Kapitel vierzehn

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Dafür, dass ich eigentlich schon seit fünf Uhr morgens wach bin, bin ich viel zu spät dran. Fluchend werfe ich den Parkschein auf das Armaturenbrett meines Fords und zerre an meiner Tasche, die natürlich an dem Sitz hängenbleibt. Mit einem Geräusch, das dem Reißen eines Fadens ziemlich nahe kommt, zerre ich meine Tasche zu mir und schultere sie kurzer Hand, wobei der Laptop darin unschön gegen meinen Hüftknochen schlägt. Mit wackeligen Händen sperre ich mein Auto ab, bevor ich während des Rennens meinen Schlüssel in dem Seitenfach verstauen will. Beinahe fällt mir der Schlüsselbund noch in den Gulli, bevor ich ihn wieder aufklaube und die hohen Steintreppen nach oben in den Verlag hetze. Mit abgehacktem Atem stoße ich die schwere Tür auf, wobei es etwas zu sehr scheppert. Doch keine der Frauen, die durch die Büroräume laufen, schaut zu mir rüber, sondern jede eilt durch die Gänge, was mich an einen Schwarm an Bienen erinnert, so fleißig und aufgeregt sind alle. „Emma", ich fahre herum, als ich die Stimme meiner Chefin höre. Frau Maybach kommt schnellen Schrittes auf mich zu, ihre Lippen verziehen sich zu einem hübschen, aber machtvollen Lächeln, als sie vor mir stehen bleibt. „Guten Morgen, Frau Maybach. Tut mir leid, dass ich zu spät -", setze ich an, aber sie winkt lächelnd ab. Stattdessen geht sie an mir vorbei, um an den Kaffeeautomaten zu gelangen. Ihre bunten Haare fallen ihr ins Gesicht, als sie sich irgendeine der Tassen nimmt und daran schnuppert. „Kaffee habe ich, dann kann ich Ihnen Ihr Büro zeigen", kündet sie an und nimmt einen Schluck aus der fremden Tasse, bevor sie bestimmt vorausgeht, ein wenig beginne ich, an meiner Entscheidung zu zweifeln. Das hier ist der Verlag, zu dem ich unter allen Umständen wollte. Nur ist meine Chefin definitiv etwas irre – und irgendwie erinnert sie mich an meine Mutter. Grinsend folge ich ihr an den ganzen aufgetakelten Frauen vorbei, an expressionistischen Bildern an der weißen Wand vorbei in eine Reihe von verglasten Arbeitszimmern. Mir bleibt ein bisschen der Mund offen stehen, als ich jedes dieser Büros fasziniert mustere – jedes Zweite sieht aus, als wäre es einem IKEA-Katalog entsprungen, mit perfekt abgestimmten Farben und Möbeln. Besonders sagt mir das zu, bei dem lauter Pflanzen und Bücher vor dem Schreibtisch stehen, sodass man die Frau, die dahinter arbeitet, gar nicht sehen kann. Mit einer einzigen Bewegung stößt Frau Maybach eine Tür auf, hinter der ein riesiger Holzschreibtisch liegt, dazu ein gemütlicher schwarzer Sessel und eine Reihe an leeren Regalen, sogar ein kleiner Drucker steht neben der Retroschreibmaschine. „Ihr Reich, meine Liebe", meine Vorgesetzte lächelt und macht eine ausladende Bewegung. Fassungslos starre ich das an, was mein Reich sein soll. Ich werde mein eigenes Büro haben! „Richten Sie sich ein wie Sie wollen. Ich bin eh ein Fan von Ihrem Geschmack, Emma. Aber jetzt zum Wesentlichen – ich erwarte, dass Sie jeden Freitag, spätestens Sonntag, ihre Reportage abliefern. Und falls Sie sonst noch etwas haben – Buchrezensionen, Leserbriefe, Gedichte, was auch immer, legen Sie es mir sofort ins Büro", Frau Maybach klatscht in die Hände, aber mehr, als würde sie jemanden herbeiklatschen, obwohl keine der hier arbeitenden Frauen reagiert. Womöglich weil sie alle durch ihre Glasscheiben abgetrennt sind und konzentriert arbeiten. „Jeden Freitag die Reportage? Ich darf die Reportage übernehmen?", wiederhole ich ihren Auftrag. Falls sie dachte, dass mir eine Woche nicht reicht, immer ein Porträt über eine starke Frau zu erstellen, hat sie sich geschnitten. Das werde ich schaffen und ihr zeigen, dass ich perfekt für den Job bin. „Oh ja, ich setze auf Sie. Aber versauen Sie es nicht, die Reportage ist einer der wichtigsten Teile meiner Zeitschrift, wenn nicht sogar der Wichtigste", sie zwinkert mir zu und nippt wieder an ihrem Kaffee, bevor sie sich dem Gehen zuwendet. „Oh und als Tipp: Halten Sie sich an alle, die hier in den Büros arbeiten. Die ohne Büro sind auch die nächsten ohne Job. Schließlich kann jede von Ihnen ein Horoskop schreiben oder ein Tutorial verfassen. Aber die Leute inspirieren, das können wenige", noch einmal zwinkert Frau Maybach mir mütterlich zu, bevor sie losläuft. Ihre Schritte in den hohen Stiefeln hallen noch auf dem Gang wider, als ich vorsichtig die Glastür hinter mir schließe. Dann stoße ich einen Freudenschrei aus. Mein Büro! Und ich habe gleich zu Beginn den Auftrag schlechthin bekommen! Mit einem Strahlen werfe ich mich auf den Sessel, der sich sofort mir mir dreht. Bestimmt verbringe ich Minuten damit, auf dem Drehstuhl auf und ab zu fahren, den Drucker an und auszuschalten und aus meinem Fenster zu starren. Erst, als ich einigermaßen realisiert habe, dass ich im zweiten Stock eines Verlags in Braunschweig sitze, kann ich anfangen, meinen Laptop aus meiner Tasche zu ziehen und feierlich in der Mitte des Tisches aufzustellen. Während er hochfährt, verteile ich meine Kugelschreiber und Notizhefte ordentlich auf dem Tisch. Und noch mehr muss ich strahlen, als ich sehe, wie meine eigene Sachen hier wirken: Als würden sie hierher gehören. Strahlend gebe ich mein Passwort ein, öffne mein Mailfach und lese den Auftrag, den Frau Maybach mir gemailt hat – die erste Reportage. Über eine Kriminalpolizistin. Sofort verfliegt meine beflügelte Freude, als ich es nochmal lese. Von all diesen starken Frauen, die sicher in Braunschweig herumlaufen, bekomme ich eine von der Kripo zugeteilt.

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