Kapitel 71

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(Lio)

Leichter Regen prasselt auf uns ein, während wir schweigend den Weg zur Kirche entlang laufen. 

Magdalena läuft vor mir in einem schwarzen Kleid, welches an der Taille etwas enger ist. Es ist schlicht, unterstreicht ihre natürliche Schönheit. Ihre dunklen langen Haare sind gewellt und fallen ihr über den Rücken, tanzen mit jedem ihrer Schritte. 

Bevor wir hinter Anna und David eintreten, bleibt sie stehen. Sie schaut sich unsicher um, kaut nervös auf ihrer Lippe. Ihre Finger sind zittrig und sie versucht sich an ihrer Tasche und ihrem Kleid festzuhalten, damit es niemand bemerkt. 

"Darf ich?", frage ich vorsichtig und strecke meine Hand aus. Sie betrachtet meine Hand, schaut in meine Augen und dann wieder runter. Nickend legt sie ihre Hand in meine. 

Gemeinsam betreten wir die große, dekorierte Kirche. Bis auf die vordersten Reihen sind alle Plätze besetzt. Wir laufen ganz nach vorne, diese Reihen sind für nur wenige Leute bestimmt. 

Wir finden unseren Platz neben Kendra, die sich sofort meine andere Hand schnappt und fest drückt. Sie wirft mir einen kurzen, vielsagenden Blick zu bevor sie wieder nach vorne schaut. 

David und Anna sitzen auf der anderen Seite auf einer Bank, denn David wird im Laufe der Zeremonie noch ein paar Worte sagen. Neben ihnen sitzt Melinda, die ihre Tränen jetzt schon kaum unterdrücken kann. 

Ich persönlich habe mich dagegen entschieden, etwas vor den anderen zu sagen. Es ist nicht so, dass ich nicht wüsste, was ich sagen sollte, doch ich fühle mich schlicht und einfach nicht bereit dazu. Das ist ein Gefühl, welches ich noch nie zuvor gehabt habe... oder zugelassen habe. 

Außerdem sind meine Worte nur für ihn bestimmt... nicht für andere Ohren. 

Die Zeremonie beginnt. Jemand spielt langsames, trauriges Lied auf der Orgel, während der Pastor die Kirche betritt und uns mit seiner sanften, dunklen Stimme begrüßt. 

Er hält eine berührende Rede über das Leben meines Vaters, über unsere Familie, über Höhen und Tiefen. Er verschönert nichts, was mir gefällt und es bleibt kein Auge trocken. 

Immer wieder beobachte ich Magdalena aus dem Augenwinkel, sehe wie sie still weint, gebannt von den Worten des Pastors. 

Als David aufsteht und ein paar Worte an alle Anwesenden richtet, höre ich leises Schluchzen aus allen Richtungen. 

Ich habe mir geschworen, mich zusammenzureißen. Ich weiß, dass ich die Trauer nicht ewig vor mir her schieben kann, doch gerade ertrage ich sie nicht. 

Wie könnte ich nicht daran zerbrechen? 

Mit meinem Daumen fahre ich über ihren Handrücken, versuche sie zu beruhigen, denn ihre Atmung wird unregelmäßiger. Ihre Augen zucken kurz in meine Richtung, doch dann starrt sie wieder zu David. 

Die gesamte Zeremonie dauert eine Stunde, dann wird er zu Grabe getragen und die engsten Familienmitglieder folgen dem Sarg. Die anderen begeben sich zur Stadtvilla, in der eine kleine Trauerfeier abgehalten wird. 

Ich werde dort nicht auftauchen. Ich kann dieses Haus nicht mehr betreten. 

Magdalena und ich werden zurück zu meiner Wohnung fahren, Nate und Pepe werden sich später dazugesellen. Ich wäre lieber alleine mit ihr, doch die ihre Anwesenheit scheint sie abzulenken und auch wenn sich mein Ego gekränkt fühlt, dass sie anscheinend so viel Vertrauen in meine Cousins hat, dass nur sie und ich in ihrer Nähe sein dürfen, schlucke ich diese bittere Pille für sie. 

Manchmal habe ich das Gefühl, David unter seiner Trauer mit all dem alleine zu lassen, doch er geht damit so viel besser um als ich. Vielleicht, weil einer von uns damit einfach besser umgehen muss... 

Wir schauen zu, wie der Sarg in die Erde gelassen wird. Magdalenas Hand immer noch in meiner. Sie scheint nicht einmal zu blinzeln, verabschiedet sich im Geiste von ihm. Es ist schwer für sie zu akzeptieren, dass sie die letzte von uns war, die ihn gesehen hat. 

Um uns herum schmeißen alle eine Rose und ein wenig Erde auf den Sarg. Wir haben uns extra ganz nach hinten gestellt, denn keiner von uns möchte dabei beobachtet werden. 

Als nur noch David und Anna da sind, gehe ich nach vorne. Anna legt ihren Arm schützend um Magdalena, flüstert ihr etwas ins Ohr und zieht sie zu sich heran, während ich mit einem riesigen Knoten in der Brust zu dem Sarg herabschaue. 

"Hey Dad", sage ich und meine Stimme bricht. "Ich...." Tränen schießen mir in die Augen, als würden sie seit Tagen darauf warten. "Ich..."

"Danke", flüstere ich. "Danke, dass du sie gerettet hast. Ich hoffe du hast nicht gedacht, dass du mir das schuldig bist. Und ich hoffe, du hast nicht gedacht, dass ich dich hasse." Der Gedanke versetzt mir einen tiefen Stich in mein Herz. "Du hast immer prophezeit, dass es einen Punkt in meinem Leben geben wird, an dem sich alles verändert... Wieso musst du bloß immer recht haben" 

Ich atme tief ein und aus, wische mir die Tränen von meinem Gesicht. "Ich liebe dich so sehr. Ich weiß, dass ich immer so getan habe, als wenn es eine Last wäre, so zu sein wie du, aber ich bin eigentlich so verdammt stolz darauf. Auf das meiste zumindest..." schnaube ich ironisch. 

"Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen, ich weiß jetzt genau, was ich tun muss." 

Ein paar Sekunden bleibe ich schweigend stehen, versuche mich zu beruhigen bevor ich mich wieder zu den anderen umdrehe. 

Meine Augen treffen auf Davids Blick. Wir können den Schmerz des anderen spüren und ich weiß genau, was er sagen will, ohne dass er es sagen muss. 

Er nickt mir kaum merklich zu, als ich mich in Bewegung setze. Ich laufe auf Magdalena zu, die mich beobachtet. 

Plötzlich löst sie sich aus Annas Armen und kommt mir entgegen. Sie breitet ihre Arme aus und ich weite meine Augen, überrascht über diese Geste. Natürlich erwidere ich sie, ziehe sie dicht an mich heran und verschränke die Arme um sie. 

"Er hat dich so sehr geliebt", flüstert sie und ich schaue nach oben in den Himmel, um nicht wieder zu weinen. "Ich weiß", flüstere ich und frage mich, ob das wirklich der Wahrheit entspricht. 

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt