Kapitel 10

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Seit einigen Jahren war es üblich, sich am Stadtfest zu verkleiden. Also suchten Jin und ich uns einige Tage zuvor Kostüme aus. Der Junge hatte sich nach keiner Sekunde nachdenken entschieden, dass er einen verrückten Wissenschafter darstellen will. Es passte nur zu gut zu ihm. Immerhin besass er schon alles, was er dafür brauchte. So konnte er sogar die Schutzbrille wiederverwenden, die er seit seinem letzten Desaster mit allen Putzmitteln nicht mehr sauber brachte. Ich tat mich schwerer, eine Verkleidung auszusuchen. Nun sassen wir zusammen auf dem Sofa und durchforsteten das Internet nach Ideen.
"Das da?", fragte der Junge. Mit seinem kleinen Zeigefinger deutete er auf eine Frau mit Krankenschwesteroutfit. Es war so knapp, dass es meiner Meinung nach auf eine Erwachsenenseite gehörte.
"Ich will nicht aussehen wie eine billige Hure", schimpfte ich und scrollte weiter.
"Was ist eine Hure..." Jin zog die Stirn in Falten.
"Vergiss es!"
"Und das?" Dieses Mal zeigte er auf die Polizeiuniform. Aber so wie das aussah, hatte ich bei jeder Show früher noch mehr angehabt.
"Jin, ich kann nicht so freizügig herumlaufen. Sonst werde ich von allen Seiten angepöbelt."
"Verstehe..." Schlussendlich fanden wir ein Kostüm, das 'Vampir-Prinzessin' hiess. Das rote mittelalterliche Kleid war schön verziert und die Kombination aus Kleid, Strümpfen mit Schuhen und Fangzähnen sogar noch finanziell tragbar. Es hatte zwar einen extrem tiefen Ausschnitt, aber die Länge des Rockes machte das wieder wett. Zudem konnte ich darunter eines meiner Korsette anziehen, sodass auch sicher nichts verrutschte. Ich schmiss alles in den Warenkorb und bestätigte den Einkauf auch gleich. Als Lieferdatum wurde ein Tag vor dem Stadtfest angegeben. Zufrieden klappte ich den Laptop zu.
"Akane?" Jin sah mich mit grossen Augen an. Ich kannte den Blick nur zu gut, denn jedes Mal wenn er mich so ansah, wollte er etwas von mir.
"Nein, heute gibt es nichts Süsses mehr", beantwortete ich provisorisch sein unstillbares Verlangen nach Süssspeisen.
"Schade, aber das wollte ich nicht fragen. Ich habe Plakate gesehen, dass ein Zirkus während dem Stadtfest Vorführungen anbietet. Können wir eine besuchen!?" Hoffnungsvoll blinzelte mich der Kleine an. Ich liess mir genug Bedenkzeit. Aber was sprach schon dagegen. Theatralisch seufzend senkte ich den Kopf. Dann schaute ich ihn wieder an.
"Ich denke, das lässt sich einrichten" Jin freute sich tierisch. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er noch nie in einem Zirkus war. Mit etwas Glück war es auch noch ein guter, sodass seine erste Vorstellung hoffentlich genauso magisch werden würde, wie meine.

Am Tag des Stadtfestes verabredete ich mich morgens mit Fuyume. Da die Altstadt eine gute Distanz von ihrem Lokal entfernt war, hatte sie kurzerhand beschlossen, dass wir frei machen und dafür zusammen hingehen. Mühsam knöpfte ich das Korsett an meinem Rücken zu. Dann schlüpfte ich in den grossen Stoffhaufen, der besser nicht hätte passen können. Die Stickereien waren wirklich schön. Den Reissverschluss am Rücken zippte ich zu und richtete den Schmuck. Mehrere Goldketten, Ringe und Armreifen zierten nun meinen Körper. Folgend zog ich mir die Strümpfe und Schuhe über. Zum Schluss trat ich an den Spiegel, trug sorgfältig Make-up auf und klebte die Fangzähne an meine eigenen. Eine rote Handtasche komplettierte das Aussehen. Fertig trat ich an die Türe.
"Kommst du? Wir sind schon spät!"
"Jaja, gleich da..." Der Klang von Haarspray drang an meine Ohren. So viel wie der Junge auftrug, dürften sie sich keinen Millimeter mehr bewegen. Ich schrieb Fuyume eine Nachricht, dass wir uns um fünf Minuten verspäteten.
"Boah sieht das gut aus!", rief Jin, der gerade aus dem Bad kam. Die grauen Haare standen ihm noch wilder vom Kopf ab, als sonst immer. Die Brille auf den Kopf geschoben, das Gesicht ebenfalls schwarz bepinselt machte er allen Anschein, dass sein Experiment zuvor in die Hose gegangen ist.

Fuyume erkannte ich schon von weitem. Denn mit dem aussergewöhnlichen Piratenkostüm, das sie sich ausgesucht hatte, sah sie echt heiss aus. So war ich auch nicht die einzige, die sie anstarrte. Gefühlt jeder Typ im Umkreis von 20 Metern gaffte sie mehr oder weniger auffällig an. Aber wer konnte es ihr verübeln. Immerhin war sie singel und erwachsen, konnte also tun was sie wollte, mit wem sie es wollte.
"Heeeey Einstein, was hast du in die Luft gejagt?", lachte Fuyume, als wir näher traten. Jins Gesicht verfinsterte sich und sein Blick wurde glasig. Zusammen mit dem Outfit der perfekte Look.
"Formaldehyd...", murmelte er manisch. Überrascht von einer solchen Antwort hob sich eine Augenbraue im Gesicht der Barista.
"Echt?" Der Kleine begann zu grinsen.
"Ja, aber nicht heute."
"Heute ist ausnahmsweise mal nichts explodiert", seufzte ich erleichtert.
"Also ist dir wirklich schon was in die Luft gegangen?!" Die Dunkelhaarige riss überrascht die Augen auf. Jin lachte.
"Denkst du, ich habe mir die Brille gekauft?" Ich beobachtete die beiden in ihrer regen Unterhaltug. Der Junge strahlte förmlich. Es tat ihm wirklich gut, noch mehr Leute kennengelernt zu haben, als nur mich und die Spinnen. Sein Charakter entwickelte sich andauernd weiter. Er lernte auch schnell, wie er mit Menschen umzugehen hatte, sodass sie ihn ebenfalls mochten, bei wem er höflicher sein musste, bei wem er den Spassvogel raushängen lassen konnte. Mein Herz fühlte sich freier an, seit Jin ein eigenes Wesen entwickelt hatte. Auch wenn er bloss aus Nen bestand war er menschlicher, als viele anderen.
"Wollen wir uns die Stände ansehen?" Fuyume nickte und wir gingen los.

Es war erstaunlich, was angeboten wurde. Also eigentlich alles! Von Kleidungsstücken über winzigen Feenfiguren, zu allerlei Esswarenständen, bishin zu Künstlern, die ihre Werke anpriesen. Sogar die alten Dosenwerfen- und Schiessstände waren noch in Betrieb. Natürlich wollte Jin alles ausprobieren. Da Fuyume einen richtigen Narren an ihm gefressen hatte, musste er sie bloss lieb anblinzeln, damit er bekam was er wollte. Am Mittag holten wir uns Essen von einem der Stände und drängten uns durch die Massen freudiger Menschen. Jin hielt dabei meine Hand und die meiner Chefin, damit wir einander nicht verloren. Auf der Südseite der Altstadt kamen wir schliesslich zum Stillstand. Auf der kleinen Bühne performte eine vierköpfige Rockband, die in Zaban City sehr berühmt war. Fuyume und ich erwischten uns gegenseitig dabei, laut mitzusingen. Doch die anderen Personen schienen sich davon nicht stören zu lassen. Jedenfalls sangen alle mit, die ansatzweise den Text kannten. Ich fühlte mich beobachtet. Also liess ich meine Augen interessiert über das Publikum schweifen. Die Kostüme waren so unterschiedlich, wie die Menschen selbst. Ich erkannte rote Haare. Hisoka, schoss es mir sogleich in den Kopf. Aber die Frau mit der Perücke ähnelte dem Todesgott in keinster Weise. Ein wenig enttäuscht wandte ich meinen Blick ab. Seufzend erinnerte ich mich selbst daran, dass ich ihn aus meinem Kopf verbannen wollte. Wir setzten uns wieder in Bewegung. Jin und Fuyume unterhielten sich aufgeregt. Ein kleiner Teil von mir war eifersüchtig auf die hübsche Barista, die mit Kindern so gut konnte, dass Jin sie ab dem ersten Moment ins Herz geschlossen hatte. Ich hing meinen trüben Gedanken nach, bis mich ein Ziehen an meinem Arm stoppte. Der Junge war stehen geblieben und zeigte auf eines der Plakate, dass an einer hölzernen Wand hing. Abgelenkt sah ich es an. Das grosse Zirkuszelt erblickend trat mein Versprechen wieder in den Vordergrund, dass wir eine Show besuchen würden.
"In einer Stunde geben sie eine Vorstellung. Können wir da hin?" Aufgeregt trat der Kleine von einem Bein auf das andere.
"Ich liebe diesen Zirkus. Die sind super!", strahlte Fuyume ihm entgegen.
"Echt, da steht, sie haben Elefanten... und Tiger... Magier und Schwertschlucker... und sogar einen Drahtseilakt."
"Die Jongleure sind auch sehr beeindruckend! Ich finde wir sollten hingehen." Ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten, gingen sie los.

Meine Gedanken hatten mich voll und ganz eingenommen. Ich schaffte es einfach nicht, meine Beine zu bewegen. Mit glasigen Augen sah ich mitan, wie die Dunkelhaarige mit Jin an der Hand im Getümmel verschwand. Doch anstatt ihnen zu folgen, lenkte ich meinen Fokus auf das Plakat zurück. Krampfhaft versuchte ich mich an meinen letzten Zirkusbesuch zu erinnern. Etwas in mir sagte, dass ich etwas wichtiges vergessen hatte. Menschen rempelten mich an, aber ich ignorierte sie. Jemand zupfte an meinem Ärmel herum. Ganz langsam wandte ich meinen Blick ab. Braune Augen funkelten mir unruhig entgegen.
"Gehen wir?", fragte Jin leise. Ich nickte. Mir seiner Hilfe konnte ich mich endlich aus der Starre lösen. Verwundert fragte ich mich, ob jemand sein Nen gegen mich eingesetzt hatte, denn das Gefühl, beobachtet zu werden bestand noch immer.
"Keine Sorge, in der Masse sind wir sicher!", meinte der kleine Junge und zog mich mit sich.

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Meine lieben Pandas <3

Mich interessiert eure Meinung:

Was haltet ihr von...

...Akane?

...Hisoka?

...Jin?

...Ian?

...Fuyume?

...den Polizisten: Nakata, Umon und Ippei?

Lasst doch ein Kommentar da ;)

Eure
Autor-chan <3

Always him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt