Kapitel 57

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(Lio)

"Was ist denn mit dir los?", fragt Nate irritiert, als er mich rauchend auf dem Balkon sieht. 

Ich versuchte nicht einmal, meine Laune zu verbergen, denn es würde sowieso nichts bringen. 

"Entscheidungen vom Boss", schnaube ich sarkastisch. "Hab's schon gehört", antwortet er und greift nach meiner Zigarettenschachtel. 

"Willst du auch noch mein Feuer?", knurre ich. "Und dein Auto, dein Konto...", witzelt er. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht gelacht. 

"Komm schon, Pepe und die Todesser sind dabei", versucht er mich aufzumuntern. Die Todesser waren die engsten Vertrauten meines Vaters. David und ich hatten sie in unserer Jugend so genannt. Damals kamen sie uns unzerstörbar vor - und ich konnte nur hoffen, dass sie es wirklich waren. 

"Klar bin ich das Arschloch", seufze ich frustriert. "Aber ich hätte sie gehen lassen, wenn vorher jemand die Adresse und was auch immer sich dort befindet, abgecheckt hätte" 

Nate fasst sich nachdenklich an sein Kinn und starrt gemeinsam mit mir vom Balkon auf die Straße herunter. "Das wäre wohl besser gewesen, aber uns rennt die Zeit davon", seufzt er. 

"Wenn ich das noch einmal höre, drehe ich durch" Ich puste den Rauch aus meinen Lungen. In den letzten Tage habe ich so viel geraucht, wie sonst in einem Jahr. "Wenn mein Vater die Anzeichen nicht wochenlang ignoriert hätte, dann gäbe es dieses Zeitproblem nicht"

Ich bin so wütend auf ihn, so verfickt wütend. 

"Ich weiß", antwortet Nate. Er weiß, dass es nichts bringen würde, nach Gründen und Entschuldigungen für die Art zu suchen, wie mein Vater dieses Problem angegangen ist.

"Werden sie danach wieder zur Villa fahren?" Ich nicke. "Dann sollten wir uns bald auf den Weg machen", stellte Nate mit einem Blick auf sein Handy fest. "Ich freue mich ihr überraschtes Gesicht zu sehen, wenn sie erfährt, dass ich auch mit in diesem Boot sitze", schnaubt er mit einem schrägen Grinsen. 

Magdalena wusste nicht, dass Nate mein Cousin ist. Streng genommen war er mein Cousin 2. Grades, aber das spielte keine Rolle. Er ist der Sohn von David, dem Namensgeber meines Bruders und genau wie Pepe einer der wichtigsten vertrauten in meinem Leben. 

"Hat er gesprochen?", wechsle ich das Thema und Nate schüttelt den Kopf. "Ist ein zäher Mistkerl"

Ich drücke den Rest meiner Zigarette aus und stoße mich von dem Geländer ab. "Dann bin ich jetzt dran", verkünde ich. Nate zieht skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. "Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt noch reden kann, wenn du in deinem Zustand runtergehst"

Ich mir auch nicht, doch das ist mir egal. 

"Ich werd ihn jedenfalls nicht wie eine Prinzessin behandeln", murre ich, während ich mich in Bewegung setze. 

"Hey Lio", ruft Nate mich und ich drehe mich genervt zu ihm. 

"Sie packt das" Seine Stimme ist sanfter und ich bin dankbar, dass er versucht, mir gut zuzureden. Meine Wut lässt jedoch nicht zu, dass ich ihm das zeige. Mit eingezogenen Lippen nicke ich und setze meinen Weg in den Keller fort. 

Bevor ich die Tür öffne, ziehe ich meine Jacke aus, stelle sicher dass meine Waffe geladen und gesichert ist. Die Wache öffnet mir mit einem Nicken die Tür und ich steige die Treppen zu dem dunklen, kalten Raum hinunter. 

"Mir wird immer wieder gesagt, dass uns die Zeit davon rennt", seufze ich und lasse meine Finger knacken. "Deshalb muss ich die Dinge hier ein wenig beschleunigen." 

Der Mann, gefesselt an einen Stuhl und geknebelt mit einem Tuch, schaut mich mit großen Augen an. Sein Blut hat sich auf dem Boden verteilt, läuft sein Gesicht hinunter und hat seine Kleidung bereits getränkt. 

"Ich bin heute wirklich nicht gut drauf, das solltest du vorher wissen", knurre ich und drehe mich von ihm weg. 

Ich schließe die Augen und atme ein. Ich denke an sie und an meine Schuldgefühle. Ich habe sie belogen. Ich habe ihr vorgemacht, ein guter Mensch zu sein und Gott, ich wollte genau das für sie sein. Doch wenn sie mich jetzt sehen könnte... 

Mir bleibt keine andere Wahl, als diese Seite in mir zu befreien und das, was mein Vater verbockt hat, wieder geradezubiegen. Wenn wir diese Sache regeln können, wenn alles gut geht und ich diese verdammte Firma übernehme, dann sollen sie alle wissen, was ich dafür getan habe. 

Dann soll niemand mehr auf die Idee kommen, uns zu bedrohen und irgendjemanden zu gefährden, der mir wichtig ist. 

Ich schiebe die Gedanken und die Schuld beiseite. Ich schiebe alles beiseite und das einzige, worauf ich mich konzentriere, sind meine Wut und mein Angst um sie. 

Langsam gehe ich auf den Mann zu, dessen Gesicht langsam zu schwillt. Ich löse das Tuch von seinem Mund und er macht ein undefinierbares Geräusch. 

"Du hast zehn Sekunden, um zu kooperieren, andernfalls wirst du dir schon bald wünschen, zu sterben, Kumpel", das letzte Wort spucke ich ihm entgegen und klopfe ihm auf die Schulter. 

Er zittert, sieht mich mit großen, wahnsinnigen Augen an und kurz glaube ich, er geht auf mein Angebot ein. 

"Fick dich", höre ich seine raue, dreckige Stimme. Ich schnalze mit der Zunge, atme tief ein und denke nur noch an meine Wut und meine Angst um sie. 

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt