Kapitel 63

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(Maggy)

Seine Worte ließen mich ohnmächtig fühlen, meine Knie wurden weich. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren; spürte, wie die Hitze in mir bis in meine Wangen schoss. Das alles war zu viel für mich. 

Den ganzen Tag hatte ich mir Gedanken darüber gemacht. Gedanken über ihn, darüber wer er wirklich war und dass ich es hätte wissen müssen. 

Gedanken über die Situation und das Wort "Lebensgefahr". Wie ich blauäugig am ersten Tag zu meinem Praktikum gegangen war, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, was dadurch auf mich zukommt... 

Hätte ich es vorher gewusst, wäre ich dann gegangen? 

Gefühle sind durch ihre Unkontrollierbarkeit so unfair. 

Ich fühle Liebe, Geborgenheit und Angst. Ich spüre Sicherheit, Zuneigung und Gefahr. 

Ich bin hin und hergerissen zwischen meinem größten Glück und der Vernunft. 

Ich will mein altes Leben wiederhaben, aber nichts von ihm missen. Es fühlt sich egoistisch an, so zu denken. Und es fühlt sich furchtbar an, dass ich vor all dem weglaufen könnte, er aber nicht. 

Was verdammt nochmal mache ich hier?

Lio beobachtet mich genau, jeder meiner Atemzüge wird von ihm analysiert. Seine grünen Augen haften auf mir, warten auf eine Antwort. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass auch er verunsichert ist. 

Selbst in diesem Moment ist er gut zu mir. Er ist fair, was es für mich fast unfair macht. Wie soll ich mich für oder gegen ihn entscheiden? 

"Wenn das hier vorbei ist, du das 'geklärt' hast...", beginne ich vorsichtig. "Ist es dann für immer vorbei?" 

Lio seufzt. 

"Versprechen kann ich es dir nicht", antwortet er. "Aber ich kann dir versprechen, dass ich alles dafür tun werde, dass so etwas nie wieder vorkommt" 

Geistesabwesend sehe ich mich und dem Raum um, der seit einiger Zeit unser zu Hause darstellt. 

Ich vermisse seine Wohnung so sehr. 

"Was passiert danach?", frage ich weiter. 

"Wir werden dieses Haus nur verlassen, wenn wirklich alles sicher ist. Du kannst ins Wohnheim oder mit zu mir. Ich werde die Firma übernehmen, werde Vorkehrungen treffen und du wirst dein Studium ganz normal beenden" 

Lio verlagert sein Gewicht nervös von einem Bein zum anderen. Seine Schultern sind angespannt, sein Blick fixiert mich weiterhin. 

Dann tue ich etwas, dass ich mir selbst nur schwer erklären kann. 

Meine Beine setzen sich wie von selbst in Bewegung. Ich bleibe genau vor ihm stehen, schmunzle über seinen überraschten Gesichtsausdruck. Ich schlinge meine Arme um ihn, ziehe ihn zu mir und küsse ihn. 

Ein fordernder, fast schon wütender Kuss. Es dauert nur einen Bruchteil einer Sekunde, da erwidert er ihn. Er lässt mich gewähren, lässt mich all meine Wut über alles, über die verfluchte Welt, in unseren Kuss legen. 

Wie von selbst landen wir plötzlich auf dem Bett. Lio liegt auf mir, seine Händen wandern über meinen Körper. 

Sein Parfüm, seine Wärme, seine Berührungen... all das lässt mich in einen Rausch verfallen. 

Ich bin süchtig nach ihm. 

Seine Hand legt sich um meinen Hals, während er mein Dekolletee küsst und ich ihm meinen Oberkörper seufzend entgegen Strecke. Er nimmt meinen ganzen Körper ein, küsst und berührt jeden Zentimeter. 

Lio zischt auf, als ich die sensible Stelle an seinem Ohr mit meinen Lippen streife und als sich unsere Blicke erneut treffen, wird mir klar, dass das hier genau das ist, was wir beide brauchen. 

Wir halten erst Inne, als wir nackt sind. 

Er fährt mit einem Finger zwischen meinen Brüsten, meinen Bauch hinab. Dann wandert sein Blick hoch zu mir. 

Lios Augen finden meine, warten auf eine Erlaubnis, die er schon lange hatte, doch angesichts der Umstände erneut von mir fordert. 

Ich nicke - und spüre endlich, wie er mich unten berührt. Ein erleichtertes Stöhnen entfährt mir, während ich meine Hüften unter seinen Berührungen bewege. 

Kurz bevor ich komme, dringt er in mich ein. 

Er legt seine Stirn auf meine, stößt in mich und entzieht sich wieder, nur um dann noch fester, besitzergreifender in mich zu stoßen. 

Unser Blickkontakt bricht nicht ab, bis wir fast gleichzeitig kommen. 

Schwer atmend, kuschelnd und nackt liegen wir schweigend auf dem Bett. 

Für einen kurzen Moment, den ich wirklich sehr genieße, denke ich an nichts. 

Lio räuspert sich, legt die Decke so weit es geht über mich und stützt sich auf einem Ellenbogen ab. 

"War das jetzt eine Art Abschiedssex?", fragt er. Er schmunzelt, doch es kommt nicht in seinen Augen an. 

"Nein", antworte ich mit trockenem Mund. Ich starre dabei an die Decke. Ich weiß, dass es vermutlich schlauer wäre, zu gehen, doch niemals könnte ich auf ihn verzichten. 

Lio Ramirez ist gefährlich. Er sieht gut aus, er ist gut erzogen, intelligent, humorvoll und... kriminell. Er ist vermutlich zu Dingen fähig, die ich mir nicht einmal in einem Film ansehen kann. Und ich? Ich bin verliebt. 

Er kommt näher, streichelt mir über die Wange. "Nein?", hakt er nach. 

Ich drehe meinen Kopf, schaue ihm in die Augen. "Es gibt keinen Abschied" Und diesmal erscheint ein echtes Schmunzeln auf seinen Lippen. 

"Das war deine letzte Chance zu entkommen, Nowak", haucht er mir ins Ohr und ich winde mich lachend unter seinen Worten. 

Dann zieht er mich zu sich und küsst mich. "Ich werde alles dafür tun, dass das hier so schnell wie möglich endet", sagt er sanft. "Ich weiß", flüstere ich nickend. 

"Ich liebe dich", fügt er an. "Ich liebe dich auch", antworte ich und lege meine Hand an seine Wange. 

"Auch wenn ich das tue, was ich tun muss?" 

"Immer", antworte ich. 

Und das ist die Wahrheit, vor der ich nicht weglaufen kann. 


Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt