„Willst du mich abfüllen?", fragte ich Grace, als ich sah, wie sie eine Schüssel mit Chips auf den Couchtisch vor uns stellte und mir dann erneut etwas Wein in mein Glas nachfüllte. Seit ich ihr vor einer Weile von meiner äußerst unangenehmen Situation erzählt hatte, verbrachten wir mehr Zeit miteinander als je zuvor. Dies war allerdings etwas, das mich freute. Ich hatte das Gefühl, dass sie das Gefühl hatte, für mich da sein zu müssen, auch wenn ich dies nie ausgesprochen hatte.
„Ja", antwortete sie ehrlich und setzte sich dann neben mich, zurück auf die Couch.
„Ist meine Stimmung etwa so schlecht, dass du mich nüchtern nicht erträgst?", fragte ich nochmals und griff in die Schüssel mit den Chips, um mir eine Handvoll davon zu nehmen. Meine Stimmung war tatsächlich seit längerem nicht die beste, und ich wusste auch, dass sie es merkte.
„Nein, es ist nicht wegen deiner Stimmung", entgegnete sie und nahm die Fernbedienung des Fernsehers vom Tisch, um den Film, den wir gerade sahen, zu pausieren.
„Sondern?", fragte ich erneut und runzelte nun etwas verwundert die Stirn, nachdem ich meinen Blick von dem Bildschirm gelöst hatte und ihn auf Grace richtete, während ich mir einen Chip in den Mund steckte und langsam kaute.
„Ich würde gerne mit dir über die Schwangerschaft reden, und ich weiß, dass du das im nüchternen Zustand nicht machen willst", gab sie zu, nachdem sie eine kurze Weile geschwiegen hatte.
„Betrunken will ich das genauso wenig", gab ich ernst wieder und ließ die Chips zurück in die Schüssel fallen, um meine Handfläche daraufhin an meiner Hose abzustreichen. Danach griff ich nach dem aufgefüllten Weinglas und nahm einen großen Schluck daraus. Ich merkte, dass der Ton in meiner Stimme harscher war, als er eigentlich sein sollte.
„Ich weiß, und es tut mir leid. Weil ich, auch wenn ich es versuche, nicht ansatzweise nachempfinden kann, was du aktuell emotional durchmachst. Aber das würde ich gerne. Und ich habe ein wenig die Befürchtung, dass du denkst, dass du das alles alleine aushalten musst", entgegnete Grace und legte ihre Hand dabei beruhigend auf mein Knie, um sanft darüber zu streichen.
Nachdem diese Worte ihren Mund verlassen hatten, merkte ich, wie die Gefühle, die ich die ganze Zeit erfolgreich unterdrückt hatte, beinahe über mich hereinbrachen. Aus diesem Grund löste ich meinen Blick von ihr und senkte ihn in mein Glas. Womöglich war es ein sadistischer Teil meines Selbst, aber ich wollte diese Situation alleine durchstehen, egal wie schmerzhaft oder schlimm das alles werden würde. Allein schon deshalb, weil ich daraus lernen wollte. Es sollte mir eine Lektion sein, sodass ich solche Fehler in der Zukunft nicht erneut machen würde.
„Hör zu, ich möchte nur, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde, falls du dich doch dazu entscheidest, dieses Baby zu bekommen. Egal was passiert", fügte sie nun leise, fast flüsternd hinzu, weshalb ich meinen Blick wieder zu ihr aufrichtete.
„Danke, aber ich werde es nicht bekommen", antwortete ich und nahm nun wieder einen weiteren Schluck von meinem Wein. Ich war ziemlich beeindruckt von mir selbst, dass ich, obwohl mich meine Gefühle fast übermannt hatten, ich mich bestens unter Kontrolle hatte. Womöglich war es ein Klischee, dass Schwangere ständig wegen jedem Mist anfingen zu weinen. Oder vielleicht war ich dafür einfach nicht weit genug...
„Hast du dir das wirklich gut überlegt?", versicherte sich Grace und lehnte sich nun wieder zurück gegen die Seitenlehne des Sofas.
„Ich warte nur noch auf den Rückruf der Ärztin, um letzte Fragen zu klären und den Termin zu bestätigen. In einer Woche sollte sich das Problem gelöst haben", sagte ich kühl und nickte. Von Beginn an war ich mir absolut sicher gewesen, sodass nichts und niemand mich davon abbringen könnte.
„Und der Kerl?", fragte Grace, nachdem sie für einen kurzen Moment innegehalten hatte, als würde sie nachdenken.
„Über den reden wir nicht", entgegnete ich knapp und deutete mit meiner Hand auf den Fernseher, um ihr damit zu verstehen zu geben, dass wir nun den Film weitersehen sollten. Ein Gespräch über Sawyer hatte mir gerade noch gefehlt.
„Warum nicht?", harkte sie nach und ignorierte gekonnt die Anweisung durch meine Handbewegung.
„Weil ich nicht darüber reden will", sagte ich wieder und blickte stur auf das Standbild des Films auf dem Bildschirm.
„Ich bin verwirrt, June. Was an diesem Typen ist jetzt so anders als an den anderen, von denen du mir etliche Male ausführlich erzählt hast?", brachte Grace heraus. Ja, ich konnte ihre Verwirrung verstehen, denn in der Vergangenheit hatte ich sie immer in alles eingeweiht. Ich wusste, dass ich mich einfach dafür schämte, dass ich zum einen immer wieder mit demselben Typen geschlafen hatte, obwohl genau dies eine meiner Regeln brach, und ich mich zusätzlich nicht nur in ihn verliebt, sondern auch noch ungewollt hatte schwängern lassen.
„Gar nichts", antwortete ich knapp mit ruhiger Stimme und zwang mich dazu, meinen nun starren Blick auf den Bildschirm gerichtet zu lassen. Augenblicklich merkte ich, wie stark mein Herz zu rasen begann und gegen meine Brust hämmerte.
„Soll ich mal raten?", durchbrach ihre jetzt wieder sanfte Stimme die erdrückende Stille, die gerade zwischen uns herrschte.
„Bitte nicht", brachte ich nun mit etwas brüchig werdender Stimme heraus, nachdem ich meinen Kopf langsam wieder in ihre Richtung gedreht hatte, um sie anzusehen. Die Art, wie sie mich nun ansah, machte deutlich, dass sie genau wusste, dass ich Gefühle für den Kerl entwickelt hatte, über den ich nicht reden wollte, auch ohne dass ich etwas sagen musste. Auch wenn Grace viel Zeit in der staubigen Unibibliothek zwischen trockenen Gesetzestexten verbrachte, konnte sie 1 und 1 bestens zusammenzählen, wenn sie es vor ihrer Nase hatte...
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Between Tears and Whisky Sour
Teen Fiction{1. Teil der Preposition-Trilogie} Nachdem June die Liebe ihres Lebens in flagranti erwischt, verlässt sie ihre Heimat Atlanta und zieht nach London. Sie verspricht sich, nie wieder eine Träne für ihr vergangenes Leben, ihren Ex-Freund oder sonst ei...