Kapitel 91

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Weinend drückte ich mich an Jin. Dort wo ich einst meine Hände spürte, fühlte ich nur noch ein unangenehmes Kribbeln.
"Ich spüre meine Finger nicht", hauchte ich fassungslos. Nie hätte ich erwartet, dass ich so schlimme Verletzungen aus einem Kampf davontragen würde. Behutsam löste sich mein Sensei von mir. Seine Hände fanden ihren Weg auf meine Wangen und er legte seine Stirn an meine. "Yoriko, du musst mir ganz gut zuhören... Ich kenne nur einen Weg, wie wir das wieder hinkriegen könnten. Aber dafür musst du mir vertrauen, okay?" In seiner Stimme klang etwas vertrautes mit, was durch die roten Iriden verstärkt wurde. Ich wusste einfach, tief im Inneren, dass ich ihm immer vertrauen konnte. 
"Ich weiss nicht, ob es weh tun wird und ich habe keine Ahnung, was es alles zur Folge hat, aber es ist wirklich der einzige Weg, wie wir deine Hände wieder hinkriegen können!" Jin war der mächtigste Mensch, den ich kannte. Wenn er eine Möglichkeit wusste, dann würde sie bestimmt funktionieren. Hoffnungsvoll hielt ich die Luft an.
"Wie?" Zärtlich drückte mir mein bester Freund einen Kuss auf den Kopf.
"Vertraust du mir?" Nickend akzeptierte ich mein Schicksal. Vorsichtig griff er nach meinem Handgelenk und hob es an. Über der Badewanne stoppte er.
"Ganz sicher?", hakte er nochmals nach. Ich legte den Kopf schief und schenkte ihm ein Lächeln.
"Ja. Immerhin bist du mein bester Freund, Jin!" Mit einem traurigen Grinsen auf den Lippen drückte er meine Extremität nach unten. Ich berührte etwas. Nur ganz leicht. Ein Zug an Bildern rauschte an meinem inneren Auge vorbei und füllte mein Gehirn mit Informationen. Während ich die vorangehenden Bilder kaum verdauen konnte, präsentierten sich schon wieder neue. Es waren Erinnerungen an ein anderes Leben. Eines, das ich scheinbar vor diesem geführt hatte. Denn sie endeten damit, dass ich mich in meinen Körper verwandelte. Akanes Leben ergab langsam seinen Sinn. Ich spürte die Schmerzen meiner Vergangenheit wieder. Sie vermischten sich mit der Freude der letzten eineinhalb Jahre. Meine Sicht klärte sich. Jin sass mit einem unsicheren Lächeln vor mir. Mein Kleiner hat also tatsächlich auf mich aufgepasst. Es trieb mir Tränen in die Augen. Seine Idee, die Erinnerungen zu behalten, rettete mir jetzt den Arsch. Oder besser gesagt, meine Hände.
"Jin!", keuchte ich überwältigt. Lachend warf ich mich an ihn.

"Willkommen zurück, Meister", murmelte er nach einer Ewigkeit, in der wir uns knuddelten.
"Du hast das richtige getan", redete ich ihm gut zu, da ich wusste, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Mit einem breiten Grinsen löste ich mich von ihm. Das grässliche Kribbeln meiner Stümpfe war noch immer vorhanden, würde aber glücklicherweise nicht mehr lange anhalten. Mit Hilfe meiner Zähne versuchte ich die Stoffstreifen von meinen Extremitäten zu lösen. Aber es funktionierte überhaupt nicht.
"Kannst du mir die Verbände abmachen?", fragte ich hilflos, als ich es selbst nicht fertigbrachte.
"Natürlich." Ich spürte seine kalten Finger an meiner Haut. Wenigstens etwas. Interessiert betrachtete ich, was von meinen Händen übrig geblieben war.
"Hast du das gemacht?", hauchte ich sprachlos. Immerhin erwartete ich, dass sich eine fette Kruste gebildet hatte, um dem Blutverlust entgegenzuwirken. Doch meine Augen erblickten Haut.
"Ich schaffe es zu einem gewissen Grad, das Nen einer anderen Person zu beeinflussen. So habe ich mir Eure Fähigkeiten geliehen. Aber ich werde es nie so gut schaffen wie Ihr." Interessiert dematerialisierte ich Schicht für Schicht. Er hatte einige vergessen, die für eine normale Funktion nötig gewesen wären. Das Kribbeln rührte nämlich von freien Nervenenden her. Aber alles in allem hatte er einen guten Job gemacht. Immerhin war die Blutung gestoppt. Vorsichtig setzte ich alles so weit zurück, wie es nach meiner Verletzung ausgesehen hatte. Dabei nahm ich mir Ghost Mode zu Hilfe. Während ich also die Zellschichten wieder erschuf, liess ich mir von Jin eine Zusammenfassung der Geschehnisse geben.

"Nachdem Ihr Euch die Erinnerung genommen habt, wart ihr tatsächlich ein neuer Mensch. Mit ganz anderer Persönlichkeit. Fröhlich und freundlich. Immer ein Lächlen auf den Lippen. Ich habe versucht, so gut es ging auf Euch aufzupassen." Seine roten Augen betrachteten mich liebevoll. Doch dann sah er zur Seite.
"Ausser was Liebeleien anging. Darüber habt Ihr mich zuvor nicht informiert...", fügte er leiser an. Nickend stimmte ich zu. Über mein künftiges Liebesleben hatte ich tatsächlich nichts angeordnet.
"Übrigens... Ich habe Euch ja gebeten einen Trigger zu wählen, damit Ihr die Erinnerungen zurückbekommt, falls es nötig wäre. Aber mich zu auszusuchen, war im Nachhinein keine gute Idee, denn jedes Mal, als ich Euch berührt habe, im Training oder nicht, hattet Ihr einen Anfall. Also habe ich Euer Ebenbild in dem alten Haus erschaffen und diesen als Trigger umfunktioniert. Jedenfalls denke ich, dass etwas schief gelaufen ist, denn als Hisoka auftauchte, schien er ebenso als Trigger zu fungieren. Deshalb hatte ich versucht, ihn von Euch fernzuhalten. Das hätte auch gut funktioniert, aber es schien Euch härter zu treffen als erwartet."
"Hat er mich darum ignoriert!?" Fassungslos starrte ich ihn an.
"Ja", murmelte der Uniformierte kleinlaut. Ein riesiger Stein fiel von meinem Herzen. Beruhigt atmete ich aus.
"Ich dachte schon, ich hätte etwas getan! Aber so macht alles Sinn." Jin senkte seinen Kopf und sah zu Boden.
"Verzeiht mir, Meister!"
"Alles in Ordnung Kleiner. Ich weiss ja, weshalb du es getan hast", lächelte ich ihm aufmunternd zu.
"Was ist sonst noch vorgefallen?"

Always him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt