27. Kapitel

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Wenn 'Ambivalenz' ein Mensch wäre, dann wäre es Sawyer Watts. Die eine Seite von ihm war eiskalt und einschüchternd, womit er offensichtlich Menschen auf Abstand hielt, indem er sie wie Scheiße behandelte. Die andere Seite die er besaß, war auf eine Art warmherzigen und menschlich, was ihn liebenswert erscheinen ließ. Das tückische an all dem war aber, dass man nie genau wusste, auf welche Seite man von ihm treffen würde. Er war unberechenbar, weshalb es mich so überraschte, als mir klar wurde, dass ich ihm vertraute. Und das, obwohl er mir in der Vergangenheit genügend Gründe gegeben hatte, es nicht zu tun. Anscheinend vertraute ich ihm so sehr, dass ich an diesem Abend ein weiteres Mal zurück in seine Wohnung gekehrt war, mich ihm ein weiteres Mal hingab und sogar eine meiner wichtigsten Regeln vernachlässigte: Nicht bei ihm zu schlafen..

Ein minimales Lächeln schlich sich langsam auf meine Lippen, als ich die Wärme des goldenen Lichtes der aufgehenden Sonne auf meinem Gesicht spüren konnte. So lange, bis ich immer mehr aus meinem tiefen Schlaf erwachte, mein Verstand von Sekunde zu Sekunde klarer wurde und ich im hier und jetzt ankam. In dem Moment, in dem ich realisierte, dass ich nicht Zuhause war, schreckte ich hoch.

Desorientiert ließ ich meinen verschlafenen Blick durch den Raum wandern, welcher jetzt immer mehr von der Sonne durchflutet wurde. Recht schnell erkannte ich, dass ich noch bei Sawyer im Schlafzimmer war. In seinem Bett. Mein zweiter Blick schweifte augenblicklich prüfend an mir herab. Als ich bemerkte, dass ich nackt war, griff ich nach der weichen Bettdecke und zog sie mir schützend vor meinen unbekleideten Oberkörper. Auf Anhieb machten sich Erinnerungen an die gestrige Nacht in meinem Kopf breit. An Sawyers Berührungen auf meiner Haut und den langen und intensiven Sex. Obwohl ich fast alles von dem Revue passieren ließ, erinnerte ich mich nicht an den Zeitpunkt, an dem ich eingeschlafen war. Der Gedanke daran, dass ich die ganze Nacht hier war, gefiel mir nicht und noch weniger gefiel mir der Gedanke, an einen Morgen danach, in dem ich mich zum jetzigen Zeitpunkt befand.

Wie in Zeitlupe wanderten meine Augen nun neben mich, auf die rechte Seite des großen Bettes. Zu meiner Überraschung und Erleichterung musste ich feststellen, dass sie leer war. Keine Spur von Sawyer. Als ich mich dabei erwischte, wie sich für einen winzigen Moment Hoffnung in mir breit machte, dass ich vielleicht ganz unbemerkt aus dieser Wohnung verschwinden konnte, vernahm ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel, die Schlagartig meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Als ich reflexartig meinen Kopf in die andere Richtung wendete, aus der die Bewegung kam, traf mein Blick plötzlich seinen. Er lehnte, ziemlich entspannt wirkend, im Türrahmen des Badezimmers und sah zu mir rüber. Offensichtlich war er gerade aus der Dusche gekommen, denn seine dunklen Haare waren nass und er war nur mit einem Handtuch um seiner Hüfte, bekleidet. Wie tief musste ich geschlafen haben, dass mich die Geräusche der Dusche nicht geweckt hatten?!

„Ich wollte nicht einschlafen. Du hättest mich wecken können, dann wäre ich gegangen." sagte ich mit fast heiserer Stimme, als ich die Stille zwischen uns durchbrach. Dann löste ich meine Augen von seinen und wanderte dabei mit meinem Blick suchend, nach meiner Kleidung, über den Fußboden. Dabei fiel mir auf, dass mein Shirt, das wir gestern Abend unten auf der Couch zurück gelassen hatten, über der Lehne des Sessels, gegenüber seines Schreibtisches, hing. Ich wusste nicht, wie er gerade gestimmt war. Wenn er angepisst war, würde ich so schnell wie möglich seine Wohnung verlassen.

„Ist schon okay." erwiderte er knapp, weshalb ich meinen Blick erneut zu ihm zurück richtete. Seine Miene schien schon wieder kühl und streng. Ich erkannte deutlich den Widerspruch in seinen Worten und dem Ausdruck in seinem Gesicht. Dann wendete er sich ab und verschwand zurück im Badezimmer.

„Nein ist es nicht." entgegnete ich mit leiser Stimme, als würde ich mit mir selbst reden, und erhob mich aus dem Bett. Ich griff nach meinem Slip und meinem Shirt und zog mir beides an. Ich ärgerte mich sehr über mich selbst. Und ich ärgerte mich auch über Sawyer, dass er mich nicht geweckt hatte.

Between Tears and Whisky SourWo Geschichten leben. Entdecke jetzt