Kapitel 6

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"Sie haben sich gut geschlagen", lächelte mein Anwalt.
"Ich werde mir alles ansehen, das sie haben und gegen Sie verwenden wollen. Ich melde mich morgen wieder, ja?" Der kleine Mann stand auf und ich nickte. Auch ich wurde gleich von einem Polizisten abgeholt und in eine Untersuchungshaftzelle gesteckt. Als ich mir sicher war, dass sich keine Aura in der Nähe befand, legte ich mich auf die harte Pritsche und befahl Jin, mich in die gespiegelte Realität zu ziehen. Der Junge stand im Notfallraum und blickte mich unsicher an.
"Was tun wir denn jetzt?"
"Frag mich etwas leichteres. Ich weiss ja, dass du deinen Mund über alles hälst. Hoffen wir also nur, dass Ian mich nicht allzu sehr in die Scheisse reitet. Aber denkst du, es geht dir gut?"
"Ja, ich komme sicher klar", beruhigte mich der Junge. Nachdenklich sassen wir zusammen in dem kleinen weissen Zimmer herum. Auf einmal blinkte der ganze Raum zweimal weiss auf. Auf der Stelle sprang Jin auf und warf sich mir um den Hals.
"Dir geht es gut ein Glück."
"Jin?"
"Ich bin im gleichen Gebäude wie du. Keine Sorge, Ian ist bei mir. Wir können bei einem Freund von ihm übernachten. Sie haben uns über dich ausgequetscht und..."
"Hey, hey mal langsam... Erzähl der Reihe nach!" Der Kleine befolgte meine Anweisung. Frage für Frage ratterte er ihr Verhör herunter. Meine Miene wurde immer düsterer.
"Das heisst Ian weiss jetzt ziemlich gut über meine Vergangenheit Bescheid!?"
"Nun ja, er ist sich nicht sicher, was davon wahr ist und was nicht. Aber falls es dich beruhigt. Er denkt nicht, dass du Kasai getötet oder mich entführt hast. Aber er wird sich definitiv noch genauer über deine Zeit bei diesem Schwein informieren." Ich nickte, die Augen finster zusammengekniffen.
"Das Problem ist, dass sie mit dem gläsernen Atlas einen ziemlich starken Beweis gegen mich in der Hand halten. Der Diebstahl geht damit so gut wie sicher auf meine Kappe. Auch der des Blood Globes können sie mir so unterjubeln. Wir müssen ihn loswerden..." Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und überlegte. Wie konnten wir ihn vernichten?
"Jin, denkst du es ist möglich mit deinem Bewegungsradius an die Asservatenkammer heranzukommen?"
"Ich kann es mal versuchen. Aber versprechen kann ich nichts", meinte der Junge zögerlich.
"Okay, kannst du jetzt nachsehen?" Er nickte und entliess uns aus der gespiegelten Realität.
"Wenn ich zurück bin, wissen wir mehr." Mit einem aufmunternden Lächeln verschwand er durch die Wand.

Ich starrte unbewegt an die fleckige Decke. Wahrscheinlich hat es darüber einmal einen Wasserschaden gegeben. Schon peinlich, wenn die Polizei ihre Zellen nicht einmal von Schimmel befreien konnten. Missmutig drehte ich mich mit dem Gesicht zur Wand und schloss die Augen. Ich stellte mir vor, zusammen mit Ian auf dem Bett zu liegen, meinen Kopf auf seinem Schoss. Er würde mir sachte durchs Haar fahren und wir würden über unbedeutende Dinge reden. Irgendwann würde ich wegdösen und die Welt wäre in Ordnung. Aber von dieser Ordnung konnte ich nun wirklich nur noch träumen. Wenn ich meinen Freund das nächste Mal sah, dann würde ich ihm einiges erklären müssen. Ich seufzte. Warum hatte ich diese Entscheidungen getroffen? Ich konnte nicht einmal eine einzelne nennen. Es war die Aneinanderreihung aller, die mich hier hin führten. Mir war klar, dass ich nie ein leichtes Leben haben würde, aber es musste mich ja nicht andauernd von einem Problem ins nächste stürzen.

Die Klappe an der Türe öffnete sich mit einem lauten metallischen Kratzen. Essen wurde dadurch geschoben, sogleich wurde sie wieder verschlossen. Ich bewegte mich nicht. Hunger hatte ich erst recht keinen. Die harte Matraze drückte sich in meine Seite. Müde schloss ich meine Lider und versuchte etwas zu schlafen. In meinem Traum wanderte ich mit Ian fröhlich durch die Strassen York News. Er erzählte mir freudig von Häusern, die er verkauft hatte. An der Hand zog er mich die Wege entlang bis zum Park. Dort setzten wir uns auf eine kleine Bank am Rande des künstlich angelegten Teiches.
"Wie viele Kinder willst du, wenn wir geheiratet haben?" Mein Blick war starr auf das glitzernde Wasser gerichtet.
"Keine", murmelte ich. Jedoch zu leise, als dass er es verstand.
"Ich will mindestens zwei. Aber am liebsten hätte ich fünf. Zwei Jungen und drei Mädchen."
"Und ich will ein kleines Haus am Strand mit Meerblick", schwärmte er weiter. Ich konnte meinen Augen nicht von dem funkelnden Nass nehmen. Während Ian mir von der Seite weiter seine Wünsche offenbarte, als könnte ich sie in diesem Moment erfüllen, begannen meine Augen zu schmerzen. Nicht einmal blinzeln konnte ich.
"Misaki hörst du mir überhaupt zu? Oder hängst du wieder deiner Vergangenheit nach!?", motzte mein Freund. Ich bin da, ich höre zu, wollte ich sagen, fühlte mich aber unbeweglich.
"Hast du diesen Mann umgebracht?" Der Hohn in seiner Stimme trieb mir Tränen in die Augen.
"Wenn du weiterhin schweigst, nehme ich das als Ja!" Meine Gedanken schrien, aber es kam kein einziges Wort über meine Lippen.
"Das habe ich mir schon gedacht...", fluchte Ian arrogant. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er sich erhob und ging. Noch immer sass ich unbeweglich auf der Bank. Mir rollte eine einzelne Träne über die Wange.

Als ich das nächste Mal erwachte, waren meine Wangen tatsächlich angefeuchtet. Irritiert wischte ich sie ab. Jin sass derweil geduldig auf dem einzigen Stuhl im Raum und liess seine kurzen Beine baumeln. Nachdem er mich bemerkte, begann er leise zu reden.
"Ich habe die Asservatenkammer gefunden. Sie ist etwa zwei Räume weiter, drei Stockwerke höher." Ich nickte ihm zu, mein Sichtfeld wurde dunkel und ich öffnete die Augen in Jins Raum.
"Okay, dann habe ich jetzt eine wichtige Aufgabe für dich. Ich will, dass du den gläsernen Atlas besetzt. Den nächsten Menschen, der ihn berührt, ziehst du in die gespiegelte Realität. Dann bedrohst du ihn, in anderer Gestalt natürlich. Wenn er wieder aufwacht, soll er das Gefühl haben, jemand zwingt ihn, den gläsernen Atlas zu zerstören." Der Junge blickte mich erstaunt an. Seine Augen begannen vielversprechend zu funkeln.
"Das ist eine grossartige Idee. Nur ein kleines Problem tut sich da auf. Ich kann den gläsernen Atlas nicht auf Befehl besetzen. Er braucht direkten Kontakt zu einem Gegenstand dem ich innewohne."
"Oh... Das habe ich ganz vergessen" Mein Gehirn ratterte auf Hochtouren. Wie konnten wir das umgehen.
"Ich könnte doch einfach dort warten.", warf Jin ein. Ich nickte bestätigend.
"Das macht Sinn."
"Und noch etwas? Als wen soll ich ihn bedrohen?" Ein niederträchtiges Grinsen schlich sich in mein Gesicht.
"Nakata Hiro!"

Always him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt