53. Kapitel

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Meine kalte Hand verkrampfte sich um mein Telefon, auf dessen grell leuchtendem Display sich dicke Regentropfen sammelten, als ich es aus meiner Hosentasche gezogen hatte und darauf starrte. Sawyer rief mich an... Es war gruselig, denn ich war gerade einmal ein paar hundert Meter von seinem Laden entfernt. Zwischen eben und jetzt lagen höchstens 3 Minuten. Als wäre ich paranoid, blieb ich stehen und sah mich für ein paar Sekunden um, als würde ich erwarten, ihn irgendwo stehen zu sehen. Aber das tat ich nicht. Ich war ganz alleine auf dieser dunklen Straße. Fick dich, Schicksal, für die gemischten Signale...

Ich stellte mich unter den rausragenden Türrahmen eines Hauseinganges und hob dann mit zittrigen Händen ab. Da ich mir noch immer nicht überlegt hatte, was ich sagen sollte, um diese Situation zu handeln, kam es mir ganz gelegen, dass er direkt das Wort ergriff.

„Du solltest wissen, dass ich von jeder Person erfahre, die in meine Bar kommt, June. Erst recht, wenn sie persönlich nach mir fragt. Aufgrund der Dinge, die du weißt, hättest du dir das doch denken können", sagte er mit rauer und fast genervt wirkender Stimme.

„Stimmt, das hätte ich", gab ich zu. Natürlich hätte ich mir das denken können. Ich hätte es noch eher wissen müssen. Manchmal war ich dumm und durchdachte Situationen, in die ich mich begab, nicht gründlich. Er wusch illegales Drogengeld in seiner Bar. Jede Person, die sich nach ihm erkundigte, könnte ihm zum Verhängnis werden...

„Hat sich der Grund für deinen Besuch wieder erledigt? Es liegen immerhin schon ein paar Minuten dazwischen. Aus Erfahrung weiß ich, dass das bei dir ziemlich schnell gehen kann", spottete er. Würde seine Person nicht solch eine Launenhaftigkeit mitbringen, wäre es mir vielleicht von Beginn an leichter gefallen ehrlich zu ihm zu sein. Aber so war es nicht. Er war ein unberechenbarer Mensch, weshalb ich keinen seiner Schritte vorhersehen konnte, was mir angst machte. Wovor genau ich dabei angst hatte, wusste ich allerdings nicht..

„Nein, aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll", antwortete ich ehrlich und schüttelte dabei kurz meinen Kopf während ich mich mit dem Telefon am Ohr gegen die kalte Backsteinmauer des Wohnhauses lehnte. Augenblicklich merkte ich, wie sich mein Hals zuschnürte als würde mich mein Körper zum Schweigen bringen wollen, weshalb meine dünne Stimme nur schwer durch das gleichmäßige Rauschen, das durch den fallenden Regen verursacht wurde, drang.

„Dann hast du jetzt einige Minuten Zeit, um darüber nachzudenken. Wo bist du? Ich werde dich abholen", sagte er ernst. Ich konnte hören, wie er aufgestanden war und Schritte durch einen Raum machte, während er mit mir sprach.

„Ich will nicht, dass du mich abholst", entgegnete ich schnell und keuchte leicht auf, als mich ein kühler Windzug erwischte. Sofort verschränkte ich meine nassen Arme vor der Brust, um mich vor der Kälte zu schützen die langsam bis in meine Knochen drang.

„Wir besprechen das nicht am Telefon", antwortete er daraufhin bestimmt. Aus seinen Worten war deutlich herauszuhören, wie entschlossen und resolut er war.

„Ich befürchte, dann kann ich es nicht", gestand ich mit brüchiger Stimme und wischte mir mit dem Handrücken über meine nasse Stirn. Ich konnte es ja nicht mal hier am Telefon sagen. Wie sollte ich es dann aussprechen, wenn er mir mit dieser einschüchternden Attitüde gegenüberstand?

„Wenn ich dir dabei ins Gesicht sehe?", stellte er ruhig die Gegenfrage, während ich das Geräusch seiner Schlüssel vernahm. Er war in Bewegung.

„Ja", meine Stimme war jetzt fast nur ein Flüstern, das mir über die Lippen kam.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille auf der anderen Seite der Leitung. Er dachte nach. Hoffnung machte sich in mir breit, dass er sich nachgiebig zeigen würde, aber innerhalb ein paar Sekunden wurde ich enttäuscht.

„Du möchtest es dir leicht machen, aber ich habe nicht vor, es dir leicht zu machen, June", gab er kühl wieder. Alles klar, ich verstand es. Er war wütend auf mich, und das war seine Gelegenheit, es mir zu zeigen. Ich erinnerte mich an seine letzten Worte aus vergangener Nacht, bevor er meine Wohnung verlassen hatte. Er bereute, dass er mir nicht von Anfang an mehr weh getan hatte. War es das was er jetzt tun wollte? Mir weh tun, um mich von sich fernzuhalten?

Ich hatte die Möglichkeit, einfach aufzulegen, nach Hause zu fahren und nie wieder mit ihm zu sprechen. Aber ich wusste, dass meine Gefühle, die ich ihm gegenüber hatte, die dem Sawyer galten, der nicht so ein unausstehlicher Idiot war, mich wieder genau an diesen Punkt bringen würden. Weil ich es nicht schaffte, ihm fernzubleiben. Mir wurde bewusst, dass ich gar keine andere Wahl hatte als mir so sehr von ihm wehtun zu lassen, dass ich kein weiteres Mal das Bedürfnis hatte, ihn zu sehen. Wie in dieser einen Nacht damals. Wenn ich so daran zurück dachte, wäre dies der Cut gewesen, den ich gebraucht hätte um Sawyer aus meinem Leben schneiden zu können. Vielleicht wusste er das auch..

„I-Ich stehe bei einem roten Backsteinhaus, noch in derselben Straße", sagte ich schließlich, nachdem ich nun selbst für einen kurzen Moment geschwiegen hatte, um über meine nächsten Worte nachzudenken.

Als diese Worte meinen Mund verlassen hatten, fragte ich mich, wann ich zu dieser elendigen, weinerlichen Pussy geworden war. Was war mit der June passiert, die ich 1,5 Jahre lang war, bevor ich Sawyer kennengelernt hatte? Die, die es schaffte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben, um sich nicht in solch eine Scheiße zu reiten wie die, in der sie aktuell war?

Nach Aiden hatte ich mir versprochen, genau dies nicht wieder zu tun. Keinen Typen nochmal so nah an mich heranzulassen, dass er mein Herz berühren konnte. Und wo stand ich nun? - An einem Punkt, wo mir mein Herz wegen eines Typen wehtat, der sich nicht einmal bemüht hatte, dass ich ihn mochte. Ein Typ, dessen schlechte Züge ich besser kannte als die guten...

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt