31. Kapitel

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Sawyer {5 Jahre früher}

Ich wusste nicht genau, was ich zu Beginn dieses Abends erwartet hatte, als Blake mich bat, hierher zu kommen. Ich hatte mit etwas Belanglosem gerechnet, so dass ich nach ein paar Drinks unbeirrt zurück in meinen Laden gehen konnte, um zu arbeiten. Die Offenbarung über seine ebenfalls mit Drogen dealende Freundin machte mir allerdings einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Von diesem Moment an wanderte meine Stimmung in den Keller, weshalb ich beschloss, mir die Kante zu geben. Nur heute, denn ich trank eigentlich nicht auf diese exzessive und zugleich destruktive Art. Ich befürchtete, ich würde meine Laune sonst an jemandem auslassen, der es nicht verdient hatte...

Mittlerweile waren ein paar Stunden vergangen. Das Lokal war noch immer gut besucht, und ich nippte an einem weiteren Drink, der mir ein paar Sekunden zuvor auf den Tisch gestellt wurde. Von Drink zu Drink merkte ich, wie die in meinem Kopf kreisenden Gedanken über die Dinge, die mein Bruder mir gesagt hatte, weniger wurden. Damit verschwand allerdings nicht die in mir herrschende Wut über die Machtlosigkeit, die ich empfand. Ich dachte immer, ich wäre aus dem Schneider, wenn ich meinem Bruder klar kommunizieren würde, dass ich nichts mit dem zu tun haben wollte, was er tat. Aber wenn ich nicht durch ihn beeinflusst wurde, dann durch jemand anderen. Mir wurde bewusst, dass es in einer Stadt wie London unmöglich war, nichts damit zu tun zu haben. Jeder Gastronom hatte auf eine Art und Weise etwas damit zu tun, ob er wollte oder nicht.

Blake war vor einer Weile in der Menge verschwunden und unterhielt sich mit verschiedenen Leuten. Ich dagegen war alleine am Tisch zurückgeblieben und hatte meinen Blick tief in meinem Glas versenkt.

„Ich wusste nicht, dass es in West End noch Bars gibt, in denen der Besitzer hinter seinem eigenen Tresen steht", vernahm ich eine sanfte, aber zugleich klare Stimme. Mit Leichtigkeit durchdrang sie die im Hintergrund laufende Musik und das Gerede der anderen Personen in diesem Raum. Langsam richtete ich meinen vom Alkohol getrübten Blick auf und sah in das wunderschöne Gesicht jener Frau, die, so befürchtete ich, ab sofort eine größere Rolle in meinem Leben spielen würde, als mir lieb war. Diesmal lag kein charmantes Lächeln auf ihren vollen Lippen. Dennoch wirkten ihre Gesichtszüge weich, ganz anders als vorhin, wo ich ihr ins Gesicht gesehen hatte. „Genauso wenig wusste ich, dass Blake einen Bruder hat", fügte sie hinzu und setzte sich mit einem kleinen Abstand zwischen uns neben mich auf die gepolsterte Bank.

Sie hatte recherchiert. Clever von ihr. Noch cleverer wäre es gewesen, zu recherchieren, bevor sie in einem Laden ihre Geschäfte machte. Vielleicht war sie mittlerweile schlauer als noch vor ein paar Monaten, denn nicht zu wissen, wer ihr gefährlich werden könnte, wurde ihr offensichtlich zum Verhängnis.

„Die Arbeit hinter dem Tresen hat den Vorteil, dass man von dort am besten mitbekommt, was in seiner eigenen Bar passiert", antwortete ich, ohne meine Augen von ihr zu lösen. Aus ihrer Richtung drang ein verführerischer Duft, der mir vorhin schon aufgefallen war, als sie an mir vorbeigelaufen war.

„Ist das so?" fragte sie knapp. Jetzt überschlug sie elegant ihre Beine und lehnte sich mir zugewendet nach hinten an das Polster.

„Zum Beispiel wenn sich betrunkene Kerle unangebracht verhalten oder wenn jemand Drogen mitreinbringt, um sie an meine Gäste zu verticken", entgegnete ich nun und nahm wieder einen Schluck meines Drinks. Es überraschte mich selbst, dass meine Stimme so entspannt klang, als ich diese Worte aussprach. Vorhin war ich noch rasend wütend bei dem Gedanken daran.

Die Art, wie sie mich jetzt in diesem Augenblick ansah, und wie sich ihre eben noch gelassene Körperhaltung veränderte, machte deutlich, dass meine Worte so bei ihr ankamen, wie ich es beabsichtigt hatte. Sie verstand genau, was ich ihr damit zu verstehen geben wollte.

„Hast du etwa gedacht, dass ich es nicht wüsste?" fragte ich erneut, weshalb sie ihren Blick für den Bruchteil einer Sekunde von meinem löste. Ihre Reaktion ließ mich vermuten, dass sie es tatsächlich nicht wusste.

„Es war nichts Persönliches", antwortete sie und schüttelte leicht ihren Kopf. Dann sah sie zu mir zurück. Ihre Stimme war noch immer beeindruckend klar.

„Nichts Persönliches?" wiederholte ich ihre letzten Worte überrascht. „Du hast etwas sehr Persönliches daraus gemacht, als du durch meine Tür getreten bist, Mavis. Und das nehme ich dir verdammt übel", erklärte ich mit ruhiger, aber ernster Stimme und sah zwischen ihren Augen hin und her. Jetzt spürte ich wieder die in mir aufkochende Wut, die ich bereits vorhin gespürt hatte. Sie breitete sich in jede Faser meines Körpers aus.

Nachdem sie meinen Worten einen Moment lang gelauscht hatte, öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen. Aber bevor sie dies tun konnte, kam ich ihr zuvor.

„Ich hoffe wirklich für dich, dass das zwischen meinem Bruder und dir nicht mehr allzu lange läuft, damit wir uns nicht ein drittes Mal über den Weg laufen. Falls Blake allerdings noch länger Interesse an dir haben sollte, empfehle ich dir, dich von meiner Bar fernzuhalten. Denn wenn ich dich dort nochmal sehen sollte, wird es dir leidtun, das verspreche ich dir", warnte ich. Mein Blick lag noch immer ununterbrochen auf ihr. Für einen Moment wartete ich, ob sie erneut etwas sagen wollte, aber das tat sie diesmal nicht. Aus dem Augenwinkel vernahm ich lediglich, wie sie mit der Hand über den Stoff ihres Kleides am Bein strich. Diese Geste bestätigte mir, dass meine Worte angekommen waren. Dann leerte ich mit einem Zug den letzten Rest des Drinks und erhob mich von meinem Platz, um sie dort alleine zurückzulassen.

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt