Die beiden Telefonate dauerten insgesamt nicht mal zehn Sekunden, aber das war Darling schon zu lange. Unruhig schaute sie sich immer wieder um und zog dabei eine Pistole aus ihrer Bauchtasche, von der ich dachte, dass dort nur das Handy drin lag.
,,Du knallst mich jetzt aber nicht ab?", es war eigentlich nur ein Spaß, aber unterbewusst machte ich mich schon mal bereit, gegen eine weitere Person, von der ich dachte, dass sie eigentlich auf meiner Seite stand, zu kämpfen.
Darling schüttelte den Kopf, wobei ihre roten kurzen Haare nur so um sie herum flogen. Für einen Moment entspannte sich ihre Haltung, doch dann hörte sie irgendwas, was meinen Ohren verborgen blieb und die ganze Anspannung kam wieder zurück.
Erst jetzt fiel mir auf, wie dünn Darling geworden war.
Zwar hatte sie nichts an Muskeln verloren, doch ihre Wangen waren eingefallen, unter den Augen lagen dunkele Schatten, als sei es Ewigkeiten her, dass sie das letzte mal gut geschlafen hatte.
Mich beschlich das schlechte Gefühl, dass Darling noch mehr wusste als wir alle zusammen und diese uns noch verborgenen Sachen sehr viel schlimmer als erwartet sein würden.
,,Darling, geht es dir gut?", versuchte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, weil es mich auch ziemlich nervös machte, wenn ihr Blick ständig von der einen Ecke zur anderen flog.
Sie nickte bloß fahrig und zielte dann mit ihrer Pistole neben dem Container vorbei, hinter dem wir hockten:,, Psst, da kommt einer"
Ich drängte sie etwas zur Seite:,, Das ist nur Jesper, alles ist gut. Er steht auf unserer Seite. Eigentlich"
Nun schaute Darling mich für einen Moment forschend an, richtete dann ihre Pistole jedoch auf eine weitere nahende Person. Rachel.
,,Auf Rachel musst du auch nicht zielen. Ich ruf gleich ein Taxi, das bringt uns dann zu unserer Unterkunft. Und dort können wir ungestört reden.", versuchte ich sie zu beruhigen und drückte den Lauf der Pistole nach unten. Egal wie enttäuscht ich von den beiden war, Darling sollte sie auf keinen Fall erschießen.
Außer Atem kam Jesper auf uns zu gelaufen. Unser Versteck war wohl wirklich nicht so gut, wenn er uns schon von so weitem sehen konnte. Oder es war einfach auffällig, wenn da irgendwo eine Pistole zwischen den Containern hervor lugte.
Ich trat, Darlings verärgertes zischen ignorierend, hinter dem Container hervor und grub meine Hände in meine Hosentasche . Was sollte ich jetzt machen? Erstmal eine Vorstellungsrunde? Oder einfach Rachels und Jespers Anwesenheit ignorieren?
Das summen meines Handys nahm mir die Entscheidung ab.
Meine Erleichterung darüber verwandelte sich in ein riesengroßes Lächeln, als ich sah, wer da anrief.
,,Alex!" , rief ich in den Hörer, für einen Moment einfach nur froh, dass sie scheinbar noch am Leben waren.
Er lachte ein bisschen, weil ich so euphorisch reagierte, wurde dann jedoch ziemlich schnell wieder ernst:,, Wie läuft es bei euch, Schwesterherz?"
,,Ganz gut, ich bring noch etwas Unterstützung mit, aber wir sind gleich da. Was ist mit euch?"
,,Wir sind jetzt auch auf dem Rückweg, es hat sehr gut geklappt. Ich muss jetzt Schluss machen, wir sehen uns dann ja gleich"
Ich nickte bloß und starrte noch ein paar Sekunden auf den Bildschirm, nachdem Alex aufgelegt hatte. Meine Brüder waren alle in Sicherheit, wir hatten Darling gefunden, das war doch schon ein Erfolg.
Darling war es, die dazu drängte, nicht einfach mitten auf dem Schulhof stehen zu bleiben :,,Lee, ruf bitte ein Taxi an, es ist wirklich nicht sicher hier"
,,Ich kann das machen", unterbrach Rachel meinen Versuch irgendwas zu sagen.
Mit einem schulterzucken nickte ich, bevor ich Darling fragte:,, Ab wann vermisst dein Vater dich?"
Sie zuckte mit den Schultern und kaute sich nervös auf der Lippe rum:,, Das ist noch ein Problem. Er ist zwar nicht zu Hause, hat dort aber einen Bewegungsmelder eingebaut, der ihm sofort meldet, wenn jemand ins Haus geht. Und wenn ich nicht nach zwei Stunden vom joggen da bin dann schlägt er wahrscheinlich Alarm"
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich Darling genauer. Ihr Vater schien genauso viel Panik zu haben, wie sie. Hatte er Angst, dass seine Tochter, einfach so verschleppt wurde, oder warum ließ er sie zusätzlich auch noch mit einer Pistole rum rennen?
,,Wäre es ein Problem, wenn wir dann zu dir kommen?", schlug ich zögerlich vor, wobei ich ganz demonstrativ Jesper ignorierte, der ein ungläubiges schnauben ausstieß, was zeigen sollte, wie sehr er Darling misstraute.
Jetzt war es offiziell: Ich gehörte zu den naivsten Menschen auf der ganzen Welt. Oder vielleicht auch im Universum. Vor ein paar Stunden hatte ein angeblicher Freund von mir mich hintergangen und jetzt vertraute ich schon wieder der nächsten Person.
Aber Darling...Sie war keine gute Schauspielerin.
Die Darling, die ich kannte, scheute nicht davor zurück, jeder Person ganz direkt ihre Meinung ins Gesicht zu sagen. Generell schreckte Darling normalerweise vor nichts zurück.
Doch jetzt...
Ihr Blick huschte unaufhörlich von einer Person zur anderen, ihre knochigen Finger hatten den Griff der Pistole fest umklammert. Von der Kleidung hatte sich nichts geändert, doch die täuschte auch nicht über ihre Nervosität hinweg.
Unsicher schüttelte Darling den Kopf:,, Nein, eigentlich nicht..." sie schielte zu Jesper und Rachel ,,Könnt ihr mir irgendwie beweisen, dass ich euch trauen kann?"
Ich hob meine Augenbrauen:,, Kannst du es?"
Kurz huschte ein Läceln über Darlings Gesicht, als wolle sie etwas sarkastisches erwiedern, aber dann überlegte sie es sich doch anders:,, Nein, aber ihr seid zu dritt. Wenn ihr auch noch Waffen bei euch tragt.."
,,Schön wär's", grummelte Jesper, woraufhin ich ihm einen scharfen Blick zu warf. Wir mussten Darling davon überzeugen, dass sie uns trauen konnte, dabei waren versteckte Drohungen ganz sicher nicht förderlich.
,,Was auch immer wir entscheiden, dass Taxi ist in fünf Minuten da", meldete Rachel sich zu Wort.
DU LIEST GERADE
Alone in the Underground
RandomTriggerwarnung* Allein sein: Für manche bedeutet es Traurigkeit. Für andere grenzenlose Einsamkeit. Doch Natalie hat sich daran gewöhnt. Sie musste es, von einem auf den anderen Tag. Sechs Jahre ist es schon her, dass ihr friedliches Leben plötzli...