Hey

Kapitel elf

Gedankenverloren stochere ich in meinem Joghurt herum, den ich mir abwesend aus dem Kühlschrank genommen habe. „Der arme Joghurt", kommentiert Maik auch und beißt herzhaft in seine Semmel, die er mit so viel Wurst belegt hat, dass es vermutlich für eine Woche reicht. „Hm?", ich blinzele schnell, um mir wieder in Erinnerung zu rufen, was er eben gesagt hat. „Bist du sicher, dass du das heute packst?", fragt Luna besorgt und mustert mich scannend. „Klar, muss ich ja auch", ich ringe mich zu einem Lächeln ab, das sicher so gar nicht wie mein typisches freches Grinsen aussieht. Immer noch etwas sorgenvoll beobachtet Luna mich, wie ich demonstrativ einen Löffel mit Vanillegeschmack in dem Mund nehme. „Musst du nicht; wenn du willst, begleite ich dich zum Friedhof", Luna lächelt aufmunternd, aber ich schüttele den Kopf. „Sie stand mir ja jetzt nicht unfassbar nahe, es ist einfach nur traurig", ich zucke leichthin mit den Schultern. Maik scheint etwas überzeugter davon zu sein, dass es mir gutgeht, als Luna. „Ich weiß nicht, ich möchte dich da nicht alleine hinlassen oder so", Luna nimmt nachdenklich einen Schluck aus ihrer Tasse und lässt scheinbar den Kakao im Mund zergehen. „Doch, alles gut. Macht euch einen schönen Tag, ich halte euch eh schon seit Tagen von ein bisschen Zweisamkeit ab", winke ich ab und meine es auch so. Es ist wirklich so, dass ich gerne etwas Freiraum für mich hätte, besonders, wo Luna kaum noch lockerlässt, seit wir gemeinsam auf dem Sofa eingeschlafen sind. Ganz abgesehen davon ist Maik mir sichtlich dankbar, dass die beiden etwas zu zweit unternehmen sollen. „Oh ja, Lu, dann lassen wir sie", er grinst zufrieden und ich schmunzele. Er ist echt einfach immer ehrlich und direkt. „Na dann, was habt ihr vor?", endlich schaffe ich es, das Thema zu etwas komplett anderem zu lenken. „Oh wir könnten schwimmen fahren. Da kommt ihr ja eh nie mit, weder du noch Tim", stellt Luna fest. „Klingt spaßig, vor allem, wenn ich daran denke, dass es so viele abgezweigte Becken gibt ...", deutet Maik mit einem schelmischen Grinsen an und lacht, Luna wird rot, bevor sie ihn tritt. „He, beim letzten Mal konnte ich wegen meiner Hand nicht schwimmen! Aber viel Spaß", brumme ich und schüttele den Kopf über die beiden, als ich aufstehe, um meinen Becher wegzubringen. Langsam habe ich das Gefühl, dass ich mich hier einlebe. Jedenfalls dann, wenn Tim nicht da ist. Aber da er scheinbar mal wieder arbeiten ist, kann ich die Zeit nutzen, mit dem Paar zu reden. Wenn wir nur zu dritt sind, ist die Stimmung fast perfekt. Hier und da gibt es noch immer ein paar Unsicherheiten, aber es gibt sich. Mit Luna habe ich sowieso ein eigenes Verhältnis, das nichts mit Tim zu tun hat. Bei Maik ist es eher komisch, mich normal zu verhalten. Schließlich ist er auf der einen Seite Lunas Freund, der sich total um mich bemüht, auf der anderen Seite ist er aber auch Tims bester Freund seit der zehnten Klasse. Und ich möchte wirklich nicht zwischen die beiden Männer geraten; es reicht, dass Lunas und meine Freundschaft damals zerbrochen ist und wir einen äußerst seltenen und angespannten Kontakt hatten.

Zögernd klopfe ich an Lunas Zimmertür, nachdem ich mehrmals auf dem Flur auf und ab gegangen bin. Sofort öffnet sie nur mit einem Bikini-Oberteil und einer halb aufgeknöpften Shorts. „Ich wollte dich jetzt nicht beim Umziehen stören", ich ärgere mich jetzt schon, dass ich auf die Idee kam, sie zu fragen. „Quatsch, alles gut. Komm rein. Oder was gibt es denn?", sie schnappt sich ein herumliegendes T-Shirt mit einem Action-Schriftzug. Über ihre Schulter bekomme ich einen ungefähren Einblick in ihr chaotisches Zimmer. Aber dafür ist es ziemlich lebendig, mit den ganzen Fotos über dem Bett, das direkt an der Wand zu Maiks Zimmer steht. Instinktiv wette ich, dass er sein Bett ganz genauso hingestellt hat, sodass die beiden wie in einem Ehebett daliegen, nur mit der Wand dazwischen. „Ich weiß nicht wirklich, was man zu einer Beerdigung anzieht. Bisher kam ich nicht weiter als meine Lederjacke", ich fühle mich komisch, Luna bei Kleidung um Hilfe zu bitten, aber sie strahlt und verschwindet in ihrem Zimmer. Fragend folge ich ihr und schaue mich um, wobei ich gar nicht weiß, wo ich zuerst hinschauen soll. Überall liegen Klamotten verstreut am Boden, die Sitzsäcke im Eck sind ganz zusammengedrückt und lauter Zettel liegen auf dem Bett herum, sodass es keinen Platz mehr gibt, sich hinzusetzen. Das einzig Ordentliche in diesem Raum ist das Bücherregal, in dem mindestens die Hälfte der Bücher auch in meinen Kartons steckt. Ausgepackt habe ich meine Bücher immer noch nicht, zumal sie auch einfach keinen Platz hätten, im Gegensatz zu meinen Klamotten und dem bisschen Deko. „Ich kann dir auch einfach etwas leihen. Ich nehme an, du willst auch keinen Hosenanzug und ein Kleid kann ich dir nicht einmal anbieten", Luna wirft mir eine schwarze Bluse in die Arme, die wirklich ganz okay aussieht, nicht zu verspielt und auch nicht zu unschick. „Danke", ich schaue noch immer etwas überfordert, wobei Luna schmunzelt, als sie sich mit dem Rücken an ihren Schrank lehnt, aus dem lauter Hosen rutschen. „Am besten machst du dir noch einen Zopf und dann sollte es schon passen", sie schaut auch ein wenig ratlos, was mich beruhigt. Es war noch nie wirklich der Fall, dass wir uns modetechnisch beraten haben, es sei denn wir waren in einem Sportladen, aber auch das kann ich an einer Hand abzählen. „Und Emma – wenn etwas ist, rufst du mich an. Ich kann dich jederzeit abholen", Luna macht einen Schritt auf mich zu und bleibt unschlüssig vor mir stehen. Mir ist klar, dass sie abwartet, ob sie mich umarmen soll. „Okay, mache ich", ich versuche, etwas Dankbarkeit in meinen Blick zu legen, aber wende mich ab, ohne Luna zu umarmen, das würde mir doch zu schnell gehen. Erstmal muss ich auch noch verarbeiten, dass wir uns wieder viel näher stehen.