht. Als hätte er meine Gedanken gelesen, funkelt es in seinen Augen auf. „Nein?", er legt die Stirn in Falten und sieht mich tief an, ich schüttele den Kopf. „Nö", grinse ich ihn an. Er lächelt und stützt sich auf meinen Schultern ab, bis er nach dem Kragen meiner Jacke greift und sie mir in einer flüssigen Bewegung abstreift. „Du solltest dir meinetwegen keine Erkältung holen", flüstert er mit rauer Stimme und legt seine Hände an meine Hüfte. Als er nichts weiter tut, trete ich selbst einen Schritt zurück und ziehe mir meinen Hoodie eigenhändig über den Kopf, meine nassen kalten Haare fallen mir ins Dekolleté, in dem Nicoles Ring ruht. Tims Blick verdunkelt sich, als er meinen Oberkörper mustert. „Halt die Klappe, bevor dir noch etwas Romantisches einfällt", ich grinse ihn frech an und klopfe ihm auf die Brust, „denn ich habe mich nur ausgezogen um mich nicht zu erkälten." „Hm", macht Tim nur, seine Augenlider zittern nervös. „Solltest du auch tun", wispere ich und greife ohne seine Antwort abzuwarten nach dem Saum seines Shirts. Als ich es ihm ausziehe und er die Arme ohne Protest hebt, breitet sich eine Gänsehaut auf seinem klar definierten Bauch aus. Bei jedem Streifen seiner Haut mit meinen Fingerkuppen stellen sich die minimal erkennbaren Härchen bei ihm auf, ich grinse ihn an. Als es darum geht, ihm den weißen Stoff über den Kopf zu ziehen, lasse ich mir extra Zeit und lasse ihn gegen sein Kinn schnalzen, er lacht erstickt und befreit sich selbst daraus. „Ich habe deine Gemeinheiten vermisst", er schaut mich intensiv an, seine Blicke brennen sich wie ein Tattoo auf meiner Haut nieder. „Natürlich hast du das", ich strecke ihm die Zunge heraus und schreie gerade so nicht auf, als er mich an der halbnackten Taille packt und auf die Küchenablage setzt, unter mir knackt es bedrohlich. Automatisch, als hätten wir das schon immer getan, schlinge ich meine Beine um seine Hüfte und ziehe ihn dadurch an mich, Tim atmet schwerer und stützt sich links und rechts neben mir ab. Hinter mir donnert es laut, dann zuckt ein heller Blitz über Tims kantiges Gesicht und lässt seine Augen lodernd aufleuchten. „Es tut mir leid, Em. Dass du hergekommen bist und was du vorfindest ...", er löst seinen hitzigen Blick aus meinem Gesicht und schaut auf den Boden, auf dem noch immer die braunen Flaschen rollen. „Hör auf immer zu denken, dass du nicht genug bist", meine Hände greifen nach seinem Nacken und drehen seinen Kopf zu mir. Tims Blick lässt meinen Puls wieder rasen. „Aber ich habe ver-", beginnt er wieder leise, da presse ich schon wieder meine Lippen auf seine. „Aber ich bin hier", flüstere ich in seinen Mund und merke, wie er sich entspannt. Dennoch bewegt er seine Lippen nicht ganz so hitzig an meinen wie eben. „Was ist los?", murmele ich und öffne die Augen wieder. Unsere Augen schweben dicht voreinander, sodass ich mich in seinen dunklen Pupillen spiegele. „Ich werde es nicht aushalten, wenn du nochmal gehst. Ein drittes Mal", Tims raue Lippen bewegen sich kaum, als er das sagt. „Werde ich nicht. Und selbst wenn du es mir sagst, ich bleibe stur", meine Worte lassen mich selbst auch schaudern, nicht nur ihn. Unsere Körper rutschen näher aneinander, nur unsere Lippen sind noch einige Millimeter voneinander entfernt. „Und wenn sie es dir sagt?", Tims Worte erinnern mich gnadenlos daran, was geschehen ist. Lauter taffe Sprüche wandern durch meinen Kopf. Dass ich doch schon so selbstbestimmt und unabhängig sei, lauter Dinge, die nicht dem gerecht werden könnten, was ich eigentlich fühle. Stattdessen schüttele ich nur den Kopf und beiße mir auf die Lippen, die jetzt auch einen bitteren Geschmack von Tims Küssen haben. „Es war ein Fehler", ich zwinge mich, ihm direkt in die Augen, direkt in die Seele zu blicken. Ein Lächeln bereitet sich auf seinen Mundwinkeln aus. „Warte, hat die perfektionistische Emma gerade zugegeben, dass sie einen Fehler gemacht hat? Sich ... entschuldigt?", raunt er und beugt sich wieder näher an mich. In meinen Gedanken existieren nur noch seine Worte und das Prasseln des Regens auf dem dünnen Dach, als er mit seinem Mund über meinen streift. Gott, das macht er extra. Spaßeshalber und teilweise ernst gemeint funkele ich ihn an. „Ach sei still und bilde dir bloß nichts – okay, meinetwegen, bilde dir etwas darauf ein", flüstere ich, „aber nur dieses eine Mal. Tim, mir tut es wirklich leid, dass ich so unfair zu dir war. Ich habe nicht so zu dir gestanden und dich so lieben können, wie du es verdient hättest." Durch meine Worte aufkeuchend küsst Tim mich heftig, mein Kopf schlägt gegen die Hängeschränke, doch ich genieße seine Hitzigkeit. Genauso leidenschaftlich dränge ich mich ihm entgegen und stoße mein Becken gegen seines, er atmet noch tiefer in den Kuss. Seine Hände wandern fordernd über meinen Rücken und schieben sich unter die Träger meines Sport-BHs, lassen sie schnalzen und mich in den Kuss grinsen. „Du solltest öfter angetrunken sein, ich mag deine freche und selbstbewusste Art", ich kann es mir nicht verkneifen, etwas zu sagen. Vielleicht will ich aber auch einfach nur, dass es nicht zu kitschig ist. Ich will nicht, dass das hier eine Nacht ist, an die ich mich erinnere und sagen kann, dass es wie im Märchen war. Traumhaft und einstimmig, eins mit dem tröpfelnden Regen – nein. Ich will, dass diese Nacht Spuren hinterlässt, dass ich mich darin erinnere und grinsen muss, weil es so sehr wir waren. „Hey, das war unter der Gürtellinie", protestiert Tim in meinem Mund, auch wenn ich genau an seinem Ausatmen merke, dass er schmunzeln muss. Dass er nicht mehr so angespannt ist, wenn es um seinen Fehltritt geht. Dass er nicht mehr so unsicher ist, wenn es darum geht, dass er einen Rückfall hatte. Das ist okay. Das passiert. Es geht nur darum, dass er wieder aufsteht. Und verdammt, das tut er gerade so ziemlich. Und er vertraut darauf, dass ich den Weg mit ihm gehe. Seine Hände verharren noch immer auf meiner nackten Haut unter dem Saum, bis ich kurz zurückweiche, um mir den schwarzen BH selbst über den Kopf zu ziehen. Tim zieht scharf die Luft ein, als ich den verschwitzten Stoff achtlos in die Ecke des Wohnwagens werfe. „War der etwa auch nass?", neckt er mich sanft, ich grinse ihn an. „Deine Hose ist es jedenfalls immer noch", erwidere ich in einem rauen Ton, den ich von mir gar nicht erwartet hätte. „Versuchst du gerade, meine Angetrunkenheit auszunutzen?", seine Augen glitzern vor Erregung und Intensität, ich versuche unschuldig zu schauen. „Vielleicht?" Er grinst nur und senkt dann sein Kinn wieder zu meinem, unsere Lippen berühren sich zu einem erst federleichten Kuss, der immer schwerer wird. Davon gedrängt, ihm immer näher sein zu wollen, lasse ich mich wieder von der Arbeitsplatte rutschen und drücke mich an ihn. Als meine nackte Haut auf seine trifft, schaudern wir beide. Meine nackte Brust ruht eng an seiner, ich spüre seinen Herzschlag – oder ist das meiner? Es ist derselbe Takt, in dem das Blut durch unsere Körper pulsiert und mir Schauer über den Rücken jagt, als sich die beiden Ringketten streifen. Die kleinen runden Metallstücke schlagen aneinander und streifen einander wie unsere Münder. Wir keuchen beide im selben Moment auf. Bei einem vorbeizuckenden Blitz schauen wir uns direkt in die erleuchteten Augen. Seine brennen förmlich vor Liebe. „Em", flüstert Tim. Es klingt wie ein Fluch und ein Gebet zugleich, wenn er das sagt. Oder ein Flehen, vielleicht aber auch eine Verzweiflung, dass es ihn auch gleich zerreißt. Schon fast verzweifelt presst er sich wieder an mich, seine Hände wandern unruhig über meinen Körper; streichen mir durch das feuchte Haar, umfassen den Ring an meinem Hals, liebkosen meinen Oberkörper und krallen sich in meiner Taille fest. Doch ich mache nichts anderes. Es ist verrückt, wie das parallel überhaupt alles stattfinden kann. Wie ich ihn gleichzeitig so sehr wie eine Ertrinkende küssen kann, während ich über seinen sich hebenden Brustkorb fahre, das warme Metall anfasse und die Tinte auf seiner Haut fühle. Gemeinsam stolpern wir zu den Matratzen, ich schubse ihn zuerst darauf, sodass er stöhnend mit dem Hinterkopf in den Kissen landet, während seine Beine über der Kante hängen. Er beobachtet mich im Halbdunkeln, wie ich mir an seiner Jeans zu schaffen mache. Der Gürtel klirrt leise, als ich ihn öffne und dann seine schwere Hose abstreife, die Socken gleich mit. „Em", fleht er wieder leise, als ich noch vor ihm stehe. Er greift bereits mit seinen Händen nach mir, als würde er mich sofort auf seinen Schoß ziehen wollen. Umso mehr beeile ich mich, mir selbst meine klebende Jeans auszuziehen und meine durchnässten Sneakersocken und Turnschuhe abzustreifen. Als alles am Boden liegt, lasse ich mich zu ihm auf das Matratzenlager sinken. Eigentlich hatte ich vor, mich neben ihn zu setzen, doch Tim zieht mich bereits auf seinen Schoß und blickt mir tief in die Augen. „Ich liebe dich so sehr, Em", flüstert er atemlos, dann küsst er mich wieder, indem er sich aufsetzt. Bei anderen wäre ich vermutlich weggelaufen. Aber nicht bei Tim. Irgendwie macht es mir bei ihm keine Angst, dass er mich liebt. Engt mich nicht ein. Stattdessen fühle ich mich beflügelter und freier. Als wäre da endlich eine Last von mir abgefallen, die ich die letzten Wochen mit mir herumgeschleppt habe. Als wir zu Seite in die Kissen kippen, schmunzeln wir beide kurz in den Mund des anderen, bis Tim nach dem Luftholen im stickigen Wohnwagen seinen Mund wieder auf meinen senkt, seine Hände gleiten über meine Brust, bis sie über meinen Bauch wandern und an dem Saum meines Slips verharren. Sofort merke ich, wie sich mein Unterleib vor Verlangen zusammenzieht. Es trifft mich überraschend. Und doch hatte ich es immer gehofft. Dass ich ihn mal nur wollen würde. Dass es da nichts gibt, das mir Bauchschmerzen verursacht. Dass ich ihn einfach nur näher bei mir haben will. Bestimmt verselbstständigen sich meine Finger, als ich sie ebenfalls über Tims glatten Oberkörper fahren lassen und die vereinzelten Narben deutlich spüre. Doch Tim zuckt nicht mehr zurück, sondern presst sich umso näher an mich, bis ich auf dem Rücken lande und er sich zwischen meine Beine drängt. Es passiert alles so schnell und doch so quälend langsam. Ich nehme alles wahr und doch habe ich das Gefühl, dass so viel an mir vorbeizieht, als wir uns küssen. Die Bettwäsche, die nach Tim und Schweiß riecht. Das Prasseln auf dem Dach. Das Donnern. Das Rascheln der Bäume mit ihren ersten Blättern. „Warte", höre ich mich sagen, als Tim gerade seine Finger in den Bund meines Slips hakt und mir das letzte Kleidungsstück ausziehen will. „Ich muss dir auch noch etwas sagen", wispere ich in den dunklen Wohnwagen hinein, Tim hält inne. Seine Finger ruhen auf meiner nackten Haut, die wild prickelt. „Der Abend in der Küche ... als du später kamst und Luna und Maik uns alleine gelassen haben, damit wir reden konnten ...", deute ich an, Tim nickt und sieht mich intensiv an. Abwartend. Vertrauend. Seine langen Wimpern heben und senken sich im regelmäßigen Takt seines Herzschlags. „Du hast mich gefragt, ob ich es wissen wollen würde, wenn die wichtigste Person in meinem Leben etwas getan hätte, was sie nicht hätte tun sollen ...", fahre ich fort, Tims Mundwinkel zucken zu einem unsicheren Lächeln. Vielleicht ahnt er bereits, was ich sagen will. Auch wenn er nicht ganz richtig liegt. „Also die Sache ist ... ich ... Scheiße, sowas fällt mir immer noch schwer", schmunzele ich leise, Tim lacht leise. Sein Atem streift meinen Hals, ich schaudere. „Du dachtest, meine Mutter wäre die wichtigste Person in meinem Leben. Das war sie auch jahrelang, vielleicht sogar bis zu deiner Ohrfeige", ich beiße mir auf die Lippen. Tim zieht scharf die Luft ein, drängt sich mit seiner Hüfte näher an mich, sodass ich schlucke. „Ich meine, ich liebe sie noch immer, aber die wichtigste Person in meinem Leben, das ist nicht sie", es fühlt sich nicht einmal falsch an, die Wahrheit auszusprechen. Gott, ja, ich liebe meine Mutter und sie wird immer meine engste Vertraute bleiben, meine beste Freundin – von mir aus auch mit Luna. Aber sie ist nicht mehr die Person, ohne die ich nicht leben kann. Oder nach der ich mein Leben richte. „Willst du damit sagen, dass ... ich ...?", flüstert Tim unsicher, ich grinse ihn an. „Nö. Du bist nur die zweitwichtigste Person in meinem Leben", raune ich, „die wichtigste bin nämlich ich selbst." Tim strahlt. Ich habe ihn noch nie so lächeln sehen. Weder so glücklich noch so stolz. „Damit kann ich leben", flüstert er mit rauer Stimme, die etwas brüchig klingt. Ich grinse und ziehe ihn entschlossen zu mir runter: „Musst du auch." Lächelnd erwidert er meinen Kuss und stützt sich links und rechts mit den Armen neben mir ab, sein Gewicht verlagert sich auf meinen Oberkörper und presst sich an mich. Doch es stört mich nicht, im Gegenteil. Stattdessen presse ich meine Lippen aufeinander, als Tim mir diesmal wirklich den letzten Stofffetzen auszieht, jedenfalls versucht er es umständlich, während er auf mir liegt. „Lach nicht", seine Hände wandern wieder nach oben um mich zu kitzeln, ich strecke ihm die Zunge heraus. „Bist du etwa doch zu betrunken?", necke ihn und schlinge meine Beine um seine Hüfte, um ihn zu Seite zu schubsen, sodass ich auf seinem Schoß sitze. „Wofür?", erwidert er dann heiser, als wir uns tief in die Augen blicken. In seinen blauen Augen funkelt in der ganzen Leidenschaft ein wenig Besorgnis heraus, als hätte er die Befürchtung, wieder etwas falsch zu verstehen. „Rate mal", grinse ich ihn herausfordernd an. Tim schluckt. Dreimal. „Em ...", er sieht mich noch immer so intensiv an und beißt sich auf die feuchten Lippen, die bis eben noch ganz bitter geschmeckt haben. Ohne zu antworten küsst er mich hitzig und umschlingt mich mit seinen Armen, die zittern. „Bist du etwa so nervös?", wispere ich gegen seine Zähne, Tim knurrt halb ernst. „Ich glaube, ich bin wieder sechzehn", brummt er und schüttelt dann den Kopf über sich selbst, „und noch schlimmer." „Hey, wenn du dir unsicher bist oder wegen des Alkohols ...", deute ich an und streiche ihm über die Brust, Tim schaudert unter meinen flüchtigen Berührungen. „Nein", er blickt mir direkt in die Seele, „und bist du dir sicher? Willst du es? Obwohl ich ..." „Streich das obwohl, du Spinner", ich tätschele ihn auf den Brustkorb, sodass sich ein kleiner Abdruck des Rings auf seine Haut bohrt, Tim zieht scharf die Luft ein. Wir bewegen uns beide keine Sekunde, bis ich am Boden nach meiner Jacke angele. Als ich in die Tasche greife, knistert es bereits. Ich spüre Tims heiße Blicke auf meinem Rücken, als ich die rote quadratische Packung fest umklammere und dann die drei Schritte wieder zurück zum Bett mache. Tim schiebt sich langsam seine weiße Boxershorts von den Hüften, ich ziehe sie ihm mit ab, als er mir nicht schnell genug geht und werfe sie auf den Boden. Scheiße und jetzt? Ich war noch nie so unsicher mit einem Mann, was ich tun soll. Und doch nie so selbstsicher. Es ist, als wäre ich wieder sechzehn Jahre alt genau wie Tim gesagt hat. Als wäre ich wieder dieses starke, rebellische und sture Mädchen. Und er ... ich sehe beides in ihm. Diesen hoffnungsvollen und selbstbewussten Jungen und doch den unsicheren und vom Leben gebeutelten Mann. Und doch ist alles an ihm so sehr Tim. Als hätte er den gleichen Gedanken, lächelt er ergriffen, als es direkt über uns donnert. „Wer zuerst an unseren ersten Kuss denkt, verliert", höre ich mich sagen, Tim grinst. „Ich habe verloren. Was jetzt, Em?", erwidert er rau und streckt seine Hand nach mir aus. Ohne darüber nachzudenken verschränke ich meine Hand mit seiner und rutsche an ihn heran, bis uns nur noch wenige Zentimeter trennen. Seine warme Haut und sein pulsierendes Blut fühlen sich elektrisch auf meiner nackten Haut an, sein Blick brennt sich fest. Nur aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ich ihm die rote Packung übergebe. Tim hält seinen Blick ebenfalls mit mir, als er die Plastikfolie öffnet. Über uns prasselt es aufs Dach, als er mit unruhigen Händen nach dem Kondom greift und es sich überzieht. Doch seinen Blick löst er nicht eine Sekunde von mir. Das Blau seiner Augen hält mich fest und lässt alles in meinem Kopf vorbeirauschen. Da ist nur noch Feuer, sodass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Schon fast abwesend küsse ich ihn – oder er mich? Unsere Lippen verschmelzen zu einem tobenden Kuss, während wir uns tief in die Augen schauen. Ich lese so viel in seinem Blick. Leidenschaft. Unsicherheit. Vertrauen. Aufforderung. Flehen. Mit klopfendem Herzen umfasse ich seine Schultern. Tim hält die Luft an, seine Muskeln spannen sich alle an, als ich mich auf ihn sinken lasse: „Hey." „Hey."
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Hey
Roman d'amourTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...