Kapitel 5

1.1K 54 0
                                    

(Maggy)

Als ich mich am nächsten Morgen auf den Weg zur Arbeit machte, lag Jona vollkommen zerzaust in ihrem Bett und schlief tief und fest. Das beste an ihr als Mitbewohnerin war, dass sie es schaffte, egal wie betrunken sie war, nach Hause zu kommen, ohne dass ich aufwachte. 

Zu dem Café waren es ungefähr 15 Minuten zu Fuß. So konnte ich wacher werden und frische Luft schnappen. Der Campus lag noch in einem tiefen Schlaf. Nur wenige Studenten waren um diese Uhrzeit am Wochenende schon auf den Beinen. Ich kam wie immer an dem Märchengarten vorbei. Eine kleine Rasenfläche, auf der viele verschiedene Rosenarten blüten und in der Mitte stand ein weißer Pavillon mit dunkelblauem Dach. Manchmal sah ich dort Theaterstudenten, die ihren Text übten, dann blieb ich kurz stehen und sah einige Minuten zu. Das Bild war zu malerisch, um einfach daran vorbeizugehen. Den restlichen Weg musste ich mich dann zwar beeilen, aber das war es wert. 

Heute gab es leider keine träumerischen Szenen, aber dafür schien die Sonne. 

Sobald die Studenten aus ihrem Schlaf erwachten, ihnen die Köpfe weh taten und sie sich daran erinnerten, wie viel sie für die kommende Woche noch machen mussten, brauchten sie eins: Kaffee. 

Die Samstagsschicht war anstrengend, doch sie hatte den Vorteil, dass sie schnell verging. Bis zu meiner Mittagspause arbeitete ich durch und auch danach liefen die Stunden an mir vorbei. 

"Einen schwarzen Kaffe bitte", ertönte es hinter mir, als ich die leere Milchpackung tausche. Diese dunkle Stimme kannte ich mittlerweile zu gut. Erschrocken drehte ich mich um. Lio stand in einem schwarzen, ziemlich engen Shirt und einer dunklen Jeans vor mir. Es war merkwürdig, ihn so gekleidet zu sehen. Er lächelte mich friedfertig an und spielte mit seinem Portemonnaie in der Hand. "Kommt sofort", sagte ich bloß, damit ich mich schnell wieder umdrehen konnte. Ich atmete tief ein und wieder aus. Was wollte er hier? Bei seiner Position würde er es wohl kaum schaffen, nebenbei auch noch ein Studium zu absolvieren. 

"Zum hier trinken oder mitnehmen?", fragte ich von ihm abgewandt. "Würdest du mich gleich ein Stück begleiten? Ich würde gerne mit dir sprechen" Ich schüttelte den Kopf. "Geht nicht, ich muss noch drei Stunden arbeiten und meine Mittagspause ist bereits vorbei" Ich drehte mich um, um den Kaffee in einen Pappbecher zu schütten. Er sah auf seine Uhr, rückte sie zurecht und lehnte sich auf die Theke. "Dann nehme ich den wohl zum hier trinken und warte auf dich" Mir fiel die Kinnlade runter. 

"Was?" Er lachte auf. "Ich warte zwar nicht gerne auf andere, aber in diesem Fall habe ich wohl keine andere Wahl" Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade hörte. "Also, bekomme ich jetzt meinen Kaffee?" Ich bemühte mich den Kaffee in die Tasse zu befördern, ohne etwas zu verschütten. Er gab mir das Geld in Bar, nahm seinen Kaffee und setzte sich mit dem Rücken zu mir in die Ecke am Fenster. 

Die letzten drei Stunden vergingen nun überhaupt nicht mehr so schnell. Ich behielt ihn immer im Auge, wie er da mit seinem Laptop saß und arbeitete. "Der ist verdammt heiß", flüsterte Ruby mir zu, die zur Spätschicht eintraf. "Das ist quasi mein Chef im Praktikum", erklärte ich und sie piekste mir lachend in die Seite. "Du Glückliche" Naja, da war ich mir nicht so sicher. "Was will er denn hier? Mit dir ein paar Unterlagen durchgehen?", dabei wackelte sie mit ihren Augenbrauen. Ich schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Ahnung" 

Als die drei Stunden endlich vorbei waren, zog ich meine Schürze aus, nahm meine Tasche und atmete noch einmal tief ein und wieder aus. Er war doch nicht extra hergekommen, um mich zu feuern, oder? Dafür hätte er sicher jemand anderes geschickt. 

Mit langsamen, schweren Schritten ging ich zu ihm. "Ah, da bist du ja", sagte er und drehte sich zu mir. "Setz dich" Er klappt seinen Laptop zu und verstaut ihn in seiner Tasche, während ich gegenüber Platz nehme. Er beugt sich weit über den Tisch zu mir rüber. "Hör zu, Magdalena..." Ich bemühte mich schon gar nicht mehr, ihm zu sagen, er solle mich Maggy nennen. Er würde es ohnehin nicht tun. "Das gestern war ziemlich unschön. Ich hatte einen schlechten Tag und du warst zur falschen Zeit am falschen Ort" Offensichtlich war ich das. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Wie du weißt, übernimmt mein Bruder sonst die Praktikanten und ich bin nicht so gut darin..." Er beendete den Satz nicht, doch ich konnte es mir schon denken: Darin mit Menschen umzugehen, einfühlsam zu sein, nett zu sein... 

"Jedenfalls wollte ich das nicht einfach so stehen lassen und hatte Sorge, du würdest Montag gar nicht mehr zur Arbeit erscheinen." Nun lehnte ich mich ein Stück nach vorne. "Ich lasse mich nicht so leicht von so etwas einkriegen" Prüfend sah er mir direkt in die Augen. "Gut", schmunzelte er dann und lehnte sich zurück. "Hatte ich auch nicht gedacht" 

Er nahm seine Tasche und stand auf. "Dann sehen wir uns am Montag im Büro" Ich nickte. "Sieht übrigens süß aus" Lio sagte er mit einer nickenden Bewegung, dann verließ er das Café. Ich sah an mir herunter. Ich trug immer noch dieses doofe Halstuch von der Arbeit. 

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt