Schuldgefühle

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Als Tom zuhause ankam, lag das Haus ruhig da.
Kein Licht brannte, Amelie musste bereits zu Bett gegangen sein.
Seufzend stieg er aus dem Wagen aus und schloss die Wohnungstür auf.

Eine Zeit stand er im dunklen Flur, dann zog er Jacke und Schuhe aus und ging ins Wohnzimmer.
Dort setzte er sich auf die Couch und legte seinen Kopf in seine Hände.
Tränen schossen ihm in die Augen und nun wo er unbeobachtet war ließ er sie zu.
Er schluchzte auf und immer mehr Tränen, trieb die Verzweiflung in ihm hoch.

Kaum bemerkte er, das jemand das Licht im Flur anmachte.
Wenig später setzte Amelie sich neben ihn und nahm ihn wortlos in den Arm.
Er brauchte einige Minuten bis er sich beruhigt hatte.
Dann löste er sich aus der Umarmung und sah seine Frau an.
Amelie saß im Schlafanzug vor ihm, ihr offenes Haar war leicht verwuschelt, so als hätte sie schon geschlafen.

„Ich wollte dich nicht wecken tut mir leid."

Flüsterte er mit brüchiger Stimme.
Amelie gab ihm ein Taschentuch und winkte ab.

„Ach was, das ist doch jetzt egal."

Geräuschvoll putzte Tom sich die Nase und wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht.
Amelie blieb derweil neben ihm sitzen und hatte immer noch einen Arm um ihn gelegt.

„Magst du mir erzählen was war? Schlimmer Einsatz?"

Fragte sie mitfühlen und sah ihn besorgt an.
Kurz stockte Tom, er hatte solange geschwiegen, auch vor seiner Frau die er doch über alles liebte.
Doch nun war es Zeit das Schweigen zu brechen.
Er räusperte sich und begann dann zu erzählen.

„In der Schule waren Heinz und ich beste Kumpel.
Wir haben zusammen Fußball gespielt, waren gemeinsam bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Als wir dann in der letzten Klasse der Realschule waren, haben wir beide überlegt was wir nach der Schule machen sollten.
Bei einer Messe haben wir den Stand der Polizei entdeckt und beide gemerkt, das ist es!
Also haben wir zusammen trainiert um den Eignungstest zu schaffen und das hat auch geklappt.
Wir sind zusammen zur Polizeischule.
Die Ausbildung war ganz und gar nicht einfach und hat uns nur noch mehr zusammengeschweißt.
Heinz hatte schon seit der Schulzeit eine feste Freundin, Nadine.
Die Beiden haben kurz, nachdem wir die Ausbildung beendet haben geheiratet und Heinz wollte das ich sein Trauzeuge werde.
Ein Jahr später, sind die beiden dann das erste Mal Eltern geworden und ich wurde Patenonkel für Samantha.
Ich habe damals einen Großenteil meiner Freizeit mit den beiden verbracht.
Da meine Mutter schon früh gestorben war und ich mit meinem Vater keinen guten Kontakt hatte, waren die beiden einfach wie meine Familie.
Die kleine Sam hat das Glück der beiden perfekt gemacht.
Für mich war sie fast wie ein eigenes Kind, ich habe ihr das Laufen und Sprechen geübt, den Babysitter gespielt, wenn die beiden mal wieder Zeit für sich brauchten.
Sechs Jahre später kam dann das zweite Kind der Beiden zur Welt. Leila.
Alles war perfekt."

Wieder kamen Tom Tränen hoch und seine Stimme versagte.
Amelie sah ihn etwas geschockt an.
Das sie von einem großen Teil seines Lebens gar nichts wusste, schien sie nicht erwartet zu haben.
Tom versuchte sich wieder zu sammeln und erzählte dann weiter.

„Am 4. Juli vor sechs Jahren hatten Heinz und ich Spätschicht.
Wir sollten zu einer Wohnung, aus der Schreien gemeldet wurden.
Wir haben die Wohnung gestürmt und durchsucht.
Plötzlich tauchte ein Mann im Wohnzimmer auf, er hatte eine Waffe und eröffnete sofort das Feuer auf uns.
Eine Kugel traf Heinz und nachdem ich den Mann entwaffnet und fixiert hatte, habe ich gesehen das er schwer verletzt war.
Die Kugel hatte seinen Hals zerfetzt, er verblutete vor meinen Augen.
Als die Rettungskräfte ankamen war es zu spät. ... Er war fort."

Schweigend saß Tom auf der Couch und sah wieder die Bilder dieses schrecklichen Tages vor seinem inneren Auge vorbeiziehen.
Amelie saß immer noch neben ihm und sagte kein Wort.
Doch sie streichelte weiter beruhigend seinen Arm.

„Ich bin dann irgendwann weg aus Düsseldorf. Ich konnte einfach nicht dableiben.
Ich habe Nadine und die Mädchen im Stich gelassen.
Als Nadine meine Kontaktversuche abgeblockt hat, habe ich es einfach sein gelassen.
Ich habe Heinz doch versprochen auf seine Mädchen aufzupassen.
Aber das habe ich nicht getan."

Verzweifelt sah er Amelie an.
Dann berichtete er ihr was die letzten Tage vorgefallen war, wie er entdeckt hatte das es sich bei dem getürmten Mädchen aus dem Kinderheim um Sam handelte und sie vermutlich aktuell in Lebensgefahr schwebte.
Wie er mit den Kollegen vom K11 die Wohnung von Nadine aufgesucht hatten und feststellen mussten, dass die Mädchen absolut vernachlässigt wurden.
Das Nadine ein starkes Alkoholproblem und dadurch ihr Leben nicht mehr im Griff hatte, war für ihn ein Schock. Amelie versuchte ihn zu beruhigen.

„Du bist daran nicht schuld, auch wenn du deinem Freund versprochen hast auf seine Kinder aufzupassen, wenn ihm was passiert.
Die Situation war einfach zu viel für dich um sie zu ertragen.
Das kann ich verstehen und du solltest aufhören dir deswegen Vorwürfe zu machen."

Versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Was passiert denn jetzt mit der Kleinen? Leila heißt sie oder?"

Tom nickte und sah Amelie dankbar an.
Er war ihr unglaublich dankbar, dass sie ihm nicht böse war weil er ihr die ganze Zeit diesen Teil seines Lebens verschwiegen hatte.
Eigentlich hatte er erwartet das sie ihm zumindest ein paar Vorwürfe machte.

„Leila ist in der Klinik am Südring. Doktor Martinson meinte sie wäre deutlich unterernährt und wollte sie daher ein paar Tage im Krankenhaus behalten.
Ich soll ihre Dokumente bringen die beweisen das ich der Patenonkel von ihr bin, dann würde sie mich vollumfänglich informieren."

Amelie nickte.

„Ok dann machen wir das morgen früh sofort. Ja?"

Tom nickte und nahm seine Frau in den Arm.

„Es tut mir leid das ich nie etwas gesagt habe.
Es war mir einfach so peinlich, das ich gekniffen habe und weggelaufen bin."

Flüsterte er ihr zu.
Amelie gab ihm einen Kuss.

„Ich bin dir nicht sauer, ich verstehe das.
Gut das du es mir jetzt erzählt hast."

Tom putzte sich erneut die Nase, dann stand er auf und reichte Amelie die Hand.

„Komm lass uns ins Bett gehen."

Amelie nahm seine Hand und zusammen gingen sie nach oben.
Tom putzte sich die Zähne und kam dann zu Amelie ins Bett.
Sie kuschelte sich in seine Arme und er versuchte seine Gedanken zu beruhigen.
Während seine Frau schnell in seinen Armen einschlief, brauchte er noch eine lange Zeit bis ihn die Müdigkeit endlich übermannte und er einschlief.

„Hoffentlich gab es morgen Neuigkeiten über Sam."

War das letzte woran er dachte bevor er endlich in einen unruhigen Schlaf glitt.

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