Kapitel 107

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Nora

Zwei Jahre später sitzen, Chris und ich, Anouk, David und Mira im Flieger nach New York City, Chris Eltern Rena und Pit sowie Lina, seine kleine Schwester sitzen, im gleichen Flieger, ein paar Reihen hinter uns. Nachdem wir unsere Flughöhe erreicht haben tauschen wir immer wieder Plätze, mal sitzt Oma bei den Zwillingen, dann Lina, nur Anouk ist glücklich neben Pit und macht keine Anstalten sich wo anderes hinsetzen zu wollen. Er und sie haben die Welt der Comics entdeckt und vergessen darüber gerne mal die Zeit.

"Ich freu mich sehr für Nino, einen Abschluss an der Juilliard ist was Besonderes", meine ich zu Chris und er stimmt mir zu, während er ein Spiel auf seinem Handy spielt. Ich hingegen wirke äußerlich ruhig und entspannt, jedoch überschlagen sich die Gedanken in meinem Kopf. Ich werde endlich nach New York gehen, damals als ich noch glaubte Tänzerin zu werden, wollte ich unbedingt herkommen, ich wollte gemeinsam mit meinem damaligen Tanzpartner Daniel hier durchstarten, und jetzt unterrichtet er an der Juilliard und ich werde ihn wiedersehen, er hat unseren Traum gelebt, während ich einen neuen lebe.

Dann springt mein Kopf zu der rätselhaften Person, die mein Vater ist, er lebt in New York, wahrscheinlich schon mein ganzes Leben lang. Er ist erfolgreicher Journalist, oder eben nur ein armer Schlucker, der gerade so über die Runden kommt, mit den Artikeln, die er schreibt. Vielleicht schreibt er auch gar nicht mehr. Wie er wohl aussieht, gut nehme ich an, sonst wäre meine Mutter wohl kaum mit ihm ins Bett gegangen. Was ist damals vorgefallen? Bin ich ihm ähnlich? Hat er andere Kinder? So viele Fragen, auf die ich eine Antwort möchte.

Dank, Nico dem treusten Mittarbeiter meiner Mutter, der mittlerweile ebenfalls ein sehr erfolgreicher Anwalt ist, und zu dem mein einziger Verbündeter in ihrer Kanzlei, habe ich eine Kopie von dem Testament meines Vaters erhalten. Er hatte es damals in den 80er Jahren bei meiner Mutter Melissa Hofstätter verfasst, beglaubigen lassen und hinterlegt. Ich habe es seitdem ich es erhalten habe, bestimmt 1000-mal gelesen, um Hinweise zu finden, aber abgesehen von dem handgeschriebenen Zusatz meiner Mutter, in dem sie schwört ihm nie von mir zu erzählen, steht nichts darin, dass ich nutzen könnte. Was hat sie dazu bewegt ihm das zu schwören, wenn auch nur auf Papier. Ich bin aufgewühlt und unruhig, meine Finger spielen miteinander, bis Chris sein Handy weglegt und meine Hand in seine nimmt.

"Hi, warum bist du so angespannt?" fragt er leise und ich brülle ihm in Gedanken entgegen: weil meine Welt Kopf steht, weil ich nichts weiß über meine Mutter oder über meinen Vater, weil ich ihn vielleicht treffen werde, vielleicht aber auch nur wieder in einer Sackgasse ende. Weil ich Daniel der unseren Traum gelebt hat treffen werde und ich hoffe es nicht zu bereuen, zwischen uns lief nie was, aber dennoch fühlt es sich an, wie einen EX zu treffen nur um sich zu fragen, wie es wohl an seiner Seite gewesen wäre, hätte man sich nicht getrennt.
Doch all das sage ich Chris nicht, ich habe ihn damit schon genug genervt die letzten Wochen. "Weil das alles schrecklich aufregend ist", sage ich schließlich wenig überzeugend und er küsst mich auf die Stirn, schiebt die Armlehne zwischen uns hoch und legt seinen Arm um mich. "Du bist eine schlechte Lügnerin Nora Hoefer", flüstert er mir in die Haare. Und ich lache lautlos, weil er recht hat.

Als wir gelandet sind und von New Jersey mit dem Airport shuttle in Richtung Manhattan fahren presse ich meine Nase ungefähr genauso oft an die Scheibe wie Anouk, wir staunen beide über den Big Apple. Unser Hotel ist im Greenwhich Village und alles ist extrem klein für eine so große Stadt. Das Zimmer das Chris und ich mit den Kindern haben, hat zwei Queensize Betten darin, die aber jeweils an einer Zimmerwand stehen. Es ist ein Witz, wenn man den Preis pro Nacht bedenkt, aber na gut. Anouk fragt fast augenblicklich, ob sie bei Tante Lina schlafen kann und als diese nichts dagegen hat, nimmt sie ihren Koffer und zieht zu Lina ins Zimmer nebenan. Rena und Pit haben das Zimmer gegenüber. Von der Reise sind wir alle ziemlich erledigt und beschließen erst morgen auf Erkundungstour zu gehen.

Der Mitbewohner Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt