Kapitel 134

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Christine schwieg, während ich den Blick abwandt.
Ein unangenehmes Schweigen herrschte zwischen uns.
Eine Art von Schweigen, die ich immer mit Worten füllen wollte.
Ich konnte solche Arten von Stille noch nie haben.
Aber leider fiel mir kein unverfängliches Thema für eine Konversation zwischen uns beiden ein.
Chris und ich hatten Jahre lang kein vernünftiges Wort geredet. Um genau zu sein hatten wir uns seit fast 6 Jahren nur gehässige Kommentare an den Kopf geworfen, da gab es wenige Nettigkeiten zum Austauschen.
Und vorher hatte ich, bei jeder kleinen Stichelei geflennt wie ein kleines Baby.
Irgendwann war ich dann anders geworden, die Situation zwischen uns war anders geworden. Dann hatte ich ihre Sticheleien  pariert, mit genauso verletztenden Worten, die nicht selten auch unter die Gürtellinie zielten.
Wenn man es so betrachtet hatten Chris uns gegenseitig in einer Abwärtsspirale bewegt.
Vielleicht hatte sie angefangen, aber irgendwann hatte ich mich gewehrt.
Wenn ich einen schlechten, also einen sehr wütenden Tag gehabt hatte,dann hatte ich mich manchmal fast darauf gefreut Chris und ihre Freundinnen zu sehen, nur um ihnen hässliche Dinge an den Kopf zu werfen.
Chris musste es genauso gegangen sein.
War ich einer der Gründe, warum sie jetzt hier lag?

Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich in Gedanken versunken an eine Stelle auf den Boden gestarrt hatte, bis Chris sich räusperte.
,,Und warum bist du hier, Psycho?",fragte sie mich.
Und in ihrer Frage lag pure Gehässigkeit.
Genauso wie in dem Spitznamen, der mir leider nicht neu war.
Ihre Augen huschten über meinen Körper, scannten den verbundenen Arm ab und bemerkten die kleinen Narben an meinen nackten Beinen.
Genau die Frage hatte ich eigentlich mit einem unverfänglichen Gespräch, was es zwischen uns scheinbar nicht geben konnte, verhindern wollen.
Ich wollte von ihr Antworten.
Sie von mir.
Was konnte ich schon verlieren?
Chris konnte wieder Gerüchte über mich verbreiten.
Allerdings könnte sie das auch. Genau so.
Obwohl.. . Die Zeit,in der wir uns mal alles erzählt hatten, war schon sehr, sehr lange vorbei.
Ich schob meinen Kiefer etwas nach vorne.
Warum wollte Chris auch wissen, warum ich hier liege?
Ich habe lange genug mitgemacht, was sie mir und ich ihr angetan hatte. Das musste ein Ende haben.
Ich wollte sie nicht mehr verletzen
Aber deswegen musste sie meine Geheimnisse nicht kennen.
Warum sollte ich sofort mit der Tür ins Haus fallen?
Ein Friedensangebot wäre ja wohl erstmal ausreichend.
Wir würden vermutlich schon noch lange genug nebeneinander liegen.
,, Was wäre erstmal mit Frieden", ich versuchte möglichst neutral zu reden, um Chris weder den Eindruck zu geben, dass ich es nicht wollte, aber auch nicht dass ich sie anbettelte, um wieder mit ihr befreundet zu sein.
Ich weiß gar nicht, ob eine Freundschaft überhaupt noch möglich wäre.
Meine Brüder hatten durch Abwesenheit geglänzt, für die sie mir später einen guten Grund gegeben hatten, doch ich konnte mit beim besten Willen keinen guten Grund vorstellen, warum Chris mich sechs Jahre schikaniert hatte.
Trotzdem.
Ich konnte ihr verzeihen.
Uns ich wollte Frieden.

Mit angehaltenden Atem wartete ich auf ihre Antwort.
Es war schwer, im Dämmerlicht ihre Gesichtszüge zu deuten.
Ich hatte Angst, vor einer Abfuhr, einer sarkastischen oder gehässigen Absage.

Es dauerte.
In meinem Kopf drehte sich immer noch alles.
Ein Schweißtropfen bildete sich in der Kuhle an meinem Kinn.

,,Okay"
Chris klang eher genervt, aber trotzdem war ich erleichtert.
Ehrlich gesagt überraschte es mich, wie verdammt erleichtert ich war.
Es war, als gäbe es da noch eine Chance, die letzten kaputten Jahre irgendwann zu heilen.
Aber es war die richtige Entscheidung gewesen, nicht sofort mir der ganzen Geschichte heraus zu rücken.
Doch anstatt Chris meine Freude zu zeigen, ließ ich mich bloß auf das Bett sinken.
,,Schön"
Wieder ein neutraler Tonfall.
Ich wollte nicht angreifbarer werden.
Das war ich sowieso schon genug.
Wahrscheinlich wurde jetzt gerade schon die Unterlagen von Mom geprüpft, ob sie genug Beweise und Zeugenaussagen für die Taten meines Vaters gesammelt hatte.
Mir lief es ganz plötzlich heiß über den Rücken, als mir auffiel, dass die Polizei vermutlich auch bald kommen würde, um mich zu verharren.
Was sollte ich ihnen dann sagen?
Wahrscheinlich am besten alles?
Shit, darüber hatte ich mir ja noch keine Gedanken gemacht.
Ich meine, natürlich gab es nichts, was ich verheimlichen musste, aber schon alleine der Gedanke, dass ich die gesamten Ereignisse wiedergeben musste fühlte sich schon sehr nach einer kommenden Panikattacke an.
Um Gottes Willen.
Nein.
Davor musste ich meinen Brüdern die Sache mit Jesper erklärt haben, denn bei meiner Aussage brauchte ich ganz dringend seine Anwesenheit.
Vielleicht war er dabei gewesen, als ich meine letzte Attacke bekommen hatte, aber er war nicht der Auslöser gewesen.
Meine Wangen glühten immer noch, als ich so unseren aktuellsten Kuss dachte.
Er war wundervoll gewesen.
Wie lange dauerte es wohl noch, bis er endlich wieder vorbei kam?
,,Du bist verliebt"
Chris Stimme klang ein bisschen neidisch, aber kein bisschen höhnisch.
Obwohl es keine Frage, sondern eine Aussage war, nickte ich leicht.
Ja, ich war verliebt.

Alone in the UndergroundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt