Sawyer {5 Jahre früher}
Leise Musik im Hintergrund und die beinahe dröhnenden Stimmen der Gäste drangen in meine Ohren, als ich die recht große Bar betrat. Für einen kurzen Augenblick blieb ich am Rand des weitläufigen Raumes stehen und ließ meinen erkundenden Blick durch das mit Menschen gefüllte Lokal wandern, bevor er schließlich seitlich am Kopf der Bar hängenblieb. Blake hatte mir am Nachmittag die Adresse dieser Bar sowie die Information zukommen lassen, dass sich Mavis heute Abend hier aufhalten würde. Dazu die auffordernde Nachricht, dass er nach wie vor von mir verlangte, dass ich die Sache zwischen uns aus der Welt schaffte, was auch immer es war.
Mit gelassenem Schritt und ohne meinen Blick von ihr abzuwenden, durchquerte ich den Raum und bahnte mir meinen Weg an die Bar, wo ich sie schon von Weitem hatte sitzen sehen. Je näher ich ihr kam, desto mehr meinte ich mir einzubilden, ihren lieblichen Duft wahrzunehmen. Als ich schließlich an der Theke ankam, lief ich hinter ihr vorbei und lehnte mich dann entspannt neben sie an den Tresen. Vor ihr stand ein halbleerer Tumbler mit einer beerig farbenen Flüssigkeit darin und einem Minzblatt darauf, in welchem sie etwas verträumt rührte.
„Von meinem Joy Division zu einem Bramble ohne Brombeere ist ein ziemlicher Abstieg", sagte ich ehrlich und überflog für einen kurzen Moment unbeeindruckt die Karte mit Getränken, die vor mir auf der Bar lag.
„Da war eine, aber ich habe sie gegessen", antwortete sie sanft, nachdem sie ihre Augen von dem Glas vor ihr gelöst hatte und dann neben sich in meine Richtung sah. Ich stand so dicht neben ihr, dass ich ihre leichte Bewegung spüren konnte, als ich sie mit meinen Worten aus ihrer vermeintlichen Trance gerissen hatte.
„Solltest du bei der Arbeit nicht etwas begeisterter aussehen?", fragte ich bewusst provokant, nachdem ich meine Augen wieder von der Getränkekarte gelöst und mich ihr zugewendet hatte, um sie ansehen zu können. Ihre Aufmerksamkeit allerdings lag nun erneut auf dem Drink in ihrer Hand, aus dem sie einen Schluck nahm, bevor sie diesen wieder vor sich abstellte.
„Lass das mal meine Sorge sein. Kann ich etwas für dich tun, Sawyer?", stellte sie stattdessen die Gegenfrage und wendete sich mir jetzt ebenfalls zu. Dabei berührten ihre überschlagenen Beine meine, weshalb ich meine Augen für den Bruchteil einer Sekunde zu ihnen nach unten schweifen ließ, bevor sie in ihr Gesicht zurückfanden. Wie als hätte sie eine Maske aufgesetzt, lag nun ein verführerisches und freundliches Lächeln auf ihren vollen Lippen. Ich musste zugeben, dass ich von ihrer Professionalität in dieser Situation beeindruckt war. Was auch immer sie gerade empfand, sie ließ sich nichts anmerken. „Ansonsten bitte ich dich zu gehen", fügte sie hinzu, als ich eine Weile stumm zwischen ihren Augen hin und her gesehen hatte.
„Ich habe noch nicht vor zu gehen", entgegnete ich knapp und erwiderte ihr gespieltes Lächeln kurz. Ich wollte sehen, wie weit ich gehen musste, um sie aus der Reserve zu locken. Und ich wollte sehen, wie sie damit umgehen würde.
„Dann geh woanders hin", bat sie erneut, ohne ihren Blick von meinem zu lösen. Aus dem Augenwinkel vernahm ich die Bewegung ihrer Hand, wie sie etwas mit den Fingern auf dem Rand ihres Glases tippte. Innerlich war sie deutlich erkennbar nicht so gelassen wie sie nach außen hin wirkte.
„Weil ich dir die Kundschaft fernhalte?", fragte ich mit ruhiger Stimme und löste meinen Blick jetzt von ihrem, um ihn daraufhin kurz hinter ihr durch den Raum wandern zu lassen.
„Weil du offensichtlich hier bist, um Ärger zu machen, und ich das jetzt nicht gebrauchen kann. Ich glaube, deinem Bruder würde es nicht gefallen zu hören, dass du meine Arbeit sabotierst", sagte sie wieder. Der Unterton in ihrer Stimme war nun nicht mehr ganz so entspannt wie noch einen Augenblick zuvor, weshalb ich ihr zurück ins Gesicht sah. Das aufgesetzte Lächeln von eben war jetzt verschwunden, und allmählich war in ihrem Gesichtsausdruck zu erkennen, wie wenig es ihr recht war, dass ich hier war.
„Du willst es Blake erzählen?"
„Das werde ich tun müssen, wenn du damit nicht aufhörst", entgegnete sie ernst und nickte dabei bestätigend.
„Genauso wie du ihm erzählt hast, was bei mir im Laden passiert ist, als du das letzte Mal da warst?", fragte ich erneut, nachdem ich sie für einige Sekunden stumm angesehen hatte. „Ich glaube tatsächlich, dass ich alles Mögliche mit dir machen kann, ohne dass du ihm etwas sagen würdest. Nur weiß ich noch nicht, warum", ergänzte ich überzeugt, als ich sah, wie sie etwas nervös wegen meiner Worte schluckte. Sie wusste, dass ich wusste, dass sie bluffte.
Nachdem ich diese Worte ausgesprochen hatte, legte sich ein Ausdruck in ihr Gesicht, wodurch ihre professionelle Maske erkennbar von Sekunde zu Sekunde immer mehr zu fallen schien. Daraufhin löste sie ihren Blick von meinem und wendete sich von mir ab. Fast panisch griff sie nach ihrer Tasche, die neben ihren Beinen unter dem Bartresen hing, und öffnete sie, um etwas Geld herauszunehmen, welches sie neben ihren Drink legte. Dann erhob sie sich hastig von ihrem Stuhl und lief mit eiligen Schritten durch die Menge. Ein paar Blicke der Personen, an denen sie vorbeilief, folgten ihr, weshalb ich etwas widerwillig hinter ihr herging, als ich sie nicht mehr sehen konnte.
Nachdem ich ebenfalls durch die Menge gelangt war und den Barbereich verlassen hatte, sah ich sie in einem langen und breiten Gang vor der geschlossenen Fahrstuhltür des Aufzuges stehen, der sie nach unten zum Ausgang bringen würde. Ungeduldig drückte sie immer wieder auf den bereits leuchtenden Knopf, der ihn zu ihr nach oben bringen sollte.
Als ich mit langsamen Schritten auf sie zuging, bemerkte sie meine Bewegung aus dem Augenwinkel, weshalb sie für einen kurzen Moment in meine Richtung sah. Anschließend ließ sie ihren Blick suchend in dem Flur umherwandern und blieb dann auf der Hälfte des Ganges an einer schwarzen Tür hängen, über der ein leuchtendes Schild mit der Aufschrift "Stairs" angebracht war. Mit zügigen Schritten und genügend Abstand zwischen uns lief sie auf die Tür zu und öffnete sie. Bevor sie allerdings ins Schloss fiel, ging ich ebenfalls durch sie hindurch.
„Mavis, warte", sagte ich, als die Tür mit einem dumpfen Knall hinter mir ins Schloss fiel. Wir befanden uns jetzt in einem kühlen und nur schwach beleuchteten Treppenhaus, welches über etliche Treppen in das Erdgeschoss des Gebäudes führte.
„Um herauszufinden, was du alles machen kannst, bis ich Blake etwas davon erzähle? Ich passe", gab sie schnippisch wieder und lief jetzt ein paar Meter vor mir achtsam eine der Treppen hinunter. Mit ihrer Hand umfasste sie das Geländer. Aus ihrer Stimme war deutlich herauszuhören, dass sie aufgebracht war.
Mit schnellen Schritten folgte ich ihr die Treppe hinunter und legte meine Hand um ihren Oberarm, um sie festzuhalten. Dann lief ich an ihr vorbei und stellte mich ihr in den Weg, sodass sie stehen bleiben musste. Wir standen nun auf einem knappen Stück zwischen zwei der Treppen. Für einige Sekunden war in dem hallenden Treppenhaus nichts zu vernehmen außer unser regelmäßiger Atem. Daraufhin löste Mavis ihren Arm aus meiner Hand und brachte wieder etwas mehr Abstand zwischen uns.
„Warum hast du ihm nichts gesagt?", fragte ich schließlich, als sie ihren Blick wieder zu mir aufgerichtet hatte. Ich musste mir eingestehen, dass mir diese Frage auf der Seele brannte.
„Weil ich meine Angelegenheiten selbst regeln kann", antwortete sie bestimmt. Die Kälte in dem Treppenhaus ließ sie etwas zittern, weshalb sich ihre versteiften Brustwarzen langsam durch den dünnen Stoff ihres Kleides drückten. Kurz ließ ich meinen Blick zu ihrem Dekolleté wandern, weshalb sie ihre mit Gänsehaut bedeckten Arme vor der Brust verschränkte, sodass ich ihr wieder ins Gesicht sah.
„Deine Angelegenheit? Es ist nicht deine. Erst seit er sie zu deiner gemacht hat", entgegnete ich jetzt mit rauer Stimme und runzelte dabei verwundert meine Stirn.
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es mir mit dir verbockt habe, weil ich damals in deine Bar kam. Egal wessen Angelegenheit es ist, das hier wird immer so aussehen", stellte sie fest und hielt dann inne, als würde sie nachdenken. „Was ich wirklich bedaure", fügte sie nun wieder mit sanfter Stimme hinzu, ohne ihren Blick von meinem zu lösen.
Der Ausdruck, der jetzt in ihrem schönen Gesicht lag, machte etwas mit mir. Ich spürte deutlich die Reue, die sie aufgrund unserer ersten Begegnung empfand. Aus diesem Grund war ich bereit, einen Schritt auf sie zuzugehen. „Nein, wird es nicht", sagte ich und reichte ihr jetzt meine Hand. „Sawyer. Freut mich, dich kennenzulernen."
„Mavis. Gleichfalls", antwortete sie daraufhin und reichte mir ihre kalte Hand. Während ich sie leicht schüttelte, legte sich ein minimales Lächeln auf ihre Lippen..
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Between Tears and Whisky Sour
Teen Fiction{1. Teil der Preposition-Trilogie} Nachdem June die Liebe ihres Lebens in flagranti erwischt, verlässt sie ihre Heimat Atlanta und zieht nach London. Sie verspricht sich, nie wieder eine Träne für ihr vergangenes Leben, ihren Ex-Freund oder sonst ei...