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Meine Augen starr auf den Horizont gerichtet beobachtete ich wie die Sonne langsam in der morgendlichen Dämmerung aufstieg.

Es war ein schönes Gefühl gewesen neben Sean aufzuwachen, seinen Arm um mich zu spüren und seinen Duft einzuatmen. Aber ich hatte vergangene Nacht einen Entschluss gefasst, der alles verändert könnte, alles verändern wird.

Zukunft brauchte eine Basis die nicht nur aus Liebe und Zärtlichkeit bestand. Wenn ich Kürbiskopf in zehn Jahren noch immer an meiner Seite haben wollte, so musste ich ihn an mich heran lassen, ihn den Schmerz meiner Vergangenheit mit empfinden lassen.

Bisher hatte ich noch nie mit jemanden über mein verkorkstes Leben gesprochen. Ich hatte Bruchstücke erwähnt, das Thema aber sofort fallen lassen als es tiefgründiger wurde. Selbst Phil konnte mir nur helfen, weil er bei all den Ereignissen dabei war.

Arme schlangen sich besitzergreifend um mich und meine Muskeln spannten sich an. Erst als ich den vertrauten Duft vernahm, wieder in ein Meer voller Gefühle fiel, entspannte ich mich und lehnte mich zurück. Es war wie ein Schalter der umgelegt wurde.

Plötzlich war ich nicht mehr alleine. Ich musste keine Kriege mehr führen, keine Kriege gegen mich selbst und meine Zweifel. Ich hatte Sean, den Mann meiner Träume, nur musste ich anfangen ihn teilhaben zu lassen.

„Bereust du es?", durchbrach genau dieser die Stille die um uns herrschte. Sein Körper hinter mir verspannte sich und pochend auf eine Antwort spürte ich seinen Blick in meinem Nacken. Ich schüttelte den Kopf, verneinte.

„Wieso warst du dann heute Morgen nicht neben mir?", harkte er weiter nach, doch meine Aufmerksamkeit lag auf der Gänsehaut die sich auf meinem Körper ausbreitete als er sprach. Seine Stimme war rau und verschlafen, haarsträubend.

„Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.", gab ich wahrheitsgemäß von mir während ich mich zu ihm umdrehte und ihm in die dunklen Augen sah. Immer wieder aufs Neue faszinierten sie mich. Sie waren offen für alles, und doch so verschlossen.

„Worüber?", mit seiner rechten Hand strich er mir eine wirre Strähne aus dem Gesicht. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich schluckte schwer. Der Zeitpunkt wo ich mit der Wahrheit raus rücken musste war gekommen, schneller als ich gedacht hätte.

Der Abstand den ich zwischen uns brachte fühlte sich falsch und unwirklich an, schon jetzt vermisste ich ihn und seine wärme. Doch zuerst müssten wir uns setzten, ich müsste ihn in meine dunkelsten Geheimnisse einweihen, und dann würden wir weiter sehen. Sehen ob die Chance auf eine gemeinsame Zukunft bestand oder nicht.

Verwirrt zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Doch ich schenkte ihm kaum noch Beachtung, konzentrierte mich viel mehr darauf die Worte in meinem Kopf zu sortieren, Sätze zu bilden die ich anschließend aussprechen könnte.

Meine Hände ergriffen krampfhaft die Teetasse vor mir, und mein Blick war wie angewurzelt auf die Tischplatte vor mir geheftet. Die Küchenuhr schien mir auf einmal lauter zu ticken, dass Geräusch welches entstand wenn ein Wassertropfen sich vom Hahn löste nervte mich und meine Gedanken wirkten auf mich unleserlich.

„Ich liebe dich. Ich hoffe du weist das.", meine Lippe fing an zu beben weshalb ich meine Zähne in sie hinein bohrte und somit das Zittern stoppte. Es war der falsche Moment für schwäche, und doch fühlte ich mich in genau diesem Zeitpunkt zerbrechlich. Er nickte und überdeckte meine Hand mit seiner.

