Kapitel 15

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(Maggy)

Eine Woche später hatte ich meinen ersten Arbeitstag im Marketing, welches zwei Stockwerke unter der Verwaltung saß. Es war doch schwieriger gewesen zu wechseln, als ich dachte. Angefangen hatte es mit Ben Ramirez, der mich überrascht ansah und einen triftigen Grund für meinen Wechsel erwartete. Ich tischte ihm Notlüge auf, dass es meiner Professorin besonders wichtig war, dass wir über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Abteilungen eingesetzt waren, damit wir einen richtigen Eindruck bekommen. Es schien plausibel genug für ihn und er willigte ein. 

Dann musste ich den anderen beichten, dass ich ganz spontan zwei Stockwerke tiefer ziehen würde. Ich war schon traurig genug, aber Clara machte es noch schlimmer. Immer wieder fragte sie mich, ob irgendwas vorgefallen wäre und ich log sie jedes Mal aufs Neue an. 

Im Marketing wurde ich sehr herzlich empfangen. Das Team war erst im letzten Jahr ganz neu zusammen gekommen. Sie waren kaum älter als ich und hatten teilweise sogar an der gleichen Uni studiert. Ich durfte am ersten Tag an einer Teambesprechung teilnehmen und wurde sofort mit in ein Projekt geholt. Die Firma gestaltete gerade neue Werbeplakate, die in der ganzen Stadt zu sehen sollten. Sie sollten einen persönlichen Bezug zu Seattle haben. 

Seither arbeite ich mit Lukas, Noah und Lucy an diesem Projekt. 

Bei Lio hatte ich mich nicht verabschiedet. Wir haben seit dem Vorfall in der Küche überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen. Ich unternahm einen Tag später den Versuch, mit ihm über meine Aufgaben zu sprechen, doch er hatte zu tun. Den Tag darauf genauso und dann entschied ich für mich selbst, dass es sich für zwei Tage sowieso nicht mehr lohnen würde, neue große Aufgaben zu beginnen. 

Ich stelle mir vor, dass er am Montag in sein Büro ging, meinen leeren Platz sah und erleichtert aufatmete. Ich konnte mir immer noch keinen Reim darauf machen, wieso er sich mir gegenüber so verhalten hatte. 

Nun musste ich aber erneut in das oberste Stockwerk, denn David war wieder da. Direkt an seinem ersten Arbeitstag hatte er sich die Zeit genommen, sich einen Termin mit mir einzustellen. Ich schlich regelrecht über die Fläche und war erleichtert, als ich ohne große Vorkommnisse an seinem Büro ankam. 

"Maggy, komm doch rein", sagte er und lächelte mich an. Ich nahm gegenüber von ihm Platz und fragte ihn, wie sein Urlaub war. "Es war fantastisch. Ich hab so viel geschlafen, wie in den ganzen letzten Monaten nicht. Und wir waren schnorcheln..." Er erzählte mir von den tollen Ausflügen, die sie gemacht hatten und zeigte mir sogar Fotos. Das erste Mal, dass ich ein Foto von seiner Frau Anna sah. Sie war eine hübsche Blondine mit Sommersprossen und braunen Augen. "Anna konnte nicht mehr vor lachen, als mir dieser Affe die Hose ausziehen wollte" Ich lachte ebenfalls laut los bei der Vorstellung, wie David durch den halben Park gejagt wurde. 

Mit David war es so einfach. Er behandelte mich, als würden wir uns schon ewig kennen und ich brauchte keine Angst haben, dass seine Stimmung plötzlich umschlägt. "Wie waren deine ersten Wochen hier?", kommt er dann auf das eigentliche Thema zu sprechen. Ich erzähle ihm von der Präsentation und den Akten, die Lio und ich sortiert haben. "Davon habe ich gehört. Das hat meinem Vater wahnsinnig geholfen." Dann erzähle ich von Clara und Paul, die mir alles super erklärt haben. "Das klingt alles wirklich, wirklich gut. Aber wieso wolltest du dann so schnell weg von uns?", fragt er neugierig. Seine Augen fixieren mich und ich weiß genau, ich darf keine falsche Bewegung machen. 

Wieder erzähle ich die Geschichte von meiner Professorin, die darauf besteht, dass wir eine bestimmte Zeitlang in einer Abteilung sind... "Und es ist nichts vorgefallen?", fragt er. Ich habe das Gefühl, dass er nicht einmal blinzelt. "Nein", sage ich und versuche den Kloß in meinem Hals zu verdrängen. "Maggy, du kannst mir ruhig sagen, wenn irgendwas war. Wir möchten, dass unsere Praktikanten sich hier wohl fühlen und einiges lernen" Wieder winke ich ab. "Es war wirklich alles gut. Das ist der einzige Grund" Ich ringe mir ein Lächeln ab. Wie versteinert sitzen wir für einige Sekunde so da, bis er sich wieder nach hinten fallen lässt und mit seinem Stift in der Hand spielt. 

"Na schön", seufzt er. "Im Marketing bist du auf jeden Fall in guten Händen. Lucy ist eine unserer besten" "Sie ist super. Ich darf mit ihr an dem Projekt für die Werbeplakate in der Stadt arbeiten" David nickt zufrieden. "Ab jetzt bin ich wieder dein Ansprechpartner. Wie wäre es, wenn wir uns jede Woche kurz zusammen setzen? 10-15 Minuten werden reichen" "Okay, perfekt", lächle ich. Kurz darauf verlasse ich das Büro und sehe noch, wie sich die Tür von Lios Büro schließt. Gott sei Dank haben wir uns verpasst. 

Mit schlechtem Gewissen fahre ich runter ins Marketing. David anzulügen war schwerer als bei allen anderen. Er gibt sich so viel Mühe, aber ich hatte nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, mit ihm darüber zu reden. Das wäre unangemessen und außerdem kann ich Lio das nicht antun, egal was war. 

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt