23. Kapitel

1.6K 61 3
                                    

„Es geht gerade eine Magen-Darm-Grippe rum. Wenn es nicht besser wird, solltest du die nächsten Tage zum Arzt gehen. Aber ich bin mir sicher, dass die Suppe hilft." prophezeite Grace lächelnd und warf die Karotten, die sie einen Moment zuvor auf einem Holzbrett klein geschnitten hatte, in den Topf. Eingehüllt in eine flauschige Decke, saß ich an meinem Küchentisch auf einem Stuhl. Vor mir stand eine große Tasse mit Kräuter-Tee, in dem ich etwas rührte.

Es war bereits ein Tag vergangen seit der Nacht, in der Sawyer das letzte mal hier war. Nachdem er auf meinen Wunsch hin meine Wohnung verlassen hatte, begann ich mir ungewollte die Seele aus dem Leib zu kotzen. Und das in unregelmäßigen Abständen, immer wieder, die ganze Nacht lang, bis zum nächsten Tag. Auch wenn ich vor hatte der Sache nicht ansatzweise so viel Bedeutung zu geben, tat es offensichtlich mein Körper. Er zwang mich dazu, darüber nachzudenken und mir einzugestehen, dass es mir zugesetzt hatte. Es war eine körperliche Reaktion auf die Emotionen die ich unterdrückte und die ich mir nicht erlaubte zu fühlen. Grace vermutete eine Magen-Darm Grippe, dem ich nicht widersprach. Ich sah es nicht als notwendig an, ihr davon zu erzählen. Die Sache war vorbei und er würde nicht mehr länger irgendeine Rolle in meinem Leben spielen.

„Wahrscheinlich habe ich einfach nur etwas falsches gegessen. Es ist sicher nur halb so schlimm." entgegnete ich und nahm einen Schluck aus meiner Tasse. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie der Bildschirm meines Telefons, welches neben mir auf dem Tisch lag, aufleuchtete. Nachdem ich meine Tasse wieder abgestellt hatte, griff ich danach und öffnete die Nachricht, die ich bekommen hatte.

Theo: Hey June. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich den Laden für die restliche Woche schließe. Ich habe beruflich außerhalb von London zu tun. Wir sehen uns am Montag.

Ich: Alles klar! Bis dann -J

Etwas überrascht und verwirrt zugleich, antwortete ich knapp auf Theos Nachricht. Ich war mir sicher, dass es kein Zufall war, dass er für einige Tage abtauchte, nachdem er diesen hitzigen Konflikt mit Sawyer hatte. Auch wenn es mich etwas neugierig machte und ich eigentlich das Bedürfnis hatte nachzufragen, tat ich es nicht. Ich wollte mich nicht damit befassen. Nicht mit Sawyer, nicht mit Theo und nicht mit ihrem Streit, worum auch immer er ging. Ich wollte einfach mein Leben leben ohne den zusätzlichen Stress von Angelegenheiten, die nichtmal meine waren. Aus diesem Grund hatte ich für mich beschlossen zu kündigen..

-

„Theo?" rief ich leicht, als ich den Laden betreten und die Tür hinter mir ins Schloss gedrückt hatte. Suchend ließ ich meinen Blick durch die Verkaufsfläche wandern. Es war Montag Nachmittag und durch das regnerische Wetter, war es schon wieder fast dunkel draußen. Die angeschalteten Lichter an den Regalen, hüllten alles in ein angenehm warmes Licht, so dass es gemütlich und einladend wirkte.

Ich vermutete, dass er im Keller war, wenn er mir nicht antwortete. Denn dort unten hörte er weder die Klingel der Tür, noch Stimmen. Es überraschte mich jedes mal auf neue, dass er so viel Vertrauen hatte und den Laden offen ließ, wenn er unten war. Jederzeit könnte jemand hier rein kommen und etwas stehlen.

Nachdem ich in das kleine Büro gegangen war um meine Jacke, sowie meine Tasche abzulegen, überflog ich für einen Moment flüchtig die Liste mit Erledigungen, die er mir auf den Schreibtisch gelegt hatte. Nachdem ich den Laptop angeschaltet hatte, lief mit schlendernden Schritten in den hinteren Teil des Ladens, zum Eingang des Kellers, wo die Tür offen stand.

Augenblicklich bekam ich eine Gänsehaut, als mir die Kälte von unten entgegen drang, während ich die Stufen der steinernen Treppe hinunter stieg. Ich liebte diesen moderigen Kellergeruch. Als ich unten ankam und in den Raum hinein spähte, sah ich wie Theo an dem großen, hölzernen Tisch saß und etwas an seinem Laptop machte, der vor ihm stand. Eine Sekunde später bemerkte ich auch Sawyer, der ihm gegenüber saß und etwas zu ihm zu sagen schien. Er musste aus dem Augenwinkel meine Gestalt wahrgenommen haben, denn für eine Sekunde wendete er sein Gesicht in meine Richtung, so das sein Blick meinen traf. In genau diesem Moment, stolperte ich über die letzte Stufe der Treppe und machte eine unelegante Bewegung. Mit meiner Hand umklammerte ich schnell das Geländer um Halt zu finden und nicht zu fallen.

Ich hatte befürchtet, dass ich ihn hier wieder sehen würde. Aber nicht heute. Ein Teil in mir hatte sogar gehofft, dass die beiden nach ihrem Streit nicht mehr miteinander arbeiten würden. Dem war aber offensichtlich nicht so. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, spürte ich wie nun auch Theo seinen Blick in meine Richtung gewendet hatte.

„Ist alles okay?" fragte er und erhob sich von seinem Stuhl um auf mich zuzugehen. Seine Stimme wirkte etwas besorgt.

„Nichts passiert." antwortete ich nickend und sah ihn jetzt ebenfalls an. Ich war überrascht als ich merkte, dass meine Stimme zitterte und mein Herz mir gerade bis zum Hals schlug. Noch immer spürte ich Sawyers Blick auf mir. Mit aller Kraft hielt ich dem Bedürfnis stand, erneut zu ihm rüber zu sehen. „Ich will auch gar nicht stören. Ich wollte dir nur bescheid geben, dass ich jetzt da bin." fügte ich hinzu und wendete mich erneut von ihm ab um zurück nach oben zu gehen. Ich hatte eigentlich geplant mit Theo über meine Kündigung zu reden aber das musste warten bis wir alleine waren.


Nachdem ich wieder nach oben gegangen war und es mir im Büro mit einer Tasse Tee und leiser Hintergrundmusik gemütlich gemacht hatte, begann ich nach und nach die einzelnen Punkte der Liste abzuarbeiten. Ich fasste Bestellungen zusammen, schickte sie raus und bestellte Alkohol nach. Als ich ungefähr die Hälfte der Aufgaben erledigt hatte, vernahm ich, wie Theo und Sawyer aus dem Keller, nach oben kamen.

„Wir holen etwas zu essen bei dem Asiaten an der Ecke. Möchtest du auch etwas?" fragte Theo, der mit seiner Jacke bekleidet, einen Moment später im Türrahmen stand und somit meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Nein danke." sagte ich knapp und erwiderte kurz das selige Lächeln auf seinen Lippen, bevor ich mich wieder dem zuwendete, was ich gerade tat. Der Gedanke daran, dass ich hier demnächst nicht mehr arbeiten würde, machte mich etwas nachdenklich und fast emotional. Es war wirklich angenehm mit Theo zu arbeiten. Er war ein guter Chef und auch wenn ich ihm keinen genauen Grund für meine Kündigung nennen konnte, würde ich ihm klar machen, dass es nicht an ihm lag.

Nach einigen Minuten, in denen ich mich in meinen Gedanken verloren hatte, erhob ich mich von dem Stuhl, um auf die Toilette zu gehen. Während ich am Waschbecken stand und meine Hände wusch, hörte ich, wie Sawyer und Theo wieder in den Laden kamen. Für einen Augenblick verweilte ich stumm, in den Spiegel starrend, auf der Toilette. Ich würde warten, bis die beiden zurück nach unten gegangen waren, denn ich wollte nicht erneut in Sawyer hinein laufen. Als ich nach einigen Sekunden nichts mehr hörten konnte, öffnete ich die Tür und lief wieder in das Büro.

Als ich in den Raum eingetreten war, sah ich, dass auf dem Schreibtisch eine mittelgroße, weiße Box und eine Dose Cola stand. Nachdem ich mich zurück auf den Stuhl gesetzt hatte und die Box öffnete, erblickte ich vegetarische Frühlingsrollen. Für eine gefühlte Ewigkeit sah ich sie einfach nur an, während mir der köstliche Geruch in die Nase stieg. Waren die von Theo.. oder von Sawyer? Ich vermutete fast letzteres, wenn ich an die eine Situation damals im Keller zurück dachte, wo er mir seine Frühlingsrollen überlassen hatte. Wenn ich aber wiederum an unser letztes Treffen von vor einer Woche dachte, war ich mir sicher, dass sie von Theo waren. Sawyer hatte mir mehr als deutlich klar gemacht, dass er mich hasste. Er hatte also keinen Grund mir welche hinzustellen..

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt