Kapitel 10

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Es war so schrecklich. Ich konnte wirklich nicht rennen, oder generell atmen, wenn ich wütend war, denn dann machte alles sofort dicht bei mir. Ich bekam keine Luft mehr und hörte mich exakt so an, wie ein sehr altes, kaputtes Gerät, was auch noch komplett unnützlich war. Das wiederum regte mich dann weiter so auf, dass ich noch weniger atmen konnte.
Sonst, wenn ich meine Gefühle unter Kontrolle hatte, dann war alles gut, ich konnte ganz normal an mein Limit gehen, mir alles gut einteilen. Auch so, war es mir natürlich möglich zu atmen, allerdings gab es so manche Situationen, da rastete ich einfach komplett aus vor Wut.
Schwer atmend und keuchend stand ich also vielleicht hundert Meter von unserem Haus entfernt, da kamen mir, schon wieder, fast die Tränen.
Was dachte Sandara sich da bitteschön bei? Sie konnte doch nicht einfach umziehen. War es überhaupt erlaubt, so schnell den Job zu kündigen? Oder hatte sie das schon länger geplant und mir einfach nur nichts mitgeteilt, damit ich gar keine andere Möglichkeit hatte, als mit zu machen?
Allerdings glaubte ich das auch nicht, weil sie noch nicht so lange mit dem misteriösen Brandon, zu dem ich nichtmal ein Gesicht hatte, zusammen war und dazu einfach eine Person war, die gar nichts plante.  Selbst beiden Überweisungen hatte sie es schon öfters verpennt, Stromrechnungen zu bezahlen, sodass wir regelmäßig unregelmäßig ohne Strom, Wasser oder sonstigem da standen.
Etwas langsamer ging ich weiter, sobald meine Atmung sich etwas beruhigt und ich meinen Gefühlsausbruch zumindest äußerlich unter Kontrolle bekommen hatte. Aber in mir drinnen brodelte es weiterhin vor Wut.
Es blieb mir schlichtweg nichts anderes übrig, als mit nach Deleware zu ziehen, denn hier konnte ich mir sicherlich nicht unsere Wohnung leisten. Und selbst wenn, würde unsere wunderbare Nachbarin innerhalb eines Monats das Jugendamt rufen, damit sie mich in ein Heim steckten, was ich auf keinen Fall wollte.
An sich war es sicherlich nicht schlimm, doch ich wollte es wirklich nicht. Ich hatte bei meiner Tante genau einen Vorteil gehabt, nämlich die Freiheit, tun und lassen zu können, was immer ich wollte. Natürlich nur so, dass sie keine Probleme bekam, doch wenn ich ins Heim gehen würde, dann wäre es vorbei mit meinen nächtlichen Ausflügen.
Allerdings war nicht klar, ob es in Delewar, da wo immer ich irgendwann landen würde, überhaupt Gangs gab. Selbst wenn, wollte ich nicht, nach sechs Jahren der harten Arbeit und Treue, einfach so wechseln. Die Kings waren meine Gang, mein zu Hause.
Plötzlich fühlte ich wieder diese entsetzliche Leere und beschleunigte wie von selbst wieder mein Tempo, als könnte ich vor meinen Problemen weg laufen. Ich wollte einfach nicht, dass es so weiter lief wie jetzt, denn das war einfach nur beschissen.
Vielleicht wäre es ja sogar gut, wenn ich mal hier raus kam, weg von all diesen Erinnerungen, die mich doch immer nur an was schlechtes, all die Schlimmen, immer noch nicht verheilten Wunden erinnerte.
Nur wenn ich hier weg ging, dann würde ich auch meine Mutter in gewisser Weise verlassen. Sie war erst nach unserer Geburt hier hingezogen, aber trotzdem war es schön sich vor zu stellen, dass sie früher durch die selben Straßen wie ich gelaufen war.
Denn sie war die einzige, welche mich nicht verlassen hatte. Während meine Brüder am selben Tag weggelaufen waren, hätte sie für mich gesorgt- nur war sie da schon leider tot. Manchmal fragte ich mich, ob meine Brüder überhaupt wussten, dass sie tot war, oder, was ein noch viel schlimmerer Gedanke war, sie etwas damit zu tun hatten. 

In Gedanken versunken hatte ich die Stelle erreicht, wo der Eingang zum Ring war. Wahrscheinlich hatte ich heute so ziemlich die ganze Trainingshalle für mich alleine, weil die meisten heute ganz damit beschäftigt waren, sich durch den Job zu quälen und dann den Rest ihres Rausches aus zu schlafen.
Allerdings sah ich, trotz meines Tunnelblickes, den ich auf dem Weg hierhin bekommen hatte, sofort Oliver und Darling, die vor der leeren Bar lehnten und sich angeregt unterhielten.
Kurz überlegte ich, sie einfach zu ignorieren und sofort weiter zu den Boxsäcken zu laufen, doch da hatten sie mich schon gesehen und schauten freundlich zu mir rüber. Verdammt.
So gut es ging versuchte ich eine undurchdringliche Miene auf zu setzten, doch da fragte Oliver schon:,, Lee, alles gut?"
Schon allein die Frage ließ die Wut in mir nochmal neu hochkochen. Ob alles gut war? Nein! Natürlich nicht, meine Tante hatte gerade mein Leben, was ich so sorgfältig zusammengeflickt hatte, wieder in Teile gerissen!
Und erstaunlicher Weise warf ich ihm genau die Antwort vor die Füßen. Überrascht schaute ich auf den Boden. Ich hatte das nicht wirklich geschrien, oder? Aber den unsicheren Blicken der beide zu folge, musste es wohl wahr sein.
Sofort begann ich damit zurück zu rudern:,, Sorry, so war das natürlich nicht gemeint, ich habe mich nur etwas aufgeregt, alles ist gut. Ich habe nur einen kleinen Anfall bekommen, aber eigentlich hatte ich es aus eilig, ich muss unbedingt noch weg..."
,,Hey, Lee, komm mal her, wir wissen alle, dass dein totaler Ernst war. Also, erzähl einfach. Was ist los bei dir?", unterbrach Oliver mich mit besorgter und gleichzeitig mitfühlender Miene, die mich sofort abschreckte. Keiner sollte Mitleid mit mir haben müssen.
Aber Darling sagte genau das richtige:,, Wir wissen, dass du denkst, du musst da alleine durch, aber es schadet doch nicht, uns was zu erzählen, vielleicht finden wir ja eine Lösung."
Mein erster Reflex war die Augen zu verdrehen, aber vielleicht hatte sie ja Recht. Ich brauchte ernsthaft Hilfe und in drei Tagen würde ich ja wahrscheinlich ehe nicht mehr da sein, was machte es schon, wenn sie mir dann mal aus dem dreck halfen.

Alone in the UndergroundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt