Kapitel 60

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(Lio)

Ein nervöses Zittern bringt mich dazu, im Büro auf und ab zu laufen. Die Kippe in meiner Hand gerät dabei immer wieder in Vergessenheit. So lange bis ich dieses Verlangen in mir spüre und ich erneut kräftig daran ziehe. 

Ich zittere seit Tagen, habe mich daran gewöhnt - und auch daran es zu verstecken, wenn sie da ist. 

Die Tür wird aufgerissen und ich weiß genau, wer mit wütenden Schritten den Raum betritt. 

"Was fällt dir eigentlich ein?", brüllt er und stellt sich genau vor mich. Ich puste unbeeindruckt den Rauch aus meinen Lungen, lasse die Zigarette langsam sinken. 

"Ich beschleunige die Dinge, so wie du es wolltest, Vater", das letzte Wort spucke ich ihm regelrecht entgegen. 

Seit dem Magdalena zurück ist, habe ich kein Wort mit ihm gewechselt. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, ihm großartig aus dem Weg zu gehen, denn mein lieber Vater war verschwunden. 

Ich wusste, er würde zurückkommen, sobald er davon erfahren würde. 

"Ich war kurz davor, diese Scheiße zu klären und du...", er beendet seinen Satz nicht, lässt seiner Wut freien Lauf indem er ein Glas von dem Beistelltisch nimmt und es gegen die Wand wirft. 

Selten habe ich meinen Vater so wütend gesehen, noch nie zuvor hatte es in mir ein so befriedigendes Gefühl ausgelöst. Ich wollte ihn für das bestrafen, was er ihr angetan hatte - was er mir angetan hat. 

"Du hast so lange Zeit gehabt, um das zu klären", schnaube ich verächtlich. "Und als du gemerkt hast, dass du keine Chance hast, hast du mich dazu geholt, um hinter dir aufzuräumen" Ich blicke ihm tief in die Augen. "Und genau das tue ich jetzt" 

Er ballt wütend seine Hände zu Fäusten, sein Kiefer bebt. Ich würde zu gerne wissen, was ihn wütender macht: Dass ich die Dinge in die Hand nehme oder dass ich ihm dabei so ähnlich bin. 

Ich bin schlau genug, um das nicht zu leugnen. David ist ganz anders, er kommt so viel mehr nach unserer Mutter. Ich hingegen komme nach der verdorbenen Seite, Oakland hat sich von Geburt an in mir festgesetzt. 

Ben entfernt sich von mir, setzt sich auf seinen Stuhl und blickt nachdenklich in die Ferne. 

"Wie hat sie es herausgefunden?", fragt er schließlich. 

"Sie ist eben aufmerksam", antworte ich knapp. Sofort steigt eine beschützerische Wut in mir hoch. Er hat ihr genug angetan. Am liebsten wäre mir, er würde nie wieder über sie sprechen. 

"Wollen wir hoffen, dass sie recht behält", seine Augen suchen die meinen, "ansonsten hast du gerade einen Krieg angezettelt, den wir vermutlich nicht gewinnen können" 

Ich drücke die Überreste meiner Zigarette in einem benutzen Whiskey-Glas aus und stelle es auf den Beistelltisch, auf dem nun ein Kristallglas fehlt. 

Mit verschränkten Armen bleibe ich vor dem Schreibtisch stehen, schaue zu meinem Vater herab. 

"Sie hat unserem Unternehmen, das den Namen meiner Mutter trägt, weitaus mehr geholfen als du in den letzten Monaten", erinnere ich ihn. 

Wir starren uns an. 

In seinen Augen liegt Wut, die ich nur zu gut kenne. Wut darüber, dass ich recht habe. Und Wut darüber, dass er gerade vermutlich so etwas wie Reue empfindet. 

"Du wirst mir nie verzeihen, das weiß ich", sagt er und seine Stimme wird leiser. Ich schlucke schwer, überrascht von dem plötzlichen Umschwung. 

"Ich wusste von Anfang an, dass du so bist wie ich", seufzt er und lässt sich gegen die Stuhllehne fallen. 

"Ich bin nicht wie du", erwidere ich automatisch, was ihn zum Schmunzeln bringt. 

"Nein, zum Glück bist du nicht genau wie ich, aber du bist mir dennoch sehr ähnlich" Er mustert mich, sein Blick treibt ab in alte Erinnerungen und ich spüre, wie mich ein unschönes Gefühl innerlich überrollt. 

"Wenn du es besser machen willst, dann..." "Nein", unterbreche ich ihn. "Ich werde nicht abhauen. Du bist abgehauen... und wohin hat uns das gebracht? Es hat dich für immer verfolgt. Es wird Zeit, dass das jemand ein für alle Mal beendet" 

"Und du glaubst, dass man das wirklich beenden kann?", fragt er mit hochgezogener Augenbraue. "Dann bist du doch noch nicht so weit, wie ich dachte, Sohn" Er sagt es in dem selben Ton, in dem ich ihn anfangs angesprochen habe.

Ich presse meinen Kiefer fest zusammen, schaue auf den Mann herab, dem ich wie aus dem Gesicht geschnitten sehe. 

"Es übersteigt vielleicht deine Fähigkeiten, aber meine sicher nicht", antworte ich selbstsicher. 

Ben nickt anerkennend. "Das hoffe ich"

Ich drehe mich um, verlasse ohne ein weiteres Wort sein Büro und schließe unsanft die Tür hinter mir. Ich erlaube mir, die Augen für wenige Sekunden zu schließen und tief ein und wieder aus zu atmen. 

Das Zittern kehrt schneller zurück, als ich gehofft hatte. 

Ich ziehe die Lippen ein, lasse meinen Blick durch den Flur gleiten, während ich darüber nachdenke, ob ich es wirklich schaffen kann, das zu beenden, was mein Vater vor Jahren angefangen hat. 

Er hat sich Feinde gemacht, die sein Gesicht nie vergessen haben. 

Und mein Onkel, mein Namensgeber, der sich nie wirklich aus dieser Scheiße zurückgezogen hat, hat sie direkt zu uns geführt. 

Der einzige Mensch, dem ich gerade nicht weh tun will, ist sie. 

Seit dem sie zurück ist, ist sie anhänglich. Es hat ihr mehr zugesetzt, als sie mir zeigen möchte, doch ich spüre es mit jedem ihrer Blicke und mit jeder Berührung. Sie diskutiert über nichts, akzeptiert es, wenn ich sage, sie solle den Tag im Gästezimmer verbringen und genau das macht mir fast noch mehr Sorgen, als alles andere. 

Ich will nicht, dass sie sich in all dem hier verliert. Ich will nicht, dass es sie bricht und ich werde alles dafür tun, dass sie nie wieder Angst haben muss. Angst wegen uns, unserer Feinde... 

Dann mache ich mich auf den Weg in das verhasste Gästezimmer, in dem sie auf mich wartet. 

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt