*2 Wochen später*
Ich bin.
Wie, wo und was, kann ich nicht sagen... aber ich bin. Es kümmert mich nicht, dass ich nicht weiß. Ich existiere und meine Existenz ist Befriedigung genug.
Mein Bewusstsein ist ein dünnes, zartes Gefühl, als hätte man mich langgezogen, überdehnt. Ich bin substanzlos.
Und für eine Zeit ist das genug.
Dann merke ich, wie die Membran meiner selbst immer dicker wird. Zunächst langsam, dann immer schneller.
Ein Hauch des Erkennens treibt durch ein dunkles Meer und trägt mich sich die Frage aller Fragen: Warum?
Um diese Frage lagert sich alles andere an, Schicht um Schicht, Schatten um Schatten.
Als mein Fleisch fester wird, werden auch meine Gedanken stärker und zusammenhängender. Das sorgt für noch mehr Verwirrung.
Wer bist du?
Wo bin ich? Was bin ich?
Wieso sind sie tot?
Stechender Schmerz, als sich Nerven miteinander verbinden. Scharfkantig, und qualvoll.
Erinnerungen, Tränen, Furcht. Ich kann sie spüren. Ich spüre ihren Hass, auch wenn ich noch nicht sagen kann, was ich getan habe.
Ich habe Angst.
Bleib bei mir.
Bleib!
Das Wort schneidet tiefer, als die anderen.
Mehr Schmerzen prasseln auf mich ein und das Denken versagt vor ihrem Feuerwerk.
Währenddessen wachse ich weiter. Ich sammele mich, verschmelze, bis ich wieder bin.
Eine Erinnerung kehrt zu mir zurück, die tiefliegenste, die entscheidende.
Mutter hob sie hoch, eine bekannte Berührung, doch die Bewegungen der Mutter waren schwerfällig. Panisch. Mutter schob sie unters Bett. Ihre Eltern besuchten gerade Bekannte, deshalb schlief sie im Bett ihrer Eltern.
Verwirrt streckte sie die Arme aus, doch Mutter küsste nur ihre Stirn und wies sie an, still zu bleiben.
Zog die Tagesdecke tiefer, um sie zu verbergen, doch Mutter musste sich beeilen und stand außerdem unter Einfluss der Droge, deswegen waren ihre Bewegungen fahrig und unkonzentriert. Ein Spalt breit blieb offen. Und sie klammerte sich in die Schatten, als sie Schreie hörte. Und Schritte. Ein dumpfer Aufprall.
Mutter besaß die gleichen Augen, wie sie, doch jetzt waren sie leer und taub, wie gesprungener Amethyst.
Blut quoll aus ihrem Halsstumpf. Breitete sich auf dem Boden aus, bis zu ihr.
Sie saß stocksteif in ihre Schatten gehüllt. Erst als die Schritte lange weg waren, im Schutz der Dunkelheit kletterte sie aus ihrem Versteck und kuschelte sich in die steifen kalten Arme ihrer Mutter...
Was bedeutet das? Was...
Mehr Erinnerungen.
Die Polizei zerrte sie vom Leichnam ihres Vaters und zwang sie, weg von ihren Eltern. Es gab kein Begräbnis. Zumindest hatte man ihr nicht von so einem Ereignis erzählt. Sie wusste nicht, wo man ihre Eltern begraben hatte. Ob man sie überhaupt begraben hatte.
Auch sie wuchs.
Stieg über den Leichnam ihres falschen Vaters hinweg. Versteckte sich in der Dunkelheit... bis... bis... der Junge war ein wenig älter als sie. Und freundlich, weil er nicht wusste, was sie getan hatte. Sie verspürte keine Liebe zu ihm, doch sie wusste, er würde gehen, wenn sie nicht gab und sie wollte nicht, dass er ging und sie alleine ließ.
Und sie hörte die Worte ihres falschen Vaters in ihren Gedanken; das bist du mir schuldig!
Also erlaubte sie ihm, dass er ihre Kleider auszog, Schicht um Schicht und die nächsten Erinnerungen waren peinlich und schmerzhaft.
"Ist da jemand?"
"Bitte, ich fürchte mich! Ich..."
Am nächsten Morgen war der Junge verschwunden. Beim nächsten war sie vorsichtiger, verschlossener. Und sie verschwand, noch ehe er aufwachte. Wenn sie zuerst ging, traf sie die Entscheidung, sich zu verletzen. Sie wollte das nie mehr jemand anderem überlassen.
Sie wuchs weiter. Kein Mädchen mehr, jetzt schon eine Frau, als sie ihn traf. Rabenschwarzes Haar, wie ihre Mutter und das leichte Funkeln in den Augen, das entweder von waren Genie oder Wahnsinn zeugte.
Doch das war egal, denn er verließ sie nicht. Er blieb bei ihr, half ihr, tröstete sie.
"Es ist so dunkel!"
Sie ergriff seine ausgestreckten Hand und er zog sie an sich, im nächsten Moment war sein Haar nicht mehr lang und schwarz, sondern kurz und schlohweiß und sie spürte, wie sie zwischen zwei Körpern gedrängt wurde, beide vertraut, wenn auch anders auf ihre eigene Art und Weise. Und nachdem beide sie nach unten drückten und sich nahmen, was sie glaubten, was ihnen Zustand, da ließen sie sie zurück, bis sie sich wieder in ihre Schatten hüllte und...
"Hallo, ist da jemand?"
"Ich habe Angst im Dunkeln!"
Besäße ich einen Mund, würde ich jetzt schreien. Immer mehr flutet auf mich ein. Jedes Gefühl für Identität verschwindet im Tsunami der Bilder, Gerüche, Geschmäcker, Gefühle.
Nichts davon ergibt Sinn, und alles davon fühlt sich an wie ich, ist ich.
Angst schnürt mir die Kehle zu und ich schlage verwirrt um mich.
Unter den Erinnerungen ist eine klarer als der Rest-
Stille umgab sie, zusammen mit dem süßen Geruch des Todes. Tage vergangen, in denen sie sich nicht gerührt hatte. Jetzt krabbelt sie aus dem Toten Griff ihrer Mutter. Ihr Arm war schwer und eiskalt oder vielleicht war sie auch einfach zu schwach und zu warm. Zu lebendig.
Es patschte nicht, als sie durch die Blutlache lief. Tage waren vergangen, das Blut war getrocknet und in den Boden eingedrungen.
Sie schwankte.
"Kann ich heute hier schlafen?
"Ich will nicht alleine nach Hause gehen"
"Es ist so dunkel"
Dann lief sie langsam weiter. Sie hatte Angst, die Männer wären noch hier in der Wohnung und würden sie töten. Noch mehr Angst hatte sie, sie würden es nicht tun.
Vater lag auf dem Bauch, der Kopf war kaum richtig abgetrennt, hing noch an einem Hautfetzen.
In seiner Hand ein Küchenmesser. In der anderen ein Klumpen Kolofonium. Auf der anrichte lag die Geige ihres Vaters.
Sie nahm sie in die Hand. Sie war schwer und viel zu groß und versuchte ein paar Bewegungen, wie Vater.
Die Geige quietschte.
Sie vermisste Vater. Sie wollte sie nicht. Trotzdem spielte sie weiter. Sie rollte sich neben ihrem Vater ein und spielte. Später als die Polizei sie ins Heim gebracht hatte, spielte sie weiter. Immer mehr, sie musste sich an alles erinnern, was er je gespielt hatte.
Sie durfte nicht vergessen
Nein, hör auf!
-ich klammere mich daran, wie eine Rettungsring im Sturm. Von hier aus versuche ich mich selbst wieder aufzubauen.
Auch wenn ich mir immer wieder entgleite.
Dann, von irgendwo her in der heulenden Verwirrung kommt ein Wort an die Oberfläche und ich höre es von tausend Stimmen.
-Mutter legte ihr die Hand auf die Wange und lächelte:
-Vater setzte sie auf die Kommode und spielte ihr Lieblingsstück, während sie in die Hände klatschte:
-der falsche Vater brach blutend auf ihr zusammen:
-der Junge stöhnte:
-der schwarzhaarige berührte ihre Handgelenke:
-der weißhaarige küsste sie:
"Asuna"
Der Name klingt wie eine geschlagene Glocke. Ich wickele mich darin ein, benutze ihn wie eine Rüstung, ein Zuhause. Benutze ihn für das Gefühl der Beständigkeit.
Ohne diese Beständigkeit bin ich niemand, also klammere ich mich an den Namen fest und versuche so etwas wie Individualität inmitten des Wahnsinns zu finden.
Wer Asuna ist, kann ich nicht beantworten. Zumindest noch nicht. Aber immerhin kann ich daran festhalten, während ich noch herauszufinden versuche, wie ich mich genau selbst definieren sollte.
Die Zeit vergeht ruckartig und irgendwann bin ich so gefüllt von Panik und Schuldgefühlen, dass ich laut schreie, doch nur Schatten Quellen aus meinem Mund und halten mich fest.
Ein neuer Gedanke formt sich, der das Angstgeheul der anderen übertönt-
Ich will hier raus!
Lass mich los!
Lass mich los!
Lass mich frei!
Ich will frei sein!
Ich will...

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Unlimited Void
FanfictionSatoru Gojo ist der mächtigste Jujutzist seiner Generation und Lehrer an der Jujutsu Akademie Tokio. Durch seine Hand sind tausende von Flüchen gestorben. Als Asuna Okura auf die Akademie kommt, ahnt er zunächst nicht, wer die junge Frau wirklich i...