Kapitel 64

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Etwas benommen, schließlich war ich sicherlich drei Meter gefallen, klopfte ich mir Dreck mehr auf die Hose als runter, während ich in Lees Gesicht schaute.
Die wirkte nicht sonderlich erfreut, mich an zu treffen. Komisch, dabei hatte sie sicher mit Besuchern gerechnet, wo sie schon so früh aufgestanden und an so einen abgelegenen Ort gegangen war.
Erst ein paar Momente später bemerkte ich, dass sie heulte.
Und schon wieder musste ich das Bild von Lee neu zusammen puzzeln.
Ich hatte sie jetzt schon öfters weinen sehen, und jedes mal fühlte ich ihren Schmerz mehr mit. Aber diesmal war es am schlimmsten.
Denn als sie da vor mir stand, mit angeschwollenen Augen, einer eindeutigen Bisswunde im Arm und generell total zerzaust aussah, wurde mir bewusst, dass sie ganz absichtlich hier hin gekommen war. Sie hatte gerade kein aktuelles schlechtes Ereigniss gehabt, doch die Trauer- oder was auch immer sie so sehr zum weinen brachte- die hatte sich bei ihr angesammelt, bis sie wohl gemerkt haben musste, dass sie ihre Tränen nicht mehr lange zurückhalten konnte und deshalb zu einem abgelegnen Ort verschwunden war, damit keiner ihre Schwäche sah.
Und sie sah wirklich überhaupt nicht erfreut darüber aus, dass ich jetzt hier im Sand hockte.
Um Gottes Willen, vermutlich dachte sie noch, dass ich sie wie ein kranker Stalker verfolgt hatte. Aber so viel Zurückhaltung besaß ich überraschender Weise noch. Meine Gedanken hatten sie überall hin verfolgt, aber ich selber war ein ganz braver Junge gewesen. Genauso, wie ich erzogen wurde. Hahaha, Galgenhumor im Kopf hatte schon was.
Trotzdem war ich ziemlich geschockt, als sie mich ein paar Minuten, oder vielleicht auch nur Sekunden lang anstarrte, sich dann jedoch bloß umdrehte und weiter heulte.
Das war so gar nicht Lee- typisch, falls irgendwas für sie typisch gewesen wäre. Die Lee, die ich größtenteils kannte, hätte mich jetzt angeschnauzt, dass ich meinen fetten Arsch hier wegbewegen sollte, woraufhin ich wenigstens etwas machen könnte.
Jetzt saß ich da und schaute zu, wie sie schluchzend ein und ausamtmete, in dem letzten Versuch, nicht wieder laut auf zu schreien.
Vorsichtig stand ich auf und bewegte mich langsam auf sie zu, als wäre sie ein verschrecktes Pferd.
Ihr erklären, dass ich KEIN kranker Stalker war, konnte ich später noch, jetzt sollte ich mich erstmal darum kümmern, dass sie sich beruhigte.
,,Hey... Lee... Was ist passiert"
Sanft legte ich ihr eine Hand auf den Rücken, um zu schauen, wie sie auf Berührung reagierte. Denn ich wusste ziemlich sicher, dass wir hier kein klärendes Gespräch führen könnten. Denn manche Probleme,bei denen gab es einfach keine gute Lösung, nur eine Hoffnung auf Besserung oder ein Wunder.
Lee zuckte zusammen, aber wenigstens drehte sie sich nicht weg, oder schmiss mich wieder auf den Boden, was ich als Einladung wertete, sie vorsichtig von hinten zu umarmen.
Vielleicht sah Lee das nicht so, weil sie mir nicht traute, aber ich war bereit, für sie da zu sein. Der Deal war lächerlich, ich würde ihr auch so erzählen, warum ich Rachel die Freudchaft gekündigt hatte.
Gerade würde ich vermutlich so ziemlich alles tun, damit es ihr für einen winzigen, kleinen Moment besser ging und sie mir ihr echtes Lächeln zeigte, was manchmal zwischen ihrer Maske, die sie der Welt zeigte, auf blitzt.
Doch statt es besser zu machen schüttelte Lee sich Regelrecht unter den Heulkrämpfen, als wäre meine Umarmung die Hölle, während ihre Finger sich gleichzeitig in meine Haut gruben, dass ich unwillkürlich zusammen zuckte.
Doch der Schmerz war nichts im Gegensatz zu dem, was Lee gerade fühlen musste. Ich wusste nicht, wie lange ich sie im Arm hielt, aber irgendwann schlief mein linkes Bein ein.
Manchmal wurde sie etwas ruhiger, doch dann, als würde sie sich an etwas erinnern schluchzte sie wieder auf und das ganze begann von vorne.
Wieder und wieder vibrierte mein Handy in der Tasche, aber ich ignorierte es einfach mal. Die Jungs hatten sich noch gegenseitig, Lee schien den Luxus nicht zu haben.
Gerade, als ich dachte, es würde besser werden, hielt sie plötzlich die Luft an, entzog sich meiner Umarmung und öffnete, immer noch mit dem Rücken zu mir, ihre Jackentasche, wo sie ihr Handy raus kramte.
Sie tippte irgendwas, dann steckte sie ihr Handy wieder weg und drehe sich zögerlich zu mir um,wobei sie Augenkontakt mied.
,,Du kannst gehen, wenn du willst"
Lees Stimme klang brüchig, leise und einfach nur besiegt.
Ich versuchte sie aufmunternd an zu lächeln, obwohl mir gerade irgendwie auch nach heulen zu mute war:,, Mach dir keine Sorgen, heute wollte ich ehe die Schule schwänzen"
Und plötzlich hatte ich ihre gesamte Aufmerksamkeit.
,,Wieso?", ihre Stimme klang atemlos, hoffnung glitzterte in ihren Augen.
Ich runzelte leicht die Stirn.
Ich hatte Recht gehabt.
Die Jungs hatten Recht gehabt.
Dieses Mädchen kannte sie irgendwoher.
Sie wusste, dass wir diesen Tag immer gemeinsam schwänzten.
War nur die Frage, woher.
Ich schaute sie eindringlich an:,, Lee, woher kennst du meine Freunde?"
Und zack, schon standen wieder Tränen in ihren Augen, die sie diesmal jedoch ernergisch wegwischte.
,,Sag mir bitte einfach, ob sie glücklich sind", bat sie mich.
Ich seuftze:,, Nein. Natürlich nicht. Und  ich glaube, das weißt du. Also antworte bitte."
Für einen Moment dachte ich, Lee würde nicht antworten. Ihr Gesicht verschloss sich komplett, ihre ganze Haltug wies einen ab, aber ich blieb hartennäckig.
Vielleicht ging es mich nicht an, aber ihr ging es doch auch schlecht. Vielleicht half das!
Lee schaute auf eine Stelle hinter mir, sodass ich schon dachte, jemand stände dort.
Schnell drehte mich um....
und erstarte.
Hinter mir war keine Person.
Hinter mir waren zwei Grabsteine.

Alone in the UndergroundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt