Kapitel 39

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(Maggy)

Da Lio mir am Vormittag geschrieben hat, dass er es nicht zu unserem Mittagessen schaffen würde, machte ich mich kurzerhand auf den Weg, um ihm etwas zu holen. So hatte ich endlich mal die Möglichkeit, das Essen für uns zu bezahlen. Lucy hatte mir schon vor Wochen von dem asiatischen Restaurant ein paar Straßen weiter vorgeschwärmt. Da es von Tag zu Tag kälter wird, ziehe ich mir meine Winterjacke tief ins Gesicht und versuche den lästigen Wind zu ignorieren. 

Mit zwei Packungen gebratenen Nudeln fahre ich mit dem Aufzug in die oberste Etage. In Lios Büro brennt Licht, also klopfe ich an und er sieht von dem Papierkram vor ihm zu mir auf. "Hey", lächelte er. "Wenn du nicht mit mir Mittagessen gehst, kommt das Mittagessen eben zu dir", lächle ich und halte die Tüte in die Höhe. "Du bist die Beste" Ich schließe die Tür und laufe zu ihm hinter den Schreibtisch. Ich gebe ihm einen Kuss und er zieht mich auf seinen Schoß. "Viel zu tun heute?", frage ich und er fährt sich mit einer Hand über seine müden Augen. "Du hast ja keine Ahnung..." 

"Kann ich dir irgendwie helfen?", frage ich und betrachte das Papier vor ihm. Das waren Unterlagen aus der Buchhaltung, das erkannte ich sofort. "Nicht nötig", sagte er und schob sie beiseite. "Sind das Sachen, die George normalerweise machen würde?" Lio nickt. "Was ist eigentlich mit George?" Mein Fragen machen ihn sichtlich nervös, was mich nur dazu animiert weiter zu machen. Ich denke, mein Bauchgefühl vorhin hatte recht. Irgendwas stimmt hier nicht und George ist vielleicht gar nicht krank. "Lio?", hake ich nach. "Magdalena...", seufzt er. 

"Wo ist George?", frage ich mit Nachdruck. "Er ist krank", antwortet er bissig. "So krank wie ich die letzten zwei Tage?" Ich stehe auf und nehme auf der anderen Seite des Tisches platz. "Es hat sich nichts daran geändert, dass es gewisse Dinge gibt, über die ich mit dir nicht spreche" Da ist sie wieder, die finstere Miene, unterstrichen durch die giftgrünen Pfeile aus seinen Augen. "Ihm geht es gut, oder?" In mir wuchs die Angst heran, dass ich George in Schwierigkeiten gebracht haben könnte. Lio antwortet nicht. 

"Lio", sage ich in einem schärferen Ton. "Wo ist er?" Er steht auf und schaut mich von oben herab an. "George gehört unserer Befugten Kategorie A an und deshalb hat er ein paar Fragen zu beantworten" Er schaut mich an und blinzelt nicht einmal. Dass er über die Familiengeschäfte Bescheid wusste, überrascht mich. George schien wie ein unscheinbarer Familienvater, aber meist waren es ja genau diese Leute. "Was macht ihr mit ihm?" "Reden", knurrt Lio. "Willst du mir damit weiter auf die nerven gehen oder kann ich jetzt essen?" Nachdenklich lehne ich mich zurück und starre aus dem Fenster. "Ich werde heute später zu Hause sein. Deine Tasche habe ich vorhin schon in die Wohnung gebracht. Hier ist der Schlüssel" Er legt den Schlüssel vor mir auf dem Tisch ab ohne mich anzusehen. 

Mit meinen gebratenen Nudeln und dem Schlüssel in der Hand fahre ich mit dem Aufzug runter ins Marketing. Heute war es besser, wenn wir getrennt zu Mittag aßen. Mir ging nicht aus dem Kopf, dass George einer der Vertrauten von Ben war. Jeder, der mir entgegen kam, könnte potenziell ein weiterer Vertrauter sein. Vielleicht Lucy? Vielleicht Clara? Was bedeutet *reden* und *Fragen beantworten* wenn jemand wie George Fehler machte, die einem Ben Ramirez nicht gefielen? 

"Und, was sagst du?", fragt Lucy als sie den Pausenraum betritt. "Wirklich lecker", sage ich mit der Hand vorm Mund. "Sehr gut", lacht sie. "Die Werbeplakate werden morgen gedruckt. Wir wollen sie uns gleich alle zusammen nochmal anschauen, bevor ich sie abschicke. Bist du dabei?" Ich nicke. 

Der einzige freie Platz im Besprechungsraum ist der neben Lukas. Wir sitzen stumm nebeneinander und blicken nach vorne. Während Lucy vorne steht und jede einzelne Folie mit uns durchgeht, späht Lio plötzlich durch die Tür. Er winkt Lucy zu sich heran, um ihr etwas zu sagen. Sie bedankt sich und läuft wieder nach vorne. Als er die Tür schließt, fällt sein Blick auf mich - und Lukas. Er beißt sich auf die Lippen und nickt, bevor er geht. Na toll, seit wann war die Arbeit eigentlich so ein anstrengender Drahtseilakt geworden? 

Mit Kopfschmerzen und schlechter Laune komme ich bei Lio in der Wohnung an. Meine Tasche steht im Schlafzimmer. Nach einer warmen Dusche schlüpfe ich in meine Jogginghose und klaue mir einen Pullover von ihm. Ich schaue mich das erste Mal so richtig in der Wohnung um. Das helle offene Wohnzimmer mit den dunklen Möbeln. Die mattschwarze Küche. Am besten gefiel mir das Bücherregal, was die gesamte Wand einnahm. Ich war mir ziemlich sicher, dass viele dieser Bücher nur Dekoration waren und Lio nicht einmal wusste, dass sie hier drin standen.

In dem Regal stand ein Familienfoto und eins von David und ihm als sie klein waren. Auf dem dritten Bild standen die Zwillinge mit zwei Männern zusammen, die ich nicht kannte. Vielleicht waren das die zwei, nach denen sie benannt waren? Früher sahen David und Lio sich unfassbar ähnlich. Ich müsste raten, wer wer ist, doch heute waren sie eindeutig zu unterscheiden - auch abgesehen der Tattoos. Lio hat markantere Gesichtszüge und sieht seinem Vater ähnlicher. Von den Fotos, die ich bisher kenne würde ich sagen, dass David seiner Mutter ähnlicher sieht. 

"Hey", ertönt eine Stimme hinter mir und ich mache vor Schreck einen Satz zur Seite. "Tut mir Leid, ich wollte nur..." ich beende meinen Satz nicht, sondern stelle das Bild wieder auf seinen Platz. "Schon ok", sagt Lio und lehnt im Türrahmen. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er die Wohnung betreten hatte. "Ich brauche unbedingt eine warme Dusche. Wir reden danach, ja?", er wirkt sehr müde und erschöpft. Ich nicke stumm und sehe ihm nach, wie er das Wohnzimmer verlässt. 



Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt