P.o.V. Jesper Hill
Möglichst unauffällig beobachtete ich das ungewöhnliche Mädchen zu meiner rechten Seite.
Sie hatte ihre Augen nur halb geöffnet, weil sie von der Sonne geblendet wurde, schaute aber trotzdem aufs Meer, während sie über meine letzte Frage nach dachte.
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr.
Lee hatte einen unfassbar vielschichtigen Charakter ich konnte nicht mal ansatzweise entscheiden, ob das was sie gerade zeigte eine Maske war oder ihren wahren Gefühlen nahe kam.
Aber das reizte mich noch viel mehr, Zeit mit ihr zu verbringen. Es gab wenige Leute, die ich tatsächlich interessant fand.
Aber Lee gehörte da auf jeden Fall zu.
Gerade wenn ich mir mein perfektes Urteil über sie gebildet hatte, machte sie wieder etwas, was im kompletten Kontrast zu der vorherigen Handlung stand und alles auf den Kopf warf.
Genauso war diese Ernsthaftigkeit, mit der sie jetzt unser Gespräch führte.
Mittlerweile waren wir bereits ein paar Stunden am reden und sogar lachen und wir hatten auch schon ein gutes Stück am Meer zurück gelegt. Währenddesen war unser Gespräch kein einziges mal unterbrochen worden.
Obwohl, das stimmte nicht ganz: Wir hatten beide öfters länger überlegt, um Sachen zu beantworten, aber das war gar nicht schlimm gewesen.
Ich konnte mich zur Zeit absolut damit zu frieden stellen, neben ihr am Strand her zu laufen, auch wenn ich, immer wenn unsere Arme sich zufällig berührten, das Bedürfniss hatte, ihre Hand zu nehmen.
Aber das wäre ganz sicher eine schlechte Idee.
Ich war mir schließlich immer noch nicht ganz sicher, ob sie jetzt mit mir sprach und über meine Witze lachte, weil sie es tatsächlich lustig fand, oder einfach nur, weil sie professionell war und eine gute Note haben wollte.
Manchmal merkte ich, wie sie ganz plötzlich beim lachen innehielt und sich eine kleine Falte auf ihrer Stirn bildete, als würde ihr bewusst werden, mit wem sie gerade lachte.
Das machte mir wiederum ein sehr schlechtes Gewissen. Mir war ja bewusst, dass ich bei Rachel einiges kaputt gemacht hatte, aber das sie so nachtragend war..
Aber es war die richtige Entscheidung gewesen, da war ich mir immer noch sicher.
,,Kann man eine Frage eigentlich auch überspringen?", fragtze Lee plötzlich, völlig unerwartet.
Sie drehte den Kopf jetzt zu mir, schaute mir aber nicht direkt in die Augen, wie sie es sonst immer, ganz kurz, für den Bruchteil einer Sekunde, am Anfang jeder ihrer Sätze machte.
Überrascht schaute ich sie an:,, Wieso, willst du nicht antworten?"
Sofort begann mein Gehirn, sämtliche schlimme Möglichkeiten zu entwickeln, warum Lee nicht auf die Frage antworten wollte, was sie für Familienmitglieder hatte.
Vielleicht war sie Obdachlos. Oder ihre Eltern schlugen sie. Oder sie existiereten gar nicht mehr.
Lee biss sich auf die Innenseite ihreer Wange. Schroff erwiederte sie:,, Na, es geht dich ja eigentlich auch nichts an"
Beschwichtigend hob ich meine Hände. Da hatte ich dann wohl meine- etwas enttäuschende Antwort: Sie beantwortete meine Fragen nur, weil sie es für unser Projekt eigentlich musste.
Es war kein Problem, wenn ich sie über ihren Musikgeschmack, die Freizeitaktivitäten oder der Superkraft, die sie am liebsten hätte, aus fragte. Aber Familie ging nicht. Okay.
Doch Lee schien das nicht okay zu finden. Frustriert schüttelte sie ihren Kopf:,, Ich glaube, wir haben schon mal den ersten Punkt für unsere Projekt: Für Freundschaft braucht es Vertrauen. Und da ich dir- und du mir- nicht vertraust, können wir wohl kaum als Versuchskaninchen fungieren"
Ich stöhnte. Was sollte man da zu sagen?
,,Warum vertraust du mir denn nicht?" Eine absolut dumme Frage, das wussten wir beide, aber was sollte ich machen?
Für einen kurzen Moment dachte ich an Hannah und Lene zu Hause. Sie waren es wert gewesen, alles andere auf zu geben. Und ich würde jetzt nicht wegen einem dämlichen Projekt alles hin schmeißen.
Also ignorierte ich Lees hochgezogene Augenbrauen.
Sie wollte mir nicht trauen? Okay, ich würde ihr auch nicht trauen! Da half es ihr auch absolut nicht, dass sie super cool aussah und, abgesehen davon, dass sie mich ständig hasste, einfach lustig war.
,,Weißt du was, du hast Recht, dass ist total dumm. Wir beide können einfach nicht Freunde werden, weil du von anfang an eine festgefahrene Sichtweise auf mich hattest, weil du nicht merken willst, das es nette Leute gibt. Du hast dir ja nicht mal Mühe gegeben. Das ist totale Zeitverschewndung gewesen, ich hab da auch keinen Bock mehr drauf.
Wir machen das einfach auf wissenschaftlicher Basis", warf ich ihr vor die Füße.
Lees Kiefer spannte sich leicht an, meistens ein Zeichen, dass ihre komplette Stimmung sich wieder änderte. Ihre Stimme war kalt wie Eis, als sie mich, fast verletzt anschaute:,, Gut. Du hast Recht, das war totaler Bockmist. Drei Stunden reden für den Arsch."
Das sie mir jetzt auch noch zustimmte, mache mich noch wütender. Ich wollte nicht, dass sie das auch so dachte. Ich wollte, dass sie so reagierte, wie alle anderen Mädchen auch, wenn ich ihnen das sagte.
Sie sollte mir zeigen, dass sie mich mochte. Sollte verletzt sein.Moment, das hatte ich nicht gedacht. Ich wollte mich mit ihr streiten.
,,Wo wir dann nicht mehr so tun müssen, als würden wir uns mögen kann ich dir ja wenigstens sagen, dass du eine egoistische, arrogante verzogene Göte bist. Kein Wunder, dass du nicht von deiner Familie erzählen möchtest. Wahrscheinlich hat sie dich verlassen, weil sie sich so sehr für dich geschämt haben", schmiss ich ihr, unbedacht und mehr wütend auf meine Gedanken als auf Lee, an den Kopf.
Ihr Kiefer spannte sich nocht mehr an, für einen Moment meinte ich etwas hinter ihrer Maske aus Wut vorblitzen zu sehen, doch dann drehte sie sich auch schon weg:,, Ach leck mich doch"
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Alone in the Underground
RandomTriggerwarnung* Allein sein: Für manche bedeutet es Traurigkeit. Für andere grenzenlose Einsamkeit. Doch Natalie hat sich daran gewöhnt. Sie musste es, von einem auf den anderen Tag. Sechs Jahre ist es schon her, dass ihr friedliches Leben plötzli...