Kapitel 99

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Chris

Ich kann nicht glauben was in der letzten halben Stunde passiert ist. Nora hat mächtig aufgeräumt in dieser verkorksten Familiengeschichte. Aurelies leiblicher Vater ist also Cliff und ihr gedachter Vater will unsere Tochter entführen, weil er uns für ungeeignet hält. Aurelies Mutter ist, na ja ihre Mutter, ob nun eine gute oder schlechte sein dahingestellt, immerhin kennen wir ihre Seite der Geschichte nicht. Ich bin froh, das Anouk mit meinem Vater unterwegs ist. Das Gespräch war definitiv nicht für Kinderohren bestimmt. Während ich über all das nachdenke, laufe ich in unserem Schlafzimmer auf und ab. Meine Mutter steht im Türrahmen und sagt nichts, ich weiß, dass sie jede Menge zu sagen hat, aber sie sagt nichts. Und Nora, ich kann sie gerade überhaupt nicht einschätzen, noch nie habe ich sie so wütend erlebt und noch nie habe ich mir größere Sorgen um sie gemacht als jetzt gerade. Sie sitzt nur auf dem Bett wie eine Puppe, ich sehe nur Leere in ihren Augen.

"Chris, glaubst du das Richard mein Vater ist?" fragt sie aus dem nichts heraus. "Was?" frage ich und kniee mich vor sie, nehme ihre Hände in meine und warte auf irgendeine Reaktion von ihr. "Glaubst du, dass Richard mein Vater ist? So wie bei Aurelie?" wiederholt sie die Frage und langsam verfolge ich ihre Gedanken. Es hat Nora schon immer beschäftigt, dass ihre Mutter ihr nie gesagt hat, wer ihr Vater ist. "Ich glaube nicht, Liebes", flüstere ich und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich sie damit mehr verletzt habe oder nicht, aber ich bin froh als meine Mutter dazukommt.
"Nora, Schatz, gib mir mal dein Handy, wir rufen ihn an und Fragen nach." Fassungslos starre ich meine Mutter an und verfolge, wie sie eine Minute später Richard in der Leitung hat. Nach einem kurzen hallo, komme ich gleich zum Punkt: "Bist du Noras Vater?" frage ich, weil sich Nora an mich krallt und sich auf die Antwort vorbereitet. "Nein, das bin ich nicht, aber ich wünschte ich wäre es. Nora ist für mich wie eine Tochter. Aber wieso fragt ihr?" antwortet Richard. Meine Mutter geht mit dem Telefon aus dem Zimmer, um ihm alles zu erzählen, während Nora kraftlos in meine Arme sinkt. Sie weint bitterliche Tränen, die ihren ganzen Körper erschüttern.
Erst als Anouk zurück ist, sich fest an ihre Mamsi kuschelt, beruhigt sich Nora langsam.

In der Woche nach der Beerdigung, reichen wir auf dem Amt einen Antrag auf Adoption ein. Niemand soll je in der Lage sein Nora, mich und Anouk zu trennen. Dem Antrag wird später zugestimmt. Aurelies Tod hat eine Lawine in ihrer Familie ausgelöst. Ihre Mutter reicht die Scheidung ein, ihre Anwältin ist die Beste auf dem Gebiet und wurde ihr von Noras Mutter empfohlen, sie entkommt ihrer Ehe trotz Ehevertrag, mit einem Vermögen, mit dem sie eine Stiftung in Aurelies Namen eröffnet. Cliff kündigt, und zieht in denselben Ort wie wir, er kommt seine Enkelin und uns regelmäßig besuchen. Wir vermissen Aurelie jeden Tag, und unsere Trauer hängt wie ein Schleicher über uns aber mit jedem Tag, der vergeht finden wir einen neuen Grund aufzustehen.

Der Mitbewohner Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt