Ein schweres Gefühl breitete sich von Sekunde zu Sekunde in meiner Magengegend aus, als ich die gold-verschnörkelten Worte auf der cremefarbenen Karte laß.
Wir werden heiraten!
Brooklyn und Aiden
Beigefügt war eine kleine Notiz mit der unverkennbar perfekten Handschrift von Brooklyn: Ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dich dort zu sehen aber ich hätte es als falsch empfunden dich nicht darüber zu informieren und einzuladen. Ich hoffe, wir können die Vergangenheit eines Tages hinter uns lassen. Brook.
Für einen Moment umklammerte ich mit der Hand das Polster meiner Couch, um mich einen Augenblick danach auf ihr niederzulassen. Aiden und Brooklyn heirateten. Meine Halbschwester heiratete den Mann, den ich einst geliebt hatte. Den Mann, den ich womöglich noch heute liebte..
Ich musste mir eingestehen, dass mir das ganze noch immer schmerzte, auch wenn es mittlerweile etwas mehr als 2 Jahre her war. Zu hören, dass sie heirateten, obwohl ich mir gewünscht hätte, dass es zwischen den beiden nicht funktionierte. Ich hatte darauf gehofft, dass Aiden sie genauso einfach auswechseln würde, wie er mich ausgewechselt hatte. Aber die Einladung zu ihrer Hochzeit zeigte mir etwas anderes. Sie waren offensichtlich sehr glücklich miteinander. So glücklich, dass sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollten.
Mit gemischten Gefühlen legte ich die Karte vor mich auf den Tisch und vergrub mein Gesicht daraufhin in meinen Handflächen. Nicht weinen. Diese zwei Worte wiederholte ich etliche Male in meinem Kopf. Nicht weinen. Nicht weinen. Nicht weinen... Denn genau das war es, was ich tun wollte, um die in mir herrschende Traurigkeit und Wut rauslassen zu können, damit ich mich besser fühlte. Aber das tat ich nicht. Zu sehr hielt ich an dem fest, was ich mir selbst versprochen hatte, als ich damals in das Flugzeug gestiegen war. Nie wieder wegen meiner Vergangenheit, Aiden oder einem anderen Kerl zu weinen, der es nicht wert war. Ich wollte nicht mehr die weinerliche Person sein, die ich früher mal war.
Ich erwischte mich dabei, wie meine Gedanken für den Bruchteil einer Sekunde zu den Drogen schweiften, die ich noch von Theo hatte. Sofort löste ich mein Gesicht wieder aus meinen Händen und richtete meinen Blick in die Richtung des Flures. In der Kommode in meinem Schlafzimmer, tief unter meiner Kleidung vergaben, befand sich in einem durchsichtigen Platiktütchen, die vorübergehende Lösung für all die ungewollten Gefühle und Gedanken, die ich gerade empfand. Wie mit einem Schalter könnte ich sie einfach für die nächsten Stunden ausschalten. Das war es, wonach ich mich gerade sehnte. Trotz dieses starken Bedürfnisses, dachte ich an die Konsequenzen die darauf folgten. Ich würde in der Zukunft noch öfter an einen Punkt kommen, an dem ich mich so fühlen würde wie jetzt. Ich würde nicht mehr davon weg kommen wenn ich nicht auf eine gesunde Art und Weise lernte damit umzugehen...
Nachdem ich diese Idee für einen Moment gedanklich evaluiert hatte, schlug ich sie mir wieder aus dem Kopf. Stattdessen griff ich nach meinem Telefon, welches ebenfalls vor mir auf dem Tisch lag und verfasste eine kurze Nachricht an Grace.
Ich: Aiden und Brooklyn heiraten..
Innerhalb einer Sekunde, nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte, erschien ihr Name auf meinem Display. Etwas überrascht hob ich ab. Es war früher Abend und ich hatte erwartet, dass sie, wie fast immer, lernte.
„Woher weißt du das?" fragte Grace direkt. Ihre Stimme klang überrascht.
„Es steht auf der Einladung die in meinem Briefkasten war." entgegnete ich und setzte mich jetzt mit angewinkelten Beinen auf das Sofa. Während ich sprach, richtete ich einen flüchtigen Blick zurück auf die Karte.
„Und woher wissen die wo du wohnst?"
„Ich habe keine Ahnung." antwortete ich und rieb mir mit der Hand durch mein Gesicht. Diese Frage war mir bis jetzt gar nicht in den Sinn gekommen. Als ich Atlanta verlassen hatte, teilte ich niemandem mit, dass und wohin ich gehen würde. Vielleicht konnte man Wohnorte von Menschen heutzutage leichter rausfinden als mir bewusst war und ich wusste es nur nicht, weil ich noch nie zuvor die Adresse von jemandem gesucht hatte.
„Wie sadistisch können zwei Menschen eigentlich sein? Zuerst betrügen sie dich und jetzt laden sie dich auch noch zu ihrer Hochzeit ein? Was kommt als nächstes? Die Bitte, dass du Patentante ihres gemeinsamen Kindes wirst?! Ich fasse es nicht." sagte Grace hörbar aufgebracht. Ich war mir sicher, dass sie ihren Kopf in diesem Moment entsetzt schüttelte, wie sie es immer tat wenn sie sauer war.
„Möglich wäre es. Brooklyn hat einen Zettel beigelegt in dem sie schreibt, dass sie sich wünscht, dass wir die Vergangenheit irgendwann begraben können." erwiderte ich jetzt.
„Und was denkst du darüber? Möchtest du das auch?" fragte Grace erneut.
„Ich kann es nicht, auch wenn ich wollte. Vielleicht ändert sich das irgendwann mal wenn ich meinen Frieden gefunden habe. Wenn mich nicht mehr jeder Gedanke an die beiden innerlich fast umbringt." sagte ich. Brooklyn war meine Halbschwester und die einzige Person, die von meiner leiblichen Familie übrig war. Aus diesem Grund wollte ich es nicht komplett ausschließen, dass ich womöglich irgendwann dazu bereit war, einen minimalen Schritt auf sie zuzugehen. Aber dafür brauchte ich Zeit!
„Ich bin gleich auf den Geburtstag eines Kommilitonen eingeladen. Möchtest du mitkommen? Vielleicht tut es dir ganz gut etwas raus zu gehen, damit du nicht so viel über die Sache nachdenken musst." schlug sie nun vor. Im Hintergrund hörte ich, wie sie etwas in ein Glas goss.
„Ich glaube nicht." antwortete ich knapp und sah für einen kurzen Moment aus dem Fenster. Es war schon wieder dunkel draußen. Dann griff ich nach der kuscheligen Decke die neben mir auf der Couch lag und deckte mich damit zu. Mein Plan war es, den restlichen Abend hier zu bleiben, etwas Wein zu trinken, Filme zu sehen und in Selbstmitleid zu baden.
„Ach komm schon. Nur für ein paar Drinks. Angehende Juristen sind besoffen nur halb so schlimm wie im nüchternen Zustand. Und wenn du es trotzdem scheiße findest, verspreche ich dir, halte ich dich nicht auf wenn du gehen möchtest." bettelte Grace ins Telefon. Ihre Aussage über Juristen ließ mich etwas schmunzeln. Ich war mir sicher, dass sie genau wusste welche Stereotypen es von Jura-Studenten gab. Und sie wusste bestimmt auch, dass diese häufiger zutrafen, als man glaubte. Dies schien mir die einzige Erklärung zu sein, warum sie mich mitnehmen wollte. Weil sie es alleine nicht mit denen aushielt. Schließlich war sie keine typische-Juristin.
„Wann und wo ist der Geburtstag?" fragte ich, nachdem ich kurz darüber nachgedacht hatte.
„In so einem Club in der city of london. Ab 21:30 ist der Gastgeber dort, also hast du noch Zeit. Wenn du möchtest kannst du vorher zu mir kommen. Dann trinken wir schon mal etwas und fahren anschließend gemeinsam dort hin." schlug sie vor.
Für einen Augenblick hielt ich inne und dachte erneut darüber nach. Wollte ich mich wirklich duschen, fertig machen und meine Wohnung für einen Abend verlassen, der mich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eh enttäuschen würde? Aber vielleicht hatte Grace Recht und es tat mir gut wenn ich etwas trinken und unter Leute gehen würde, statt alleine zuhause zu sitzen. Ich kam mir mittlerweile schon wie ein Einsiedlerkrebs vor, auch wenn mich diese Tatsache nicht störte. Ich musste meine Erwartungen einfach etwas zurückschrauben und den Abend auf mich zukommen lassen. Immerhin wusste ich nicht, wen ich kennenlernen und wer mich möglicherweise am Ende des Abends positiv überraschen würde...
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Between Tears and Whisky Sour
Teen Fiction{1. Teil der Preposition-Trilogie} Nachdem June die Liebe ihres Lebens in flagranti erwischt, verlässt sie ihre Heimat Atlanta und zieht nach London. Sie verspricht sich, nie wieder eine Träne für ihr vergangenes Leben, ihren Ex-Freund oder sonst ei...