Kapitel 58

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(Maggy)

"Wir haben es gleich geschafft", flüstert Pepe mir zu und hält schützend den Arm um mich. 

Ich zittere am ganzen Körper. Das Klappern meiner Zähne ist so laut, dass ich mir Sorgen mache, sie könnten so auf uns aufmerksam werden. Gleichzeitig fühle ich mich taub, sodass ich nicht einmal bemerke, wir einer der Äste mein Gesicht streift. 

Pepe hatte sofort reagiert, als mir klar wurde, dass hier etwas nicht stimmte. Er hatte meine Wort weder in Frage gestellt, noch versucht, sie nachzuvollziehen. Er war aufgesprungen, hatte seine Waffe gezogen und binnen Sekunden hatten sie sich alle formiert. 

Hätte ich nur etwas länger gebraucht, um das zu realisieren, dann wären wir vermutlich tot. 

Wir hörten die quietschenden Reifen vor der Halle - und zwar von allen Seiten. Sie umzingelten uns und unser einziger Ausweg führte durch einen Kanaldeckel in der Mitte der Halle. Die Männer hoben den schweren gusseisernen Deckel an. Pepe sprang als erster runter und half mir dann, in den Schacht zu gelangen. Als sie zu dritt den schweren Deckel wieder über die Öffnung schoben, sprang die Tür auf und sie schossen ohne sich vorher umzusehen. 

Ich schrie auf, doch Pepe hielt mir den Mund zu. Dann setzten wir uns in Bewegung. Der Schacht war lang, kalt und vor allem stockdunkel. Die Dunkelheit legte sich mir schwer auf die Brust und das Atmen fiel mir schwer. Ich konzentrierte mich darauf, einen Fuß auf den anderen zu setzen, doch meine stockende Atmung war anscheinend so laut, dass Pepe stehen blieb, mir seine Hände auf die Schultern legte und versuchte, mich zu beruhigen. "Atme tief ein und wieder aus", sagte er als seine Augen zwischen meinen hin und her tanzten. 

Der Schacht führte uns schließlich in den angrenzenden Wald. 

Sie hatten bereits gemerkt, dass wir nicht mehr dort waren. Vermutlich folgte uns schon jemand durch den Schacht und wir hörten ihre Schreie, sobald wir wieder draußen waren. Sie rannten in den Wald, um uns zu finden. 

Und wir rannten, um nicht gefunden zu werden.

Ich hörte Pepe, wie er leise neben mir fluchte und je tiefer wir in den Wald liefen, desto dunkler wurde es. Er hob sein Handy in die Höhe, in der Hoffnung so besseren Empfang zu bekommen und bei dem Gedanken, dass uns niemand aus dieser Hölle holen würde, wurde mir schwindelig.

Pepe brachte uns über Umwege zurück an die Straße. An dieser Stelle war es noch abgelegener, noch gruseliger, doch wir konnten die Männer nicht mehr hören und das war das einzige, was in diesem Moment für mich zählte. 

"Wir werden parallel zur Straße laufen", verkündete er. Wir wechselten die Straßenseite, liefen dort in den Wald hinein. 

Nach einer halben Stunde spüre ich, wie meine Kräfte schwinden. Als hätte jemand Gewichte an meinen Armen und Beinen befestigt und ich müsste diese bei jeder Bewegung mitziehen. Das Adrenalin lässt also langsam nach... 

Ohne Adrenalin wird mir immer kälter und das Zittern verschlimmert sich. Pepe legt mir seine Jacke über die Schultern und stotternd bedanke ich mich. Sie ist warm und riecht nach Leder und Rauch. 

Es ist zu dunkel, um ihn wirklich zu sehen, doch sein Körper spannt sich nervös neben mir an. Immer wieder blickt er sich suchend um, wartet auf den Wagen, der uns hoffentlich bald erlöst.

Mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen und als wir ein Scheinwerferlicht vor uns entdecken, zucke ich zusammen. Instinktiv will ich mich verstecken, mich so klein wie möglich machen, doch Pepe läuft in Richtung Straße. 

"Das ist unser Taxi", seufzt er erleichtert. 

Mein Magen zieht sich zusammen, als nur Pepe und ich in den Wagen steigen. "Die anderen werden auch gleich abgeholt", versichert er mir und streicht mir über den Arm. "O-okay", zittere ich. 

Mit quietschenden Reifen fahren wir davon. 

"Hey Magdalena", lächelt der Fahrer und ich schaue irritiert in den Rückspiegel. Die Stimme kommt mir bekannt vor, doch es ist so dunkel, dass ich kaum etwas erkenne. Ich suche seine Augen darin und nach einem kurzen Blickkontakt, ziehe ich überrascht die Augenbrauen in die Höhe. 

"Nate?", frage ich ungläubig und er lacht laut los. "Überraschung" 

Ich schaue zu Pepe, der ebenfalls grinst und dann wieder zurück zu Lios Freund. "Was...", flüstere ich irritiert und bin wohl die einzige, die nicht weiß, was hier los ist. 

"Lio sollte ihr dringend unseren Stammbaum erklären", lacht er weiter und schaut dieses Mal zu Pepe. Ihren Stammbaum? 

"Du gehörst auch zu der Familie?", frage ich, als es mir langsam dämmert. 

"Korrekt. Ich weiß, ich sehe viel besser aus, deshalb bringt man mich nicht so schnell mit ihnen in Verbindung", witzelt er, was ihm eine knurrende Beleidigung von Pepe einbringt, der aber doch leicht darüber schmunzelt. 

Nate beruhigt mich durch seine lockere Art und lässt mich während der Fahrt fast vergessen, was gerade eigentlich geschehen ist. 

"Ist alles in Ordnung bei dir?", fragt er und mit einem sanften Unterton und ich nicke. "Pepe hat uns da rausgeholt", füge ich an und schaue zu ihm. Er sieht gehetzt aus, sein Kiefer wirkt angespannt und vermutlich gehen ihm gerade tausend Dinge durch den Kopf. 

"Klar, sonst hätte Lio...", beginnt Pepe, doch Nate unterbricht ihn mit einem strengen Geräusch. 

"Wo ist Lio?", frage ich und hoffe, er bringt uns sofort zu ihm. 

Nates Lippen verziehen sich zu einem schmalen Schlitz und er starrt nach vorne auf die Straße. "Er hat gerade noch zu tun", entgegnet er knapp und die plötzliche Stimmungsschwankung gefällt mir gar nicht. 

"Weiß er Bescheid?", frage ich, auch wenn ich die Antwort schon kenne. Nate nickt lediglich, während Pepe unruhig auf seinem Sitz herumrutscht. 

Er ist vermutlich sauer, extrem sauer auf uns alle. Ich will zu ihm, ihm zeigen dass es mir gut geht und ihm etwas von der Wut nehmen, die er wohl gerade spürt. 

Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe und schaue es dem Fenster in die Dunkelheit, froh darüber, nicht mehr dort draußen zu sein. 


Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt