60. Kapitel

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{Zwei Monate später}

„Bitte versprich mir, dass wir in Kontakt bleiben, okay?", sagte Grace, die mich fest an ihre Brust drückte, nachdem wir beide einen Blick auf die elektrische Eingangstür vor dem Flughafen-Terminal geworfen hatten, die sich in regelmäßigen Abständen öffnete.

„Ich verspreche es", entgegnete ich und strich ihr mit meiner Hand leicht über den Rücken. Die Art und Länge der Umarmung zeigten mir, dass der Abschied Grace schwerfiel, genauso wie mir. Aber nicht so schwer wie hier in London zu bleiben.

„Du wirst mir fehlen, June. Ganz ehrlich", sagte Grace wieder, während sie sich langsam von mir löste und ihren Blick in mein Gesicht richtete. Ihre Augen waren glasig, und ich konnte erkennen, dass sie gleich anfangen würde zu weinen, was mir die Sache nicht gerade leichter machte.

„Du mir auch. Aber wir werden uns wiedersehen und dann bist du bestimmt schon eine der renommiertesten Juristinnen hier in London", antwortete ich und lächelte sie leicht an. Meine Worte ließen nun auch sie etwas lächeln.

„Pass auf dich auf", erwiderte Grace und strich mir leicht über den Stoff meiner Jacke am Arm. Als ich ihr langsam bestätigend zunickte, machte sie ein paar Schritte rückwärts und drehte sich daraufhin um, um gemächlich über den überfüllten Gehsteig zu laufen. Mit meinen Augen folgte ich ihr so lange, bis ich sie nach einiger Weile in der Menschenmenge verlor und nicht mehr sehen konnte. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Koffer der neben mir stand und griff danach, während ich mich zu der elektrischen Schiebetür umdrehte. Für ein paar Sekunden verharrte ich genau so davor, bevor ich ein paar tiefe Atemzüge nahm und in den Terminal hineinlief.

Nach meinem letzten Treffen mit Theo hatte es genau eine Woche gedauert, bis ich merkte, dass sich mein Leben hier in London nie wieder so gut anfühlen würde wie vor der zufälligen Begegnung mit Sawyer. Meine Wohnung und die ganze Stadt erinnerten mich an ihn und das, was zwischen uns gewesen ist, was mir sehr weh tat. So sehr, dass es beinah quälend und unerträglich war. Also tat ich genau das, was ich auch damals getan hatte und gut konnte: Ich entschied mich wegzulaufen, statt mich meinen gehassten Gefühlen zu stellen und darüber hinwegzukommen. Ich wusste, dass dies die leichtere Variante war, aber es fühlte sich an, als wäre es für mich das einzige, was ich tun konnte. Zu etwas anderem fühlte ich mich nicht ansatzweise in der Lage.

Also gab ich meine Wohnung auf und kaufte mir ein Ticket, um zurück in die USA zu gehen. Ich hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen, sondern wollte einfach dorthin zurück, wo meine Wurzeln und mein Zuhause waren, nach dessen Trost ich mich sehnte.

Ich hatte die Hoffnung, dass dort meine Wunden heilen konnten, da dies auch der Ort war, wo die ersten von ihnen entstanden sind. Ich wusste, dass ich erst heilen musste, um ein lebenswertes Leben führen zu können, in dem ich mir erlaubte zu lieben. Das war es, wovor ich mich am meisten fürchtete: vor dem Schmerz, der durch die Liebe zu jemandem entstand. Ich hatte bereits einmal die Erfahrung gemacht, dass die Liebe zu einem anderen Menschen das schönste Gefühl der Welt sein konnte und gleichzeitig auch, wie schrecklich sie sein konnte. Aber ich wusste auch, dass es nicht immer so schmerzhaft sein musste wie das, was ich nun zum wiederholten Male durchmachte. Und diese positive Erfahrungen würde ich machen müssen..


{Teil zwei: Next to Coke and Joy Division}

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt