Kapitel 112

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John Walsh

Ich bin hier, etwas zu früh und wahnsinnig aufgeregt. Ich weiß, dass wir das Ergebnis erst in ein paar Wochen bekommen, aber trotzdem. Als ich in die Lobby trete, stehen dort Nora und einige andere Personen direkt hinter ihr, alle wirken als würden sie mich anfallen, sollte ich das Falsche sagen oder tun. Und gleichzeitig sehe ich Hoffnung in ihren Augen. Ich atme erst einmal durch, dann strecke ich Nora meine Hand entgegen, etwas das ich bei ihrem Besuch in meinem Büro nicht gemacht habe. "Hi Nora" sage ich etwas nervös. "Bitte nenn mich John" füge ich schnell hinzu und sie nickt und schüttelt meine Hand. "John, das ist mein Mann Chris" sagt sie und ich schüttle seine Hand ebenfalls. "Meine Schwiegermutter Rena und ihre Tochter Lina" fährt sie fort und ich schüttle auch den Damen die Hand und bekomme ein zögerliches Lächeln von ihnen.

Einen Moment lang ist es still, keiner weiß was er sagen soll, weil es eine komische Situation ist. Smalltalk, scheint mir jetzt das richtige. "Wie gefällt euch New York?" frage ich in die Runde und spüre gleich alle Blicke auf mir. Als Antworten höre ich: "Gut, laut und wild, lebendig, anstrengend", ja mit all dem haben sie recht. "Warum sprechen sie so gut Deutsch?" fragt mich Lina plötzlich. Ich lache kurz als ich den tadelnden Blick sehe den ihre Mutter ihr zu wirft. Doch ich antworte bereits: "Weil meine Mutter Deutsche war, sie und mein Vater haben mich zweisprachig erzogen". "Heißt das sie haben beide Staatsangehörigkeiten?" fragt Lina weiter und ich nicke, "für eine ganze Weile hatte ich beide, dann habe ich die Deutsche aufgegeben, weil ich hier gewohnt und gearbeitet habe." "Interessant" fügt Rena hinzu und Nora starrt mich nur verblüfft an.

"Wie lange seid ihr schon verheiratet?" frage ich Nora und Chris, nicht unbedingt aus Neugier, mehr um eine Unterhaltung zu starten. "Seit zwei Jahren" antwortet Chris, ohne mit der Wimper zu zucken. "Na ja eigentlich schon länger immerhin haben wir uns mit Aurelie zusammen schon einander versprochen, wir durften nur auf Grund der Rechtslage nicht alle drei heiraten" erläutert Nora und weckt meine Neugierde damit auf. Eine dreier Beziehung, das erklärt die adoptierte Tochter und den Zeitungsartikel, in dem es um einen schrecklichen Unfall mit Todesfolge ging. Mein Gehirn geht den Artikel durch und als Antwort stoße ich ein "mein Beileid" hervor. Verblüfft schauen mich alle an, nur Nora mustert mich.

"Das meintest du mit alles über mich gelesen", ich blicke in ihre Augen, sie ist blitzgescheit, das muss ich ihr lassen. "Ich bin Journalist, da liegt es nahe, dass ich die Zeitungen und das Internet durchforste, oder nicht?" Verteidige ich mich, doch sie wird es nicht dabei belassen, das sehe ich in ihren Augen.

"Wir sollten los", meint Chris und ich schaue ihn an. "Wir?" frage ich provozierend nach und er guckt mich wütend an, seine Muskeln spannen sich an und seine Hand wird zu einer Faust, die Nora seelenruhig glättet und mit ihren Fingern verschränkt.

"Die Klinik ist keine 5 Blocks von hier" sage ich ruhig und fahre mit "der Termin dauert keine 10 Minuten, Speichelprobe und Papierkram, das ist alles, danach liefere ich Nora hier unversehrt ab", ich bin kurz davor ein versprochen hinzuzufügen, lasse es aber, weil ich es nicht einsehe, diesem Typ etwas zu versprechen. Nora nickt und dreht sich ihrem Mann zu. "Er hat recht, so gern ich dich auch dabeihabe, aber in einen Becher spucken kann ich auch allein." Sagt sie und grinst ihn an, er erwidert es, streicht ihre eine Strähne aus der Stirn und küsst sie so innig, dass ich meinen Blick abwende. "Ruf mich an, wenn was ist" flüstert Chris an ihre Lippen und sie schmunzelt und nickt. Dann drückt sie die anderen beiden und wir gehen. Ich rufe ein Taxi ran und wir steigen ein.

"Wenn du Journalist bist, wieso finde ich keinen deiner Artikel im Netz oder in einer Zeitung." Fragt Nora noch ehe die Autotür zufällt. "Weil ich unter einem Pseudonym meine Artikel veröffentlich habe" antworte ich ihr und sie bleibt skeptisch. "Wieso die Doppelidentität?" "Kann ich dir hier nicht erklären" antworte ich knapp und treffe die Augen des Taxifahrers im Rückspiegel. "Ich glaube kaum, dass er Deutsch spricht", erwidert Nora und ich schmunzle, "Trotzdem, wie alt sind deine Kinder?" frage ich sie und sehe das sie hadert, einerseits will ihre mütterliche Seite alles über die Zwerge erzählen, andererseits bin ich ein Fremder, der schnüffelt. "Denen geht es gut und sie wachsen fleißig."

Der Mitbewohner Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt