Zeit der Heilung

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"Scheiß Tom. Ruhig atmen!"

Wie durch Watte hörte Tom die panischen Rufe seines Kollegen, doch er konnte die Worte gar nicht umsetzten. Es schien als würde sein Gehirn ihm nicht mehr gehorchen. Bilder seiner toten Frau und seinen erschossenen Mädchen geisterten vor seinem Augen herum und außer ein hilfloses Wimmern brachte er nichts mehr heraus.

"Leitstelle ich benötige dringend einen RTW für einen Kollegen. Nervenzusammenbruch."

Schrie Paul ins Funkgerät. Marc am anderen Ende bestätigte und Paul sprach weiter.

"Außerdem brauchen wir hier die Kripo, die Spusi und den Pathologen. Wir haben hier eine vierköpfige Familie, sieht nach erweiterten Suizid durch den Vater aus."

Mit einem seufzen setzte Paul sich neben Tom auf den Boden, nachdem die Leitstelle ihm auch diese Anforderungen bestätigt hatte.
Paul rüttelte Tom an der Schulter um ihn wieder zu sich zu bringen, doch dieser atmete noch immer viel zu schnell und starrte mit schreckensweiten Augen auf die Leiche vor ihm. Paul krabbelte um ihn herum, sodass er nun vor ihm saß und seinem Kollegen die Sicht auf die Tote verdeckte.

"Das ist nicht deine Familie. Amelie und den Kindern geht es gut."

Erklärte Paul mit lauter Stimmte und zwang Tom ihn anzusehen, indem er seinen Kopf in die Hände nahm.
Er wusste genau wie sehr sein Kollege während des Verschwindens von Amelie und Sam gelitten hatte und konnte sich ausmalen was gerade in ihm vorgehen musste.

"Ruhig atmen. Ein ... und aus."

Mit ruhiger, fester Stimme versuchte Paul den vor ihm hockenden Tom zu beruhigen und machte ihm vor wie er ruhiger atmen sollte. Tränen liefen Tom über das Gesicht und seine Pupille glitten panisch durch den Raum.
Doch es schien einigermaßen zu funktionieren, der Atem des hyperventilierenden Kollegen wurde etwas langsamer.

Mit ruhiger Stimmte wies Paul die nach zehn Minuten eintreffenden Kollegen an den Tatort zu sichern. Auch die Rettungskräfte trafen bald darauf ein, Oliver Dreyer mit den Sanitätern Franco Fabiano, Ralf Neumann und Marion Fröhlich kümmerten sich um Tom, der noch immer apathisch vor sich hinstarrend auf dem Boden saß. Paul war froh die Verantwortung für seinen Kollegen in die fähigen Hände der Rettungskräfte übergeben zu können.
Oliver versuchte mit Tom zu reden, doch dieser reagiert kaum und atmete noch immer deutlich zu schnell.

"Wir geben ihm ein Beruhigungsmittel und dann ab in die Klinik. Das musste irgendwann so kommen, nachdem was mit seiner Familie alles passiert ist. Das hält kein Mensch einfach so durch vor allen, wenn er tagtäglich mit den Schrecken unserer Gesellschaft konfrontiert wird."

Marion und Ralf nickten zustimmend und Franco zog im Hintergrund ein Medikament auf, während Ralf dem hyperventilierenden Tom eine Atemmaske überzog.
Marion legte einen Zugang über den Oli dem Polizisten das Beruhigungsmittel spitzte. Noch immer reagierte Tom nicht auf seine Umwelt, sondern starrte nur geschockt geradeaus.
Als das Beruhigungsmittel langsam seine Wirkung entfaltete merkte er wieder die Müdigkeit und Erschöpfung langsam von ihm Besitz ergriff. Er sank in die friedliche Welt des Schlafes, in der all die schrecklichen Dinge um ihn herum ganz egal wurden.

Als Tom nach einigen Stunden wieder aufwachte, lag er in einem weiß gestrichenem Zimmer. Neben seinem Bett auf dem Besucherstuhl saß eine Frau um die 40, die Tom nur allzu gut kannte.
Doktor Meyer die Psychologin der Polizeidirektion Köln hatte schon einige Stunden mit ihm verbracht. Sie wusste von all den Dingen die ihn beschäftigt hatten, als er von Düsseldorf nach Köln geflüchtet war. Dank ihr hatte er es geschafft den Verlust von Heinz zu verarbeiten und konnte wieder ohne ein schlechtes Gewissen glücklich sein.

"Hallo Tom. Ausgeschlafen?"

Fragte die Ärztin und sah von ihrer Zeitschrift auf die sie gelesen hatte.
Schuldbewusst sah Tom zu der Psychologin herüber und nickte schweigend.

"Klaus hat mich angerufen und mir berichtet was vorgefallen war. Ich dachte eigentlich wir beiden hätten eine Vereinbarung, du erinnerst dich?"

Wieder nickte Tom schweigen.

"Du hast versprochen, wenn sich etwas verändert oder es wieder zu Situation kommt mit denen du nur schwer klarkommst, meldest du dich sofort bei mir.
Das du deine Patenkinder und die Ehefrau deines verstorbenen Freundes wiedergetroffen hast ist doch eigentlich eine solche Veränderung. Das deine Frau und eine deiner Patenkinder, die inzwischen beide bei dir wohnen, entführt wurden ist wiederrum ganz sicher eine solche Veränderung und eine Situation mit der es dir auch sicherlich schwergefallen ist umzugehen. Oder?"

Erneut nickte Tom schweigend und schloss diesmal die Augen. Er wusste die Ärztin redete so mit ihm um ihn dazu zu bewegen selber zu erkennen, dass er eigentlich dringend Hilfe benötigte. Denn nur wenn er bereit war Hilfe anzunehmen konnte sie ihm auch wirklich helfen. Doch er wusste schon längst wie dumm er gewesen war nicht direkt einen Termin bei Frau Doktor Meyer gemacht zu haben.

"Ich denke dir ist klar das dieser Einsatz heute mehr als nur ein Warnschuss für dich war. Stell dir vor es wäre noch ein Täter lebend und bewaffnet vor Ort gewesen. Paul Richter wäre in dieser Situation absolut alleine gewesen ohne deine Rückendeckung."

Ohne Erbarmen versuchte die erfahrene Ärztin ihn zu einer Reaktion zu zwingen. Tränen schossen Tom in die Augen und er schluchzte laut auf.

"Ich weiß."

Flüsterte er und bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen.
Die Psychologen legte eine Hand auf seine Schulter und wartete bis er sich wieder beruhigt hatte.

"Gut, dass du das weißt. Ich habe mit Klaus geredet, den Rest der Woche bist du krankgeschrieben. Du darfst morgen wieder nach Hause, die Klinik will dich über Nacht zur Beobachtung hierbehalten. Ich habe dir für jeden Tag um 15 Uhr einen Termin bei mir in der Praxis gemacht. Montag bis Freitag.
Nächste Woche darfst du wieder Arbeiten aber erstmal nur im Innendienst. Zwei Wochen und jeden Mittag um 13 Uhr kommst du für eine Stunde zu mir in den dritten Stock. In drei Wochen sehen wir dann weiter. In Ordnung?"

Dankbar nickte Tom. Er hasste den Innendienst, aber aktuell war er eine Gefahr für seine Kollegen daher war das wohl das kleine Übel. Er musste erst einmal mit den Geschehnissen umgehen lernen und wieder klar kommen, dann würde er auch wieder normal seine Arbeit verrichten können. Vor der Zimmertür waren laute Stimmen zu hören.
Amelie diskutierte laut mit einer Ärztin wie es schien, die wohl verhindern wollte das sie das Zimmer betrat.

"Ich denke ihre Frau will sie nun erst einmal für sich haben. Wir sehen uns morgen."

"Danke."

Flüsterte Tom matt und winkte der Psychologin zu.
Da stürmte Amelie in das Zimmer, sah kurz zwischen Doktor Meyer und Tom hin und her, dann rannte sie zu ihm herüber und zog ihn in eine feste Umarmung.

"Ohh Gott es tut mir so leid. Ich habe nur auf mich und die Kinder geachtet und dabei gar nicht bemerkt wie schlecht es dir geht."

Flüsterte sie nach einigen Minuten und sah Tom mit Tränen in den Augen an.

"Nein Schatz dir muss das nicht leidtun. Natürlich warst du mit dir beschäftigt und den Mädchen. Es war dumm von mir nicht direkt zu meiner Psychologin zu gehen. Frau Doktor Meyer kennt mich, ich weiß das ich ihr alles anvertrauen kann. Ich dachte ... ich dachte einfach ich schaff das schon alleine. Aber das war dumm."

Amelie nickte und presste ihre Lippen auf seine, um ihn am Weiterreden zu hindern.

"Ich bin so froh das dir nichts passiert ist. Als Klaus anrief und erzählte das du im Krankenhaus liegst ..."

Sie brach ab und wieder traten Tränen in ihre Augen. Tom zog sie wieder in eine Umarmung und schweigend hielten sie sich aneinander fest.
Er wusste so wie Amelie und die Mädchen für ihn sein Leben bedeutete, war er neben den Kindern der wichtigsten Mensch in Amelies Leben. Sie würden einfach noch etwas Zeit brauchen um wieder ein sorgenfreies Leben zu führen.
Genau wie bei Sam die noch immer jede Nacht schreiend aus ihren Albträumen erwachte, brauchte auch Tom Zeit bist die Wunden der vergangenen Monate verheilen konnten.
Doch er würde nicht weiter davonlaufen und so tun als wäre alles in Ordnung. Er würde sich mit Doktor Meyers Hilfe mit den Geschehnissen auseinander setzten und sie überwinden lernen.
Gemeinsam als Familie würden sie diesen Schrecken überstehen und wieder glücklich werden.

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