„Was ist los, Amanda?", bei seiner Frage atmete ich tief durch, schenkte ihm dann aber ein Lächeln, wenn auch ein wehleidiges. Ich hatte ihm zum zweiten Mal ein Liebesgeständnis gemacht, wiedermal aber keine Antwort darauf bekommen.

Ich merkte wie meine Augen anfingen zu brennen, sie glasig wurden und ich den Tränen nahe stand. Unglaubliche Angst machte sich in mir breit und meine Hände ballten sich zu Fäusten: „Ich hatte Krebs, Leukämie um genau zu sein. Auch war ich einige Zeit Essgestört und Depressiv. Oft habe ich mir die Kante gegeben, musste ausgepumpt und wiederbelebt werden. Wahrscheinlich denkst du dir ich sei vollkommen gestört, aber ich hatte Langezeit einfach keinen Sinn mehr im Leben.

Meine Eltern haben mir nie wirklich das Gefühl von Geborgenheit vermittelt, meinen Bruder haben sie mir genommen indem sie ihn auf ein Internat geschickt hatten und meine Freunde waren zwar da, verstanden mich aber nicht ansatzweise.

Ich will dir hier keine Szene machen, auch wenn es stark danach aussieht, aber du solltest diese Dinge über mich wissen. Ich bin ein nervliches Wrack das immer auf irgendeine Art zerstört bleiben wird. Ich habe starke Verlustängste und auch kann ich ziemlich anhänglich werden.

Ich liebe dich, Gott und wie ich dich liebe, aber ich bin unberechenbar.

Jede Nachricht, jedes Wort trifft mich mehr als es sollte. Ich zerbreche mir stundenlang den Kopf über kleine Gesten meiner Mitmenschen und weiß oft nicht mit ihnen umzugehen. Versteh mich nicht falsch, ich vertraue dir blind, aber ich habe Angst, dass du mich irgendwann verletzt. Mir das Herz brichst und mich fallen lässt wie andere vor dir.", stumme Tränen rannten mir die Wange hinunter und ich spürte wie mein Herz sich langsam zusammen zog bei der simplen Vorstellung.

Ich hatte nichts anderes als seinen verstörten Gesichtsausdruck erwartet, dennoch verletzte er mich zutiefst, genauso wie das betretende Schweigen welches herrschte. Es schien mir als hätte die Uhr aufgehört zu ticken und der Wasserhahn aufgehört Tropfen fallen zu lassen.

Gedämpft wie mit Watte gehüllt beobachtete ich wie Sean sich von seinem Platz erhob, seine Hand meiner entzog und sich erschöpft und überfordert übers Gesicht fuhr. In seinen Augen blitzte etwas auf das man nicht benennen konnte, dennoch stufte ich es als Verzweiflung ein.

Er wendete mir einige Minuten den Rücken zu, sortierte wahrscheinlich seine Gedanken, und drehte sich dann schwungvoll zu mir um. Schneller als das ich hätte etwas sagen können lagen seine weichen Hände auf meinen Wangen und er hockte vor mir. Mit einem Blick der mehr als tausend Worte sprach und mein Herz nur noch schneller pochen ließ. Entschlossenheit war in seinen dunklen Augen zu sehen.

„Jetzt hör mir mal genau zu, Amanda. Was auch immer du mir gerade sagen wolltest, es ist mir egal, denn das einzige was zählt ist das jetzt, das wir. Ich liebe dich und werde dich ganz sicher nie wieder gehen lassen. Ich werde ab sofort hinter dir stehen und an dich glauben, so wie du es verdienst.

Du bist das stärkste Mädchen und die schönste Frau die kenne, aber deine Vergangenheit ist deine Vergangenheit. Wir leben in der Gegenwart, werden eine Zukunft aufbauen. Unsere Zukunft.

Das ist mein Versprechen an dich, denn ich liebe dich mehr als ich eine Frau je zu vor geliebt habe."


ENDE

***

Epilog und Danksagung folgen.

Believe in yourselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt