Kapitel 32

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(Maggy)

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Dass Lio mich so selbstverständlich angelogen hatte, holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Die ganze Zeit starrte ich Löcher in die Luft und dachte darüber nach. Es ärgerte mich, dass ich nicht anders konnte, als ebenfalls darüber nachzudenken, ob sich dahinter eine andere Frau verbarg. Ich glaubte es eigentlich nicht, aber was wusste ich schon über ihn?


George reichte mir einige Akten und bat mich, sie mir genauestens anzusehen. „Hier sind eine Transaktionen, die falsch eingeordnet wurden.", erklärt er. „Okay, ich kümmere mich darum", antworte ich und ringe mir ein müdes Lächeln ab. Heute war wieder so ein Tag, an dem ich eine Tasse Kaffee brauchte. In der Küche traf ich Clara und wir redeten kurz über mein Praktikum und über Thanksgiving. „Und hast du auch mit deiner Familie gefeiert?" „Mhmh"' machte ich und nahm einen großen Schluck Kaffee.

Keiner der Ramirez-Familie war bisher aufgetaucht. Ich stürzte mich in die Unterlagen, die ich bekommen hatte. Ein paar Transaktionen waren offensichtlich falsch eingeordnet, dann gab es welche, bei denen ich genauestens aufpassen musste. Gar nicht so einfach mit akutem Schlafmangel. Als ich die letzte Akte öffne, steht vorne der Hinweis „Achtung: Priorität A. Akte nur für Befugte der Kategorie 1. Ich drehe mich zu George und will gerade etwas sagen, da sehe ich, dass er gar nicht an seinