Kapitel 100

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Erst bewegte ich nur meine Hände, dann versuchte ich heraus zu finden, wie viel Bewegungsfreiraum ich ungefähr mit meinen Beinen hatte. Die Erkenntnis dazu war ziemlich ernüchternd: Ich konnte nicht mal mein Bein vom Stuhl heben und die Schienbeine hatte man auch festgekettet.
Natürlich beging mein Vater keine Flüchtigkeitsfehler. Wer wusste auch, wie oft er schon jemanden entführt und in diesen Raum hier eingespeert hatte. Nach alllem, was Darling erzählt hatte, waren es sicher hundert mal gewesen.
Und kein einziges Mal hatte es jemand hier raus geschafft, sonst hätte man ja schon genug Beweise. Oder traute der oder die jenige, der es tatsächlich geschafft hatte zu entkommen, gar nicht mehr über das hier zu reden.
Aber so schlimm war es bis jetzt nicht unbedingt.
Es ging mir trotzdem schrecklich, aber dafür musste diese Situation nicht viel zu tun.
Eine gewisse Person reichte da schon vollkommen aus.
Ich versuchte ein bisschen auf dem Stuhl vor und zurück zu rutschen, oder damit zu kippeln, aber es bewegte sich rein gar nichts. Vielleicht war ich doch nicht auf einem komischen Stuhl gefesselt. Wer wusste das schon so genau?
Irgendwann begann ich zu reden. Oder eher zu schreien.
Mir war schon bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, jemand könnte mich in diesem Drecksloch hören, verschwindend gering war, jedoch hatte ich keine Lust mehr.
Wollten die mich hier einfach verdursten lassen?
Mit dem sterben hatte ich jetzt kein großes Prolem, auch wenn es ganz cool wäre, wenn ich den Tod meiner Mutter rächen könnte, aber Verdursten stand eindeutig nicht auf meiner Liste, wie ich sterben wollte.
Hätten sie sich da nicht etwas schnelleres überlegen können?
Denn da hatte ich mich früher, in meinen sechs Jahren, die ich alleine mit mir und meinen Gedanken war, mit beschäftigt. Und schon damals war mir bewusst geworden, dass nicht das sterben, sondern die Gedanken vorher und das tote Leben nachher Angst machten.

Die Tür quietschte und für einen Moment hörte ich nur Jespers Schritte, wie er zum Tandem ging, nach unserem missglücktem Ausflug. Es tat weh. Ich musste wirklich ganz kurz vor meinem Ableben stehen.
Die fremde Person, welche jetzt wahrscheinlich mit mir in einem Raum stand machte zwei Schritte, dann quietschte die Tür wieder.
Jetzt waren wir wohl eingespeert, in diesem Käfig.
Eigentlich hätte ich mit diesem Augenblick komplett beschäftigt sein müssen, aber schon der kurze Gedanke an Jesper hatte in mir eine erneute Welle des Entsetztens ausgelöst.
Wieder waren Schritte zu hören, während ich bloß stumm zu hörte, verzweifelt versuchte, meine Geanken von Jesper fern zu halten.
Wenn ich ehe schon starb, dann musste ich wenigstens meine Mutter rächen.
Ich musste unbedingt zu meinem Vater.
,,Heyyy, können Sie mich hören?", meine Stimme klang rau und eher schleppend, nachdem ich eben geschrien hatte und wirklich dringed Wasser brauchte.
Es gab wenigstens einen guten Punkt, an dem was Jesper gemacht hatte. Die meiste Zeit fehlten mir jetzt die Emotionen um mich um andere Sachen als ihn  zu kümmern.
Da keine Antwort kam, brabbelte ich ganz gelassen vor mich her, als würde ich bloß ein Gespäch mit einer Hallizunation führen. Vielleicht war es auch eine?
,,Wissen Sie, es ist echt sehr heiß unter diesem Sack und Durst habe ich auch. Deswegen wäre es echt nett, wenn Sie mich hier los machen würden. Fürs erste würd's auch reichen, wenn..."
,,Mädel, du hör auf zu labern und schrei gefälligst"
Irritiert hielt ich inne und drehte meinen Kopf etwas nach links, was überraschenderweise möglich war. Die Stimme war rau, vermutlich männlich und stand wo ganz anders, als ich ihn vermutet hätte.
Am meisten überraschte mich ja, was er gesagt hatte:,, Was meinen Sie damit?" Für einen kurzen Moment hatte ich Interesse an dieser Unterhaltung, dann musste ich daran denken, wie aufmerksam Jesper immer gewesen war und das wars dann auch schon wieder.
,,Schrei einfach"
,,Oh, da klingt aber jemand wütend. Was passiert denn sonst, rufen sie dann die Polizei.", ich lachte trocken auf und hätte am liebsten meine Trauer in die Welt hinausgeschrien. Was war nur falsch mit mir?
Die raue Stimme kam näher an mich:,, Entwender du schreist jetzt, oder ich bring dich zum schreien. Wir wollen doch eine schöne Botschaft für deine Freunde"
Ahh, das war also der Sinn davon.
Mein Selbsterhaltungssinn funktionierte wirklich nicht mehr, als ich antwortete:,, Guter Witz. Ich hab gar keine Freunde mehr"
Ein ärgerliches Schnauben war die einzige Vorwarnung dann ratschte etwas an meiner Nacken vorbei und plötzlich wurde ich von hellem Licht geblendet.
Bevor meine Augen sich an das Licht gewöhnen konnten hatte ich schon eine saftige Backpeipfe bekommen. Das genau Gegenteil davon, wie Jesper mir einemal einen Krümmel von der Wange gewischt hatte.
Vor mir stand ein kleiner, etwas gedrungender Mann in einem komplett grauen Raum, der nicht ansatzweise so gefährlich aussah, wie seine Stimme klang. Und damit war sowohl der MJann als auch der Raum gemeint. Das war jetzt nicht unbedingt ein kluger Schachzug, mir den Sack vom Kopf zu ziehen.
Aber ich war dankbar dafür, jetzt konnte ich wenigstens frische Luft einatmen.
Frech grinste ich ihm ins Gesicht, auch wenn meine Wange ganz schön brannte:,, Ich hätte aber eine Botschaft für Ihren Chef"
Der kleine Mann hob den Arm:,, Du bist unglaublich. Hattest du noch nicht genug"
Trotzig hob ich mein Kinn hoch:,, Nun, war das Angebot etwa nicht gut? Ich könnte auch noch gut Wasser gebrauchen, bevor ich mit David rede. Dann ist es etwas ausgewogener."
Ich hatte gerade die letzten Worte ausgesprochen, da schlug er mich das zweite mal.
,,Können sie beim nächsten mal bitte die andere Seite nehmen?"
Zack, ein drittes mal.
Beim vierten Mal tat es weh.
Aber irgendwie war es ein schöner Ausgleich.
Der Seeleschmerz rückte für den Moment in den Hintergrund.

Alone in the UndergroundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt