Kapitel 9

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Erschöpft schloss ich die Haustür auf und wurde von einer Staubwolke empfangen. Ähm, okay. Mir war bewusst, dass es hier nicht gerade sauber war, aber wenn der Staub so durch die Gegend wirbelte, bedeutete es, dass Sandra einen ihrer Putzanfälle bekommen hatte, in denen sie sich einen Raum vornahm und all das Zeug, was sie besaß einmal abstaubte und dann irgendwo anders abstellte. Sehr effektiv. Nicht.
Das sie das mitten in ihrer, gestern Abend noch sehr schönen Beziehung machte, wie ich aus dem Geräuschen, die über meine Kopfhörer gekommen waren, schloss, war jedoch sehr ungewöhnlich.
Gerade kam meine Tante auch schon mit einem Karton im Arm die Treppe runter gelaufen, sie sah richtig gut gelaunt aus. ,,Natalie Schatz, du wirst dir nicht vorstellen, was Brandon und ich vorhaben?"
,,Brandon?", echote ich immer noch etwas verwirrt von dem ,,Schatz" . Auf ihrer Stirn bildete sich die erste Ärger-Falte:,, Brandon, mein Freund." Oh, er hieß doch nicht Greg, ups, passierte, wenn sie ständig ihre Freunde wechselte.
Allerdings sollte ich mir jetzt besser keine Fehler mehr leisten, sonst würde Sandara ganz schnell ihre gute Laune verlieren, was, mir bis zu einem gewissen Grad auch egal war, aber in der Küche roch es verdächtig nach Tiefkühltruhpizza, da wollte ich es nicht riskieren, sofort ohne etwas mitgehen zu lassen, nach oben geschickt zu werden.
Also entschied ich mich zu einem entschuldigenden Blick und wartete darauf, dass sie fortfurt, was ich am Ende bitter bereute.
,,Brandi wollte sowieso auf eine Weltreise gehen, aber gestern Abend haben wir ganz spontan beschlossen, dass ich mitkomme. Ich habe kurzfristig gekündigt, werde die Wohnung auch kündigen und in drei Tagen geht mein Flug, nach Delewar." Mit einem so fröhlichen Lächeln, wie ich es noch nie auf dem Gesicht meiner Tante gesehen hatte, schwang sie ihre Hüften:,, Nie wieder an der Kasse sitzten, nur noch Sommer, Sonne und Strand. Und das alles zusammen mit Brandon!"
Komplett überfordert und irritiert schaute ich sie an. Sandara, meine Tante hatte also gestern beschlossen, alles hin zu schmeißen um auf Weltreise zu gehen. So weit war das ja auch echt schön für sie, aber die Frage war dann nur... ,,Und was ist mit mir?", platzte es aus mir raus, wobei ich wie ein eifersüchtiges Kleinkind klang und sich eine weitere Ärger-Falte auf Sandaras Stirn verursachte.
Da verpuffte gerade mein Traum von Pizza.
Aber das war mir im Moment tatsächlich mal egal, denn ich wurde hier gerade vor die Tatsache gestellt, dass ich mir eine neue Unterkunft suchen musste. Im Prinzip warf meine eigene Tante mich gerade vor die Tür, um mit jemanden, den sie höchstens seit einem Monat kannte, irgendwohin zu reise.
,,Was soll mit dir sein? Du kannst hier nicht mehr wohnen, außer du bezahlst die Miete komplett alleine. Aber ich dachte, dass du einfach mit nach Delewar kommst, da dann auf irgendeine Schule gehst und dein Leben lebst. So können wir etwas das Sorgerecht von mir umgehen, wenn ich mich auch als Bewoner der Wohnung eintrage. Oder du kommst ins Heim", sagte sie, bereits sichtlich angepisst, dass ich mir so viele unnötige Gedanken um meine Zukunft machte, anstatt mich über ich Glück zu freuen.
Bevor ich was einwenden konnte fügte sie hinzu:,, Ich habe mit dem Vermieter schon gesprochen, die Möbel könnn drinnen bleiben, den Rest schaut er sich morgen an, also fang schon mal an, deinen Saustall auf zu räumen und helf dann mir"
Jetzt war mein Geduldsfaden eindeutig gerissen. Das konnte nich t ihr ernst sein! Sie war meine Erziehungsberechtigte, musste dafür sorgen, dass es mir gut ging, aber was machte Sandara? Genau, gar nichts. Sonst kümmerte sie sich ja schon äußersr selten um mich, aber das setzte dem ganzen noch die Krone auf.
Sie konnte nicht einfach von mir verlangen, von heute auf gestern einen Koffer zu packen, in den Flieger zu steigen und irgendwo plötzlich zur Schule zu gehen. Die Schule mitten im Jahr zu wechseln war ein extremer Papierkram, zumindest hörte es sich danach an. Und den würde meine ach so tollte Tante sicherlich nict machen.
Außerdem würde ich erstmal eine Wohnung finden müssen, denn so wie es sich anhörte, würde Sandara es maximal zulassen, dass wir im selben Taxi zum Flughafen flogen, und wenn sie erstmal in Delewar war, würde sie sich sicherlich gar nicht mehr um mich kümmern.
Und ich müsste alles was ich hier hatte verlassen. Hier lag meine Mutter auf dem Friedhof, ich war der feste Bestandteil in einer Gang, wo ich mir gestern nochmal einen besseren Stand gesichert hatte. Zwar hatte ich keine Freunde, aber trotzdem.
Gegen all diese Wut, die sich auf sechs verdammte Jahre gegen Sandara angestaut hatte, stand immer nur ein einziges Argument: Ich wollte nicht ins Heim.
Denn sie meinte ihre Drohung eindeutig ernst, wenn ich nicht genug bezahlte, oder ihr zu viel gegen den Strich ging, dann würde sie mich ohne mit der Wimper zu zucken in irgendwein Heim schicken.
Manchmal hatte ich mir sogar selber Internate raus gesucht, auf die ich gehen könnte, doch dafür hattem mir immer das Geld und auch der Mut gefehlt.
Also war ich bei Sandara geblieben, hatte das brave Mädchen gespielt und alles an meinem Boxsack ausgelassen.
Aber jetzt, es fiel mir schon verdammt schwer, einfach nur den Mund zu halten und wortlos an ihr vorbei die Treppe herauf zu stapfen. Ich rauchte vor Wut, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und wusste nur noch eins: Ich musste hier raus.
Wie blind schmiss ich meinen Rucksack in die Ecke, schloss die Tür von innen ab, schlüpfte dann durchs Fenster und rannte diesmal einfach bis in den Wald.
Zumindest hatte ich vor, den ganzen Weg zu rennen, was meine Atemnot sofort zu nichte machte.

Alone in the UndergroundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt