Mutterpflichten

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Sam wartete bis es still im Haus wurde, bevor sie aus dem Bett kletterte und sich ihre Sachen schnappte.
Leise schlicht sie zur Zimmertür und öffnete diese.
Im Flur brannte Licht, entfernt waren Stimmen zu hören.
Viel zu gefährlich hinunterzuschleichen und die Haustür zu überprüfen.

Leise seufzte Sam und schloss die Zimmertür wieder.
Dann schlich sie zum Fenster, wenn der einfache Weg nicht möglich war, musste sie halt den harten Weg nehmen.
Als sie das Fenster öffnete rühre Ricky sich in ihrem Bett und richtete sich auf.

„Willst du echt abhauen?"

Sam drehte sich zu ihr um.

„Ich muss nach Hause und mich um meine kleine Schwester kümmern."

Flüsterte sie und kletterte auf den Fenstersims.

„Verletzt dich nicht."

Meinte Ricky und stand auf.
Sam verabschiedete sich von ihr, dann krallte sie sich am Fensterbrett fest und ließ sich hinab.
Als sie am Fenster baumelte ließ sie sich fallen.

Sie kam auf den Boden auf und ging in die Knie um die Wucht des Sturzes abzufangen.
Ein furchtbarer Schmerz schoss durch ihren Brustkorb.
Fast hatte sie den Zusammenprall mit dem Fahrradfahrer vergessen.
Stöhnend kauerte sie auf dem Boden und versuchte verzweifelt wieder Luft holen.
Der Schmerz ließ erst nach einigen Minuten nach und Sam richtete sich vorsichtig auf.

Ricky sah aus dem Fenster zu ihr herunter. Kurz signalisierte Sam ihr das alles ok war und winkte ihr zum Abschied.
Dann drehte sie sich um und rannte zu dem kleinen Gartenhaus, das sie am Abend gesehen hatte.
Hier kletterte sie auf das Dach und von da aus auf die Mauer.
Schnell sprang sie auf der anderen Seite hinab, ignorierte die Schmerzen die ihr erneut durch den Brustkorb schossen und joggte los.

Als sie einige hundert Meter zwischen sich und dem Kinderheim gebracht hatte, wechselte sie in ein gemütliches Tempo.
Sie musste unbedingt schauen ob es Leila gut ging.
Hoffentlich hatte sie noch etwas zu essen bekommen.
Oft konnte Leila bei einer Nachbarin mitessen, die ältere Frau hatte Mitleid mit der Kleinen und versorgte sie regelmäßig.
Aber vor einigen Tagen musste die Nachbarin Frau Hulsemann ins Krankenhaus, daher musste Sam nun für Leila sorgen.

Da ihr Brustkorb weiterhin schmerzte, legte Sam ein langsames Tempo vor und es dauerte über eine Stunde bis sie nach Hause gelaufen war.
Das ein oder andere Mal musste sie sich schnell vor der Polizei verstecken, denn eine Streife fuhr vorbei und kontrollierte die Gegend.
Weglaufen würde sie mit ihrer Verletzung sicher nicht können, also hieß es sich heute bloß nicht mehr erwischen zu lassen.

Sam erreichte das große Mehrfamilienhaus, wie so oft war die Eingangstür nur angelehnt und sie gelang ohne Aufsehen zu erregen hinein.
Im 18 Stock lauschte sie kurz an der Wohnungstür ihrer Mutter, dann klopfte sie in dem geheimen Tackt den Leila sofort erkennen würde.
Es dauerte nur einige Minuten, bis die Tür geöffnet wurde und ihre kleine Schwester sie anstrahlte.

„Ich hatte schon Angst die Polizei hätte dich für immer eingesperrt."

Flüsterte die Kleine als Sam sie in den Arm nahm.

„Quatsch, ich entwische denen doch immer wieder. Ist dir auch nichts passiert?"

Leila schüttelte den Kopf und lächelte sie an.

„Na dann schnell wieder ins Bett, aber leise."

Flüsterte Sam und betrat hinter Leila die Wohnung.
Sie schlichen in Richtung Kinderzimmer, da trat Leila gegen eine der vielen leeren Falschen die herumstanden.

Mit lautem Poltern und Klirren fiel die Flasche zu Boden und rollte einige Meter.
Wie erstarrt blieben die Mädchen stehen, Geräusche waren aus dem Wohnzimmer zu hören und wenige Sekunden später, stand die Mutter der beiden Mädchen wankend im Türrahmen.

„Was machst du hier!"

Lallte sie mit wütendem Blick.

„Ich habe dir gesagt, du sollst uns nicht mehr die Haare vom Kopf fressen!"

Vor Wut spie sie Spuke heraus und sah dadurch wie eine Geisteskranke aus.
Schnell schob Sam Leila in Richtung ihres Zimmers, damit die Kleine sich in Sicherheit brachte.
Leila lief in ihr Zimmer und schloss die Tür.
In dem Moment griff die Mutter nach einer leeren Flasche und schleuderte diese auf Sam.

„Du kleine Diebin, willst mir hier was klauen, nicht wahr?"

Brüllte sie dabei.
Sam die noch davon abgelenkt war, Leila in Sicherheit zu bringen, konnte der Flasche nicht mehr ausweichen.
Diese zischte knapp an ihrem Kopf vorbei und zerschellte hinter ihr an der Wand.
Splitter prasselten auf sie herab, und einige schienen ihr in Rücken und Nacken zu schneiden.
Sam legte schützend ihre Arme über den Kopf und erwartete das ihre Mutter weiter ausrastete.
Doch diese schien aufgrund der späten Stunde schon erschöpft zu sein.

„Räum das auf du unnützes Ding. Und dann raus hier!"

Giftete sie Sam an und wankte wieder zurück ins Wohnzimmer.
Zitternd stand Sam kurz im Flur und versuchte zuerst ihren Puls zu beruhigen, dann ging sie zu Leilas Zimmer und öffnete die Tür.
Leila hatte sich im Schrank versteckt, aber Sam fand sie recht schnell.

„Hey alles gut. Sie schläft jetzt wieder."

Flüsterte Sam und nahm die Kleine in den Arm.

„Sam, du bist verletzt."

Flüsterte die Kleine und deutete auf Sams Nacken. Tränen füllten die Augen des kleinen Mädchens und mit angsterfüllten Augen sah sie ihre große Schwester an.

„Alles gut, ich schau gleich mal."

Meine Sam und lächelte die Kleine beruhigend an.

„Ich muss jetzt aufräumen und dann gehen. Ich komm die Tage nochmal vorbei. Hast du heute was zu essen bekommen?"

Leila nickte und noch mehr Tränen füllten ihre Augen.

„Mach dir keine Sorgen, ich komm bald wieder."

Flüsterte Sam und umarmte sie noch einmal.

„Jetzt ab ins Bett mit dir."

Leila krabbelte aus dem Schrank und legte sich in ihr Bett.
Sam deckte sie ordentlich zu, strich ihr noch einmal durchs Haar und sagte ihr dann gute Nacht.
Danach verließ sie das Zimmer, löschte das Licht und schloss die Tür hinter sich.

Seufzend machte sie sich ins Bad auf um nach ihrer Verletzung zu schauen.
Ein großer Splitter war seitlich in ihren Nacken eingedrungen und auch in ihrer Schulter steckte ein weiterer Splitter. Ansonsten hatte sie nur ein paar kleinere Schnittwunden und Kratzer abbekommen.

Sam suchte nach etwas, das sie als Verbandsmaterial nutzen konnte.
In dem alten Spiegelschrank fand sie einige Wattepads.
Diese waren zwar schon uralt und recht schmutzig, aber es war aufjedenfall besser als nichts.
Mit einem Ruck zog sie den Splitter aus ihrem Nacken, die Wunde war mehrere Zentimeter tief und begann sogleich zu bluten.
Mit zusammengekniffenen Zähnen steckte Sam zwei der Wattepads in die Wunde und klebte ein Pflaster, welches sie ebenfalls im Spiegelschrank gefunden hatte darauf.
Der provisorische Verband hielt einigermaßen und nachdem Sam noch einige Zeit Druck auf die Wunde ausgeübt hatte, schien die Blutung langsam nach zu lassen.
Auch den Splitter in ihrer Schulter zog Sam schnell heraus, die Wunde war Gott sei dank nicht so tief.
Sie versorgte auch diese Wunde, dann räume sie schnell das Badezimmer auf.

Als nächstes holte sie den Besen aus der Speisekammer und fegte so leise wie möglich die Scherben im Flur auf.
Mit einem letzten wehmütigen Blick in Richtung des Zimmers ihrer Schwester, drehte sie sich zur Tür und verließ die Wohnung.
Was hatten sie beide nur falsch gemacht, dass sie eine solche Mutter verdient hatten?
Seufzend fuhr Sam sich durchs Haar, während sie auf den Fahrstuhl wartete.
Sowohl ihre Rippen wir auch die beiden Schnittwunden taten höllisch weh und sie war so müde.
Am liebsten hätte sie sich im Hausflur hingelegt und einfach nur geschlafen.
Aber sie musste einen Unterschlupf für die Nacht finden, hier würde nur jemand die Polizei rufen und sie käme wieder ins Heim.

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