59. Kapitel

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Der Termin meines Schwangerschaftsabbruchs war nun bereits 2,5 Wochen her, und langsam erholte ich mich davon. Denn obwohl der Eingriff an sich keine große Sache war und laut der Ärztin nur 30 Minuten gedauert hatte, war das Thema danach nicht schlagartig abgeschlossen. In der darauffolgenden Zeit weinte ich so viel und schmerzhaft wie nie zuvor in meinem Leben – nicht einmal nach dem Betrug und der Trennung von Aiden. Obwohl ich immer wieder versuchte, damit aufzuhören, schaffte ich es nicht. Meine Gynäkologin hatte mir prophezeit, dass solche Gefühlsausbrüche aufgrund der Schwangerschaftshormone normal seien, weshalb ich es nach einer Weile einfach zuließ. Dass auch meine Traurigkeit mit Sawyer zu tun hatte, akzeptierte ich ebenfalls. Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass ich mich irgendwann nicht mehr so fühlen würde wie jetzt. Je mehr Tage vergingen, desto seltener wurden auch die Phasen des Weinens, sodass ich mich bereit fühlte, die Haustür für einen ersten und auch letzten Besuch zu verlassen...

„Nur mit Milch, oder?", versicherte sich Theo und reichte mir eine Tasse mit gut duftendem, heißem Kaffee. Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken, sodass ich meinen verträumten Blick von dem Punkt löste, den ich die letzten Minuten fokussiert hatte.

„Ja, danke", entgegnete ich und sah ihn kurz an, während ich ihm die Tasse abnahm. Mit einer weiteren Tasse in der anderen Hand setzte er sich stumm auf den Stuhl am Schreibtisch und nahm dann einen Schluck, was ich ebenfalls tat. Auch Theo wusste, dass es mein letzter Besuch hier in seinem Laden war, weshalb ich auf seinem Sessel sitzen durfte – der Platz, auf dem er immer saß, wenn wir beide hier oben gearbeitet hatten. Eine kleine, aber süße Geste von ihm.

„Wie geht es dir?", fragte Theo mit ruhiger Stimme und drehte sich mit dem Stuhl leicht hin und her. Sein Blick lag dabei auf mir, während ich meinen Blick in die Tasse gerichtet hatte. Ich war mir sicher, dass er sich denken konnte, wie es mir ging. Weil man es mir ansah.

„Heute ist der erste bessere Tag seit einer Weile", antwortete ich und lächelte ihn leicht an, nachdem ich wieder zu ihm aufgesehen hatte. Ein Lächeln das sich so anfühlte, als würde es den in mir herrschenden Schmerz vertreiben wollen. Es ging mir besser im Vergleich zu vor einigen Tagen, aber nicht ansatzweise so gut, dass ich das Gefühl hatte, wieder die Alte zu sein. Ich konnte spüren, wie allein diese Worte auszusprechen ausreichten, um mich fast wieder zum Weinen zu bringen.

„Hast du mit Sawyer geredet?", fragte er erneut, nachdem er langsam, verstehend genickt und einen weiteren Schluck Kaffee aus seiner Tasse genommen hatte.

„Kann man so sagen. Besser gesagt, er hat geredet. Und dabei war er so deutlich, dass ich wusste, dass es das Beste für mich wäre, die Schwangerschaft für mich zu behalten", entgegnete ich und löste meinen Blick wieder von seinem und senkte ihn vor mich. Augenblicklich drohte meine Sicht schon wieder zu verschwimmen.

„Das tut mir leid, June", sagte Theo. Seine Worte klangen aufrichtig, und nicht für einen Moment dachte ich daran, dass er es nicht ernst meinte. „Vielleicht tröstet es dich, wenn ich dir sage, dass es nicht an dir liegt, dass er so ist."

„Ich weiß es zu schätzen, dass du das sagst", erwiderte ich und richtete meinen Blick wieder auf ihn, während ich die Träne wegwischte, die sich bereits einen Weg an meiner Wange entlangbahnen wollte. Es war nett von Theo, dass er versuchte, mich aufzumuntern.

„Und ich meine es ernst. Ich habe Sawyer in der schwersten und dunkelsten Zeit seines Lebens gekannt. Er ist gebrochen, und das von Grund auf. Das, was du für ihn empfindest, wird er nicht erwidern. Nicht weil er nicht will, sondern weil er es nicht kann. Ich weiß nicht, was er zu dir gesagt hat, aber ich bin mir sicher, dass es schreckliche Dinge waren. Was ich jedoch weiß, ist, dass er dir damit einen Gefallen getan hat. Du solltest das Beste daraus machen, indem du dich von ihm fernhältst." 

Die Art, wie Theo diese Dinge aussprach, bereitete mir eine Gänsehaut. Ich strich mir mit den Handflächen über die Außenseite meiner Oberarme, während ich ihm lauschte. Ich war nicht ganz sicher, ob ich ihm folgen konnte.

„Weil er Drogengeld wäscht?", fragte ich knapp und nahm einen weiteren Schluck meines Kaffees. Vielleicht hatte die schwere und dunkle Zeit in seiner Vergangenheit, die, die er mittlerweile hinter sich gelassen hatte, auch etwas mit Drogen zu tun. Vielleicht hatte er selbst konsumiert oder gedealt.

„Du weißt davon?", stellte Theo nun überrascht und beinahe etwas geschockt die Gegenfrage. Seine Stirn legte sich dabei verwundert in Falten.

Ich nickte.

„Und weiß er das auch?", fragte er erneut. Ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete, aber jetzt wirkte er sogar etwas unentspannt aufgrund der Tatsachen, dass ich davon wusste. 

„Ich hatte die Vermutung und habe ihn danach gefragt. Er hat es mir bestätigt", antwortete ich und zuckte daraufhin kurz mit den Schultern. Der Ausdruck in Theos Gesicht schien nachdenklich. „Aber es ist mir egal. Ich werde niemandem etwas sagen. Das weiß er und auch sein Bruder. Das Einzige, was ich möchte, ist diese Sache abzuschließen und mein Leben weiterzuleben", fügte ich hinzu und richtete meinen Blick zurück in meine Tasse. Der flaumige Milchschaum in meiner Tasse war nun fast vollkommen verschwunden, weshalb ich den Kaffee leicht darin schwenkte. 

Was auch immer es war, das Sawyer zu diesem eiskalten und unberechenbaren Menschen gemacht hatte, der er heute war, es interessierte mich nicht. Und ich sah es auch nicht als meine Aufgabe, es herauszufinden. Ich war nicht so masochistisch veranlagt, dass ich mich nach all dem noch ein weiteres Mal freiwillig in seine Nähe begeben wollte. Das Einzige, was ich aus Theos Worten mitnehmen würde, war der Fakt, dass es einen Grund dafür gab, dass er ein Arschloch war und mich, sowie möglicherweise auch Andere, wie Dreck behandelte. Dennoch entschuldigte es nicht, dass er eins war und es wahrscheinlich auch für immer bleiben würde...

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt