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Mit rasenden Herzen öffnete sich die elektrische Tür vor mir und ließ mir somit den Eintritt in mein altes zuhause. Wie gewohnt hetzten die Menschen von A nach B, suchten ihre Freunde und Verwandten oder erholten sich von den Neuigkeiten.

Am Informationspunkt saßen wie immer zwei der Arzthelferinnen und tippten wie wild auf ihren Computern herum und Ärzte wechselten in Routine die Räume währenddessen sie sich immer wieder neue Klemmbretter an der Rezeption schnappten.

Um den Kürbis nicht zu verlieren griff ich nach seinem Handgelenk, umschloss es und zog ihn hinter mir her zum Treppenhaus.

Es gab viele Fahrstühle, jedoch waren diese immer gut zu befüllt weshalb es Ewigkeiten dauerte dort hinein zu gelangen.

Das Treppenhaus dagegen war mal wieder leer und einzig und allein unsere Schritte hallten und füllten den Hohlraum mit Geräuschen.

„Bist du dir sicher, dass ich mitkommen soll?", fragte Sean, blieb stehen und drehte mich so, dass ich nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt stand.

Seine dunklen Augen sahen mich nachdenklich an und wenn ich nicht wüsste wie nervig er sein könnte, würde ich sogar behaupten ich möge ihn.

„Du sollst wenigstens die Person kennen wegen welcher wir hergekommen sind. Ab morgen kannst du dir die Stadt ansehen und machen was du willst.", entgegnete ich sachlich.

Ich wollte ihn zwar nicht hier haben, aber schuldig war ich ihm zumindest das Wissen wieso wir nach England geflogen sind.

Er löste meine Hand von seinem Handgelenk und ersetzte es stattdessen mit seiner eigenen Hand. Ohne zu fragen ob ich etwas dagegen hätte verschlang er seine Finger mit meinen und zog mich weiter die Stufen hinauf.

Die stellen an denen mich seine Fingerspitzen berührten fingen unmerklich an leicht zu kribbeln und ob ich wollte oder nicht, mein Herz setzte einen Moment aus.

Vor der schweren Glastür mit der Aufschrift Onkologie blieb der Kürbis erneut stehen.

„Du sagtest nicht, dass sie Krebs hat.", in seiner Stimme war ein Hauch von Panik zuhören weshalb ich ihm beruhigend meine freie Hand auf die Brust legte und zu ihm aufsah, da er knapp einen halben Kopf größer war als ich.

„Was hätte es geändert?", fragte ich flüsternd und sah ihm intensiv in seine wunderschönen, schokoladenbraunen Augen. Diese funkelten mich mit einem gewissen Ton von Bitterkeit an.

„Alles! Du kannst mich doch nicht zu einer Schwerkranken schleppen!", fuhr er mich in der gleichen Lautstärke an und ein Schnauben entkam mir als ich mich von ihm löste und leicht den Kopf schüttelte.

„Ein weiterer Punkt wieso ich die menschliche Gesellschaft nicht ausstehen kann.", murmelte ich und öffnete die Tür. Bevor ich jedoch hinein trat drehte ich mich noch einmal zu dem brünetten Kerl um.

„Du musst nicht mitkommen. Grace wird das verstehen.", inständig hoffte ich er würde auf das Angebot eingehen, umdrehen und gehen.

Kürbiskopf schüttelte jedoch den Kopf und drängte mich durch die Tür was er mir gleich tat: „Wohin müssen wir?", murrte er und sah sich die Umgebung an.

Die Gänge waren in hellen und fröhlichen Farben gehalten. An den Wänden hingen wie in dem anderen Krankenhaus Bilder und Zeichnungen der positiv gestimmten Patienten.

Ich konnte und wollte es einfach nicht verstehen, wieso sie diese Krankheit so verharmlosten. Menschen sterben nun mal, ob sie wollen oder nicht und diese Bilder werden ihr Leid nicht ungeschehen machen.

„Mandy!", rief eine vertraute und fröhliche Stimme und mit einem leichten Lächeln drehte ich mich nach links von wo mir eine der Arzthelferinnen entgegen kam.

Meine Hand löste sich von Seans und schloss sich, als sie bei mir ankam, um den alten und rundlichen Körper von Helene. Sie lachte hell auf und wiegte mich in der Umarmung hin und her.

„Oh Mandy! Wie lang hab ich dich nicht mehr gesehen? Eine Ewigkeit! Ich werde sofort Dave und Phil kontaktieren damit sie ihre Knackärsche her bewegen! Oh Gott, du willst bestimmt zu unserem Engelchen! Wir sehen uns später!", sprach sie hektisch und hyperventierte beinah an Luftmangel.

Nicht mal die Chance etwas zu erwidern blieb mir da verschwand die ältere Dame auch schon wieder und ließ mich Kopfschüttelnd, aber dennoch grinsend, wieder nach Seans Hand greifen.

Ich wusste nicht woher dieser Impuls kam, jedoch wollte ich die Wärme die von ihm ausging spüren.

Zu meiner Verwunderung wehrte er sich nicht dagegen sondern verkreuzte unsere Finger erneut mit einander.

Aus Angst zu ihm auszusehen zog ich ihn wieder hinter mir her.

Vor der Zimmertür welche mich von meiner Freundin trennte wandte ich mich noch ein letztes Mal zum Kürbis.

„Erschreck dich nicht.", bat ich ihn und öffnete die Tür.

Sofort blickte Grace von ihrem Buch auf und strahlte mich breit an: „AMANDA!", rief sie und wackelte anzüglich mit ihren Augenbrauen als sie auf unsere verschränkten Finger sah.

Schnell löste ich diese und merkte wie mir die Röte in die Wangen stieg.

Mit einem traurigen Lächeln ging ich auf meine Freundin zu und schloss sie vorsichtig, dennoch fest, in die Arme: „Hey.", nuschelte ich in ihr Haar.

Wie Helene schon sagte war Grace unser aller Engel, mit ihren blonden Haaren und den leuchtend blauen Augen war sie nur zu beneiden. Nur waren es die Schläuche und Kabel an die sie angeschlossen war, welche das Bild des perfekten Mädchens zerstörten.

„Wer ist denn dein gut aussehender Begleiter?", fragte sie sobald wir uns von einander lösten und deutete mit einer Geste auf Kürbiskopf welcher sich mit einem Grinsen verlegen am Hinterkopf kratzte.

Gerade wollte ich ansetzten die beiden vorzustellen als diesen Part schon er übernahm, aufs Bett zukam und Grace die Hand entgegenstreckte: „Sean alias Kürbis, wenn es nach Amanda geht."

Ich spürte wie mir die Hitze ins Gesicht schoss und sah peinlich berührt auf den Boden. Grace lachte.

„Du hast immer noch diese schreckliche Angewohnheit? Wieso hast du mir nie wieder davon erzählt?", spielte sie beleidigt und schob ihre Unterlippe hervor.

„Sorry..", murmelte ich und mied ihren Blick.

„Also was läuft zwischen euch?", harkte meine engelsgleiche Freundin nach und rückte, sodass ich mich auf die Kante des Bettes setzen konnte. Sean nahm auf einem der Sessel Platz.

Genervt seufzte ich auf: „Nichts."

Für einen Moment dachte ich so etwas wie Enttäuschung in seinen Augen gesehen zu haben, verwarf den Gedanken jedoch als er mir beipflichtete und zustimmend nickte.

„Was noch nicht ist, kann ja noch werden!", philosophierte sie mit einen Grinsen auf den Lippen.

Unwillkürlich musste ich an den Mann aus dem Lokal denken als Sean mich aus dem Krankenhaus abgeholt hatte.

Believe in yourselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt