9. Kapitel

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Sawyer {8 Jahre früher}

„Autsch." kommentierte ich, als ich in die Küche kam und auf den Kühlschrank zusteuerte, nachdem ich einen flüchtigen Blick auf meinen Bruder geworfen hatte. Blake saß am Tisch und aß eine Portion Pasta. Sein Unterlippe war aufgeschlagen und seinen Wangenknochen zierte ein großer Bluterguss der sich beinah bis unter sein Auge zog. Es kam schon öfter vor, dass ich ihn so vorfand, weshalb es mich nicht mehr ansatzweise so wunderte wie beim ersten Mal.

„Jap." entgegnete er gleichgültig und nahm einen weiteren Bissen. Sein Blick lag vor ihm auf seiner Schüssel. Es war gerade gegen Nachmittag und er wirkte so aus als wäre er gerade erst nachhause gekommen. Er trug noch immer das, was er auch gestern Abend trug, bevor er weggegangen war.

„Letzte Nacht wieder gestolpert? So wie die anderen 5 Mal?" Ich hatte mir etwas Saft aus dem Kühlschrank genommen und mich ihm dann gegenüber auf den Stuhl gesetzt. Das hatte er mir die ersten 2x erzählt, als ich ihn auf seine Verletzungen ansprach. Danach fragte ich nicht mehr nach weil ich wusste, dass er mir nicht sagen würde, woher diese Verletzungen kamen. Seit ungefähr 2 Jahren hatte Blake diesen Job. Innerhalb eines halben Jahres verdiente er so viel Geld, dass wir in eine Wohnung in London ziehen, er sich ein Auto kaufen und ein Studium finanzieren konnte. Was genau er tat, sagte er mir aber nicht. Neben diesen ganzen positiven Aspekten die sein Job mit sich brachte, gab es auch die weniger guten. Offensichtlich bekam er hin und wieder eine aufs Maul.

„Jap." sagte er erneut und lehnte sich jetzt entspannte in seinem Stuhl zurück, während er einen Schluck seines Bieres nahm und mich ansah. „Wie läufts im Purl?"

„Ich bin jetzt an der Bar." antwortete ich und nahm ebenfalls einen Schluck von meinem Saft. Das Purl war ein Restaurant mit Bar wo ich seit ein paar Monaten arbeitete. Ich wollte Geld verdienen um später eine eigene Bar aufmachen zu können. Nur brauchte das seine Zeit, Geld und vor allem Übung. Blake kannte den Inhaber des Ladens, wodurch ich den Job bekam.

„Hast du Avery flachgelegt oder wie hast du das geschafft?" fragte er jetzt überrascht. Avery war die Barkeeperin in dem Laden. Ende 20, wahnsinnig heiß und markierte zu Beginn deutlich ihr Revier. Es gefiel ihr gar nicht, als ich den Job bekam und sie realisierte, dass sie sich die Arbeit an der Bar eventuell mit mir teilen müsste. Aus diesem Grund herrschte zwischen uns am Anfang eine starke Spannung. Verständlich. Immerhin versuchte ich ihren Job zu bekommen.

„Davor konnte ich sie aber schon mit meinem Bramble überzeugen." gab ich zu und nahm wieder einen Schluck. Mein Hirn saugte jegliche Rezepte von Drinks auf wie ein Schwamm so dass ich innerhalb von 2 Tagen die komplette Karte drauf hatte und zubereiten konnte.

„Da besorge ich dir einen Job und zum Dank schnappst du mir auch noch die Muschi weg, auf die ich es eigentlich abgesehen hatte?" fragte er und grinste jetzt kopfschüttelnd.

„Sorry." erwiderte ich knapp und richtete meinen Blick auf meine Uhr. In einer Stunde musste ich wieder arbeiten..





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June {Heute}

Mein Kopf hatte sich die letzten 1,5 Wochen ständig um das letzte Gespräch mit Theo gedreht. Er bestätigte mir, dass er nichts von dem erwartete oder erhoffte was ich befürchtete. Dennoch schaute ich mich nebenher doch noch nach anderen Jobs um. Zu groß war meine Angst, dass es danach komisch zwischen uns wäre. Als ich ein paar Tage später zur Arbeit kam und es zwischen uns wie vor dem Gespräch war, verflüchtigte sich diese wieder.

Theo hatte mich wissen lassen, dass Sawyer und er an etwas arbeiteten und er aus diesen Gründen öfter im Laden wäre. Natürlich fragte ich nicht nach worum es sich dabei handelte. Zu meinem Glück hielten sie sich ausschließlich im Keller auf, so dass ich ihn nur hörte wenn er morgens kam oder am Abend wieder ging. Je nachdem wann ich arbeitete. Aus diesem Grund gab es gar keine Möglichkeit in der wir erneut gegeneinander raten konnten worüber ich froh war. Ich wollte Theo nicht verärgern in dem es erneut passierte, da er mir deutlich mitgeteilt hatte, dass er das nicht gebrauchen konnte.

„June, essen." rief er, als er wieder in den Laden zurück kam. Es war Freitag Nachmittag und Sawyer und er hatten den Laden verlassen. 20 Minuten später kam er mit Asiatischem Essen zurück.

„Ich komme gleich." rief ich zurück und füllte noch schnell die letzten Spalten der Tabelle aus, die ich angelegt hatte, bevor ich mich erhob und dann ebenfalls in den Keller ging. Als ich die steinerne Treppe hinunter kam und meinen Blick in den Raum richtete, sah ich nur Theo. Er saß alleine am Tisch und hatte vor sich 3 take away Boxen stehen. Er aß aber nicht sondern tippte auf seinem Handy herum. Von Sawyer war keine Spur zusehen. Vielleicht war er mittlerweile gegangen. Auf dem  großen Tisch vor mir und Theo waren verschiedene Unterlagen und Ordner, sowie ein paar Prospekte von Firmen die verschiednen Alkohol produzierten, verteilt.

Ich ging auf den Tisch zu und ließ meinen Blick in die Papiertüte fallen. Darin waren mehrere große und kleine Boxen mit verschiedenen Inhalten. Nudeln, Reis, Gemüse, Garnelen, Hähnchen. Er hatte gefühlt das ganze Menü bestellt. „Sind die Frühlingsrollen vegetarisch?" fragte ich als ich sie entdeckte.

„Keine Ahnung. Die hat Saw bestellt." antwortete er flüchtig. Noch immer vertieft in das was er auf seinem Handy tat.

„Schade." gab ich daraufhin knapp wieder. Verdammt. Das war das einzige, was mich in diesem Moment richtig angesprochen hatte. Mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken daran.

„Du kannst sie haben." vernahm ich nun Sawyers raue Stimme, der genau in diesem Moment die Treppe hinunter kam. Also war er doch noch da. Aus Reflex sah ich kurz in seine Richtung. In seinen Händen hielt er vier Flaschen Bier.

„Ist schon okay." entgegnete ich und blickte jetzt zu dem rüber was Theo vor sich auf dem Tisch stehen hatte. Leider stand da nichts, was mir wirklich zusagte. Vielleicht würde ich mir selbst Frühlingsrollen holen. Oder den Müsli-Riegel essen den ich heute Morgen, bevor ich hier her kam, eingesteckt hatte.

Keine Ahnung ob ihm mein Blick aufgefallen war aber nachdem er die Flaschen auf dem Tisch abgestellt hatte, stellte er sich schräg neben mich. Er öffnete die Tüte, nahm die Box mit den Frühlingsrollen heraus, öffnete sie und griff nach einer, bevor er sie wieder schloss und mir in die Hand drückte. „Dip ist in der Tüte." fügte er hinzu. Für ein paar Sekunden lag sein Blick auf mir aber dann wendete sich von mir ab und setzte sich mit einer anderen Box mit Essen auf den Stuhl gegenüber von Theo, der noch immer hoch konzentriert auf sein Handy starrte und nichts von dem mitbekam, was gerade passiert war.

Aufgrund in mir herrschender Verwirrung hielt ich kurz inne bevor ich mich schließlich bedankte. „Danke." sagte ich und richtete meinen Blick jetzt auf die Box in meiner Hand. Ich war etwas überrascht über die Geste seinerseits. Es war das erste mal, dass er normal mit mir gesprochen hatte und etwas tat das man als freundlich bezeichnen konnte...

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt