Kapitel 59

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Im Schneidersitz sass ich auf dem Boden, die Hände in meiner Mitte versuchte ich mich auf meine Aura zu fokussieren. Doch anders als an den Tagen zuvor, funktionierte es überhaupt nicht.
"Konzentration Yoriko!", wies mich Jin auf die fehlende Eigenschaft hin. Ich atmete tief ein und korrigierte meine Haltung. Mein Nen machte einfach nicht so, wie ich es wollte. Die Aufgabe, ein Ten von exakt zehn Zentimetern um mich zu halten, brachte ich nach zwei Monaten Training noch immer nicht fertig. Und es regte mich auf. Bei Jin sah immer alles so einfach aus. Natürlich hatte mein Sensei jahrelang dafür geackert, aber ich wollte langsam auch Fortschritte sehen. Das Problem war dabei jedoch nicht das Ten an sich, denn das beherrschte ich im Schlaf. Mühe machten mir die, auf den Millimeter genaue, Angabe der Breite. Normalerweise nutzte man Ten im Kampf, um sich vor einem Angriff zu schützen und muss es variabel auf verschiedene Körperteile anwenden können. Meine Gedanken von überflüssigem befreiend, gelang es mir nach 90 Minuten endlich, die erwartete Menge aufrechtzuerhalten.
"Gut, fangen wir an!", informierte mich Jin über den nächsten Schritt. Ruhig atmend fühlte ich, wie unsere Auren verschmolzen. Auf der Stelle spürte ich die enorme Energie, die sein Nen mit sich brachte. Angestrengt versuchte ich meinen Atem ruhig zu halten, während immer mehr Kraft in mein Ten floss. Die Augen geschlossen konzentrierte ich mich auf das Gefühl, spürte die rote Farbe, die wie Honig langsam um meinen Körper floss. Jin trennte unsere Auren. Kraftvoll hielt ich dem Druck stand und liess es sich verteilen. Ich fühlte es an jeder einzelnen Stelle meines Körpers. Ein leiser Knall durchbrach die Stille. Erschreckt zuckte ich zusammen, wodurch sich mein Ten veränderte. Logischerweise verstärkte es sich an meinen Händen, Beinen und dem Kopf. Wie die letzten paar Male reagierte das Rot an meiner Brust, wo es durch den ungleichen Aurafluss komprimiert wurde. Mit einem Funken explodierte es vor mir. Mein Oberkörper wurde nach hinten geschleudert. Dem Aufprall entkam ich nur knapp, wobei ich eine Unmenge an Ten an meinem Hinterkopf verbrauchte. Geschafft blieb ich liegen und schloss die Augen. Ich hätte gestern viel früher gehen und länger schlafen sollen. Aber der Abend mit Hisoka war einfach zu lustig. Grummelnd setzte ich mich auf und massierte meine Schulter. Sie schmerzte seit ich vor einer Weile im Krafttraining eine Übung falsch ausgeführt hatte.

"Wann bist du gestern schlafen gegangen?", wollte mein Sensei wissen, als er mich hochzog. Ich rollte den Kopf im Nacken und erinnerte mich schwach.
"Ich glaube es war irgendwann um Vier", antwortete ich leise. Gleichzeitig versuchte ich seinem durchdringenden Blick aus dem Weg zu gehen. Jin sah sich die Uhrzeit auf der riesigen Anzeigetafel an.
"Du hast drei Stunden geschlafen!?" Nachdenklich die Augen zusammenkneifend, nickte ich, rechnete es in meinem Kopf nach.
"Kommt etwa hin..."
"Was habe ich dir über Schlaf gesagt!?"
"Mindestens sechs Stunden, wann immer möglich acht", zitierte ich ihn. Seufzend hob der Schwarzhaarige seine Mütze an und fuhr sich durch die Haare. Jin hatte seinen Charme, das musste man ihm lassen. Trotzdem kam er mir manchmal vor, wie nicht von dieser Welt.
"Trink etwas. Es bringt nichts, wenn wir das heute auf biegen und brechen üben wollen, wenn du dich nicht einmal richtig konzentrieren kannst."
"In Ordnung", stimmte ich zu und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Während ich zu meiner Wasserflasche lief, sah ich auch, was den Knall verursacht hatte. Die Zwillinge standen auf der Zuschauertribüne und winkten mir leicht zu. Ich hob ebenfalls die Hand und schenkte ihnen ein Lächeln. Die schwarzen Hoodies standen ihnen unglaublich gut. Neben meiner Trinkflasche auf dem Boden lag eine dicke metallene Halskette. Natürlich hob ich sie auf und warf sie meinen Freunden zurück.
"Danke", rief Riku, als er sie fing. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich sie auseinanderhalten konnte. Aber nachdem mir Jin einen Trick beigebracht hatte, war es ein leichtes. Denn die Farben ihrer Auren waren Grundverschieden. Riku umgab ein helles Blau, wobei sich ein knalliges Grün um Suki wand. Nachdem ich mich ausgiebig hydriert hatte, gesellte ich mich zu meinem Sensei zurück in die Mitte der Arena. In den Händen des Schwarzhaarigen fand sich ein kleines Bild, welches er gleich darauf mit einem gelben Blitz verschwinden liess. Laut klatschte er in die Hände.
"Verteidigung", kündete er unsere nächste Übung an. Dabei ging er langsam um mich herum, sodass ich mich in die Richtung der Zwillinge drehte. Seit einer Weile schauten sie uns beim Training zu, was Jin nicht zu stören schien, solange ich sie nie im Rücken hatte. Warum er das als so wichtig empfand, wusste ich nicht. Aber ich stellte keine Fragen zu seinen Trainingsmethoden. Immerhin war ich schon ziemlich stark geworden, seit er sich meiner angenommen hatte.
"Du darfst dich mit einer Waffe deiner Wahl verteidigen." Wie geübt, hielt ich meine Hand hinter den Rücken, mit drei Fingern öffnete ich ein handgrosses Portal und schnippte, um es zu stabilisieren. Wenigstens das funktionierte. Dann griff ich hinein und suchte nach meinem kleinen Liebling. Meine Finger strichen an den Griffen vorbei, weiter bis ich das Holz an ihnen spürte. So zog ich den hölzernen Stab aus dem Portal heraus und schloss es. Jin hatte in der Zwischenzeit den Kopf schief gelegt. Die roten Augen betrachteten mich zweifelnd.
"Das dauert viel zu lange. Wir räumen heute Abend die Waffenkammer um." Das hiess wohl wieder einmal keine freien Abendstunden.
"Leg ihn zurück und wir starten nochmals." Ich unterdrückte ein Gähnen und brachte den Holzstab zurück, wo ich ihn hergenommen hatte. Jin senkte die Intensität des Trainings, legte mehr Wert darauf, dass ich die einfachen Dinge perfekt ausführte.

Always him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt