Ich will nicht weinen. Ich werde nicht weinen, auf keinen Fall. Zum gefühlt hundertsten Mal spritze ich mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht und starre mich im Spiegel des Gäste-Bads an. Damit ich Tim nicht noch einmal über den Weg laufe oder wir eine unangenehme Situation erleben, wie in Unterwäsche zusammenzustoßen, benutze ich einfach nur noch das Gäste-WC direkt im Eingang. Es ist ja nicht mal so, dass das kein Badezimmer wäre, im Gegenteil, ich habe alles, was ich brauche, bis auf eine Waschmaschine. Und das muss ich frühestens in einer Woche klären. Aber hoffentlich wohne ich dann gar nicht mehr hier. Der Gedanke, dass ich keine eigene Wohnung hier habe, treibt mir noch mehr Tränen in die Augen. Wütend über meine Gefühle balle ich meine Hände zu einer Faust. Gerade so schlage ich nicht nochmal zu. Es reicht schon, dass meine Hand immer noch leicht angeschwollen ist, aber den Verband von Tim trage ich schon lange nicht mehr, ich habe ihn nicht mal vierundzwanzig Stunden ertragen. Es klopft zaghaft an der Tür. Müde blinzele ich nochmal mein trauriges Spiegelbild an, in dem mir meine Haare wie eine Mähne ins Gesicht fallen und gar nicht zu bändigen sind, mit den ganzen Wellen und leichten Knoten. Meine Augen sehen ausgesprochen abgekämpft und müde aus, obwohl der Tag so gut begonnen hat. Und dann kam die Nachbarin. Und dann der Cider. Und dann Tim, der wieder in unserer Vergangenheit gewühlt hat und nach meine Händen gegriffen hat. Kaum spüre ich noch den leichten Druck seiner Hände auf meinen, halte ich wieder meine Hände unter den Wasserhahn und seife sie erneut mit einer Portion Zitronenseife ein, die dort in einem neutralen Zylinderbecher steht. „Gleich!", rufe ich und weiß aber, dass die Person hinter der Tür nicht locker lassen wird, egal, wer es ist. „Aber beeile dich! Wir kochen gerade ein Abendbrot, dass wir alle vier mögen", Luna klingt, als würde sie hinter der Holztür lächeln. Fast könnte ich auch noch wetten, dass sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr streicht. „Das wäre nicht nötig", ich klinge härter als beabsichtigt. Sofort stelle ich das Wasser ab, trockne meine Hände an meinem Hoodie ab und tappe zur Tür; ich habe natürlich ein schlechtes Gewissen. Als ich die Tür aufmache, breitet sich ein ausdrucksvolles Grinsen auf Lunas Lippen aus, die verdächtig glänzen, als hätte sie eben mit Maik herumgeknutscht. „Doch, du hast einen Hammerjob abgesahnt!", Luna schüttelt den Kopf, sodass ihr Dutt ihr fast vom Kopf fällt, weil er so halbherzig hochgesteckt wurde. „Keine Sorge, wir müssen nicht auch mit dir anstoßen, wenn das jetzt alles zu viel für dich war", Luna platziert ihren Arm an meinem Rücken und schiebt mich förmlich wieder in die Küche, wo es verführerisch nach Quesadillas riecht. Das Doofe ist nur, dass Tim das Ganze zu kochen scheint, denn mal wieder steht er am Herd und füllt Käse in die Pfanne. „Oh, und magst du noch dieses Guacadings?", Maik steht plötzlich neben mir und hält mir eine große Schale hin, in der er die grüne Guacamole angerührt hat. „Im Ernst? Ich stehe noch total darauf", gebe ich zu. Das Maik gegenüber zuzugeben, ist kein großes Problem. Bei ihm freue ich mich auch darauf, die Creme zu probieren und die ganzen Nachos in mich hineinzustopfen, die auf dem Tisch stehen. Der Haken ist eher, andauernd das essen zu müssen, was mein Exfreund kocht. Aber leider konnte er auch als Teenager schon backen und kochen, sehr gut sogar. Damals hat er immer für uns zwei gekocht, wenn seine Eltern auf der Arbeit waren. Bei der Erinnerung stiehlt sich sogar ein kleines Lächeln auf meine Lippen, das ich schnell wieder wegwische, indem ich an der Guacamole in Maiks Schüssel schnuppere. Es riecht wirklich wie früher. „Das ist das Einzige, was Maik kochen kann. In Grillsoßen und so weiter ist er unschlagbar", Luna kichert frech und wuschelt Maik durch das Haar, während sie noch die letzten Teller auf den Tisch stellt. „Dafür kann Luna nicht kochen. Bis auf Pfannkuchen vielleicht", Maik schaut empört und ich muss grinsen. Die beiden könnten mich fast vergessen lassen, dass Tim mit im Raum ist. „Wie gehen die nochmal?", frage ich und schmunzele. Luna und Maik lachen, selbst Tim meine ich kurz auflachen zu hören. Dabei ist es sogar die Wahrheit, dass ich sowas von gar nicht kochen kann. Ich bin froh, wenn die Nudeln durch sind. Dadurch stürze ich mich sofort auf die Avocadocreme und tunke einen Nacho hinein, während Luna es mir gleich tut, dabei hält sie ihren Nacho an meinen, als würde sie anstoßen wollen. Komischerweise lächele ich. „Auf deinen neuen Job, du Deutschqueen", ihre grauen Augen leuchten ganz begeistert, als wäre sie stolz auf mich. Womöglich ist sie das auch. Gemeinsam beißen wir in unsere Nachos.
DU LIEST GERADE
Hey
RomanceTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...