17. Kapitel

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Seit fast 3 Jahren hatte ich nicht mehr geweint. Seit ich die USA verlassen hatte. An sich war es mir auch nicht schwer gefallen, denn ich hatte nichts mehr in meinem Leben, was mir Anlass zum weinen geben konnte. Außer Grace würde etwas passieren. Aber die verbrachte 99% ihres Lebens mit lernen in der Bibliothek ihrer Universität, weshalb sie höchstens von einem herabfallenden Gesetzbuch erschlagen werden könnte.

Ich hatte das Gefühl, emotional abgestumpft zu sein. Die Sache mit Aiden hatte mich verändert, weshalb ich kein weinerliches und naives Mädchen mehr war, wie noch vor 3 Jahren. Ich untersagte mir selbst immer wieder, Emotionen zu fühlen, die über Wut hinaus gingen.

Die Zeilen in dem Brief meiner Mutter trafen mich unvorbereitet, wodurch ich für den Bruchteil einer Sekunde nicht länger in der Lage war, meine abwehrende Mauer aufrecht zu erhalten. Die Traurigkeit und der Schmerz, drangen durch einen minimalen Riss in der Fassade durch sie hindurch und stürzten anschließend die gesamte Mauer mit einer gewaltigen Wucht nieder. Ich weinte. Und wie ich weinte. Als wäre ich ein kleines Kind. Zuerst war ich sauer über mich selbst, aber dann akzeptierte ich es und ging ein Kompromiss mit mir selbst ein. Ich war in den USA. Sozusagen in meiner Heimat und in einem Teil meiner Vergangenheit. Da war es okay aufgrund der Vergangenheit zu weinen. Zurück in London wäre ich wieder in der Gegenwart, wo das Weinen wegen der Vergangenheit nicht erlaubt war.

Ich: Lust vorbei zu kommen?  -J

Es hatte ganze 2,5 Wochen dauert, bis ich das Gefühl hatte, dass ich wieder nach London zurück reisen konnte. Ich wollte mir Zeit nehmen um eine Sicherheit zu haben, dass ich mein Leben dort wieder wie zuvor weiterleben würde. Ich wollte nicht Gefahr laufen, einen emotionalen Breakdown zu erleiden, weil ich nicht lang genug dort geblieben war, um die Sache zu verarbeiten.

Es war Sonntag und bereits halb 11:00 Uhr nachts. Vor einigen Stunden war ich wieder in London gelandet und hatte mich direkt in meine Wohnung verzogen, um zu schlafen. Zu Beginn war ich müde und ausgelaugt aufgrund der emotionalen Achterbahnfahrt. Ich wollte das alles einfach so schnell wie möglich vergessen, als wäre nie etwas passiert. Nachdem ich mich aber ständig in meinem Bett hin und her gewälzt hatte, schlug das Bedürfnis vom alleine sein, recht schnell in ein anderes Bedürfnis um, weshalb ich Sawyer eine Nachricht schrieb. Ich hatte nicht erwartet, dass ich von ihm so spät noch eine Antwort erhalten würde. Umso überraschter war ich, als er gegen 12:00 Uhr mit 2 Bier in der Hand vor meiner Tür stand.

„Sie lebt." sagte er mit rauer Stimme, als ich ihm die Tür geöffnet hatte. Mit seinem Arm stützte er sich etwas am Türrahmen ab. Ich konnte sehen, dass er von zuhause kam. Er trug diesmal kein schwarzes Hemd, wie sonst, wenn er arbeitete.

„Ich war eine Weile nicht in der Stadt." entgegnete ich und nahm ihm dabei die zwei Flaschen ab. Als ich mich von ihm abwendete und in die Küche lief, wo ich sie auf dem Küchentresen abstellte, spürte ich deutlich wie er mich musterte.

„Ich weiß, das hat Theo mich wissen lassen." antwortete er. Seine Stimme drang aus dem Flur, wo er die Tür geschlossen und seine Schuhe sowie die Jacke ausgezogen hatte. Dann kam er zu mir in die Küche und blieb ein paar Schritte neben mir stehen.

„Ihr redet also." stellte ich mit gesengtem Blick fest und öffnete eine der Schubladen unter dem Küchentresen, um nach einem Flaschenöffner zu suchen, mit dem ich das Bier öffnen wollte. Es wäre äußert unangenehm und ungünstig wenn sich rausstellen würde, dass die beiden sich austauschten.

„Warum überrascht dich das?" fragte er und griff in die Schublade, als ich sie wieder schließen wollte, weil ich den Flaschenöffner nicht finden konnte. Er nahm ein Feuerzeug heraus, welches dort am Rand lag und öffnete damit galant beide Flaschen. Eine davon reichte er mir anschließend.

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt