Kapitel 59

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(Maggy)

Das Haus war leer, als wir dort ankamen. Meine Beine fühlten sich schwer an und ich war dankbar, als Pepe mir seinen Arm hinhielt, damit ich mich an ihm abstützen konnte. Die Müdigkeit zog mich regelrecht nach unten, als mich die vertraute Umgebung zunehmend beruhigte. 

Pepe brachte mich in das Wohnzimmer und bis zum Sofa, auf das ich mich fallen ließ.  Auch wenn mein Herz immer noch schnell und aufgeregt pochte, waren meine Augenlider so schwer, dass ich binnen Sekunden eingeschlafen sein musste. 

Als ich sie das nächste Mal öffne, liegt eine Decke auf mir und ein Feuer brennt im Kamin. Ich reibe mir die müden Augen, versuche das dumpfe Gefühl in meinem Magen einzuordnen, das sich anfühlt als hätte ich zu viel Alkohol getrunken.

Meine Muskeln schmerzen und als ich meine Hand sinken lasse, spüre ich den Kratzer auf meiner Wange, den der Ast im Wald hinterlassen hat. 

Mühsam richte ich meinen Oberkörper auf und bemerke erst jetzt, dass sich noch jemand im Raum befindet. 

Lio steht in der Küche, die Hände auf die Arbeitsplatte gestützt, und beobachtet mich nachdenklich. Er sieht müde, fast schon kränklich aus. Er hat abgenommen und dennoch spannt sich sein Shirt eng um seine Armmuskeln. Seine Tattoos werden durch das gedämmte Licht der Abzugshaube beleuchtet. 

"Lio...", flüstere ich. Er presst die Lippen fest aufeinander. Als Antwort setzt er sich in Bewegung, läuft in meine Richtung und ich werde nervös, da ich seine Stimmung nicht einschätzen kann. Ich setzte mich auf, nehme die Beine von dem Sofa und er nimmt auf dem Couchtisch vor mir Platz. 

Als er mich berührt, seine Hände nach meinen greifen und sich unsere Finger ineinander verschränken, atme ich erleichtert aus. Der undurchdringliche Gesichtsausdruck weicht der Besorgnis, während er mich eindringlich mustert. Seine Augen bleiben an dem Kratzer in meinem Gesicht hängen, während sein Daumen über meinen Handrücken streicht. 

So schweigsam habe ich ihn noch nie erlebt, weshalb auch ich ihn besorgt beobachte. 

"Es tut mir so Leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll...", bricht er das Schweigen schließlich mit belegter Stimme. Er räuspert sich, wendet seinen Blick ab und ich rücke sofort näher an ihn heran. 

"Lio", beginne ich, doch er unterbricht mich mit einem Kopfschütteln. "Das war so wahnsinnig dumm und ich hätte dich da niemals hingeschickt, wenn mein Vater nicht..." Er bricht ab, als die Wut ihn übermannt. Seine leuchtend grünen Augen funkeln, schauen über mich hinweg durch das Fenster in die Nacht. 

"Ich wollte es so", bringe ich leise hervor. "Ich wollte helfen"

"Es ist nicht deine Aufgabe zu helfen, Magdalena", seufzt er und sein Blick findet den Weg zurück zu mir. "Ich kümmere mich von jetzt an auf meine Weise darum, es wird bald vorbei sein und du kannst dein Leben normal weiter leben" 

Ich schlucke schwer, denn das, was er zwischen den Zeilen sagen möchte, entgeht mir nicht. "Mein Leben? Mit oder ohne dich?", frage ich und er zuckt zusammen. Unmittelbar steigen mir Tränen in die Augen, die ich versuche zu kontrollieren. Ein gequälter Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht zeigt mir, dass es ihm schwer fällt zu sprechen. 

"Ich weiß es nicht", antwortet er leise. "Lio", mehr bringe ich nicht heraus. 

"Ich meine, willst du das überhaupt noch?", beginnt er traurig. "Schau dir an, in was ich dich hier reingebracht habe..." Er atmet tief ein und wieder aus. "Wie kannst du das wollen?" 

Meine Hände drücken fester zu, aus Angst er könnte mich loslassen. "Ich will dich", antworte ich mit zittriger Stimme. "Und für diese Umstände kannst du nichts." Er verzieht nachdenklich den Mund, schaut mir prüfend in die Augen. 

Es wird still um uns. Wir sind beide in unsere Gedanken verloren und ich greife nach jedem noch so kurzen Bild in meinem Kopf, was mich davon ablenkt, dass Lio sich zurückziehen könnte. Das könnte ich nicht ertragen. 

Wenn mir eines klar geworden ist, dann dass ich für diesen Mann alles tun würde - und er für mich. Wir sind auf eine fast schon merkwürdige Art miteinander verbunden. Er bringt Seiten in mir hervor, die ich nicht kannte - und die ich an mir mag. Ich habe mich noch nie so müde und erschöpft gefühlt, wie in diesem Moment - doch ebenso wenig so lebendig. 

"Bist du okay?", fragt er schließlich und seine sanfte Stimme bringt mich beinahe dazu, zusammenzusacken. Ich nicke. "Ja, Pepe hat gut auf mich aufgepasst"

Lio betrachtet erneut den Kratzer in meinem Gesicht. "Habe mich mit einem Baum angelegt", erkläre ich, doch seine Reaktion zeigt mir, dass er das bereits wusste. Vermutlich hat er schon mit Pepe und den anderen gesprochen. Dabei wird mir klar, dass ich überhaupt nicht weiß, wie spät es eigentlich ist. 

"In Zukunft lege ich mich für dich mit allem und jedem an, okay?" Er lächelt schief und mich überkommt ein warmer Schauer. Genau das ist es, was ich brauche. Seine freche, witzige und liebevolle Art. 

Ich lächle ihn an. 

"Okay", nicke ich und sein Lächeln wird breiter. 

"Kannst du mich endlich küssen?", frage ich und er schnaubt. Seine Finger legen sich unter mein Kinn, er führt meinen Kopf in seine Richtung und kommt mir entgegen. Als sich unsere Lippen treffen, spüre ich wie die Anspannung von mir abfällt. 

Am liebsten würde ich nie wieder damit aufhören, ihn zu küssen. Seine Lippen sind fordernd, er braucht das gerade genau so sehr wie ich. Eine Hand löst sich von meiner und schiebt sich in meinen Nacken, während die andere sich umso fester mit meiner verschränkt. 

Als wir voneinander lassen, ist jeder Zweifel auf seinem Gesicht verschwunden. "Ich liebe dich", sage ich mit Nachdruck und er legt seinen Kopf zur Seite, schaut mir tief in die Augen. "Ich liebe dich auch. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr" Den letzten Satz flüstert er gedankenverloren und streicht mir über die Wange. 

Dann plötzlich holt mich die Realität wieder ein und die Gedanken um das, was heute geschehen war. Sie kreisen um die Schüsse, um Nate und dann um die Dinge, die ich ihm dringend erzählen muss. So gerne ich ein ernstes Wörtchen mit ihm über seinen Stammbaum sprechen würde, es gibt etwas, dass wichtiger ist als das... 

Lios Oberkörper spannt sich an, als er meinen aufgescheuchten Gesichtsausdruck wahrnimmt. Er schaut mich fragend an. 

"Ich muss dir dringend etwas erzählen...", beginne ich. 


Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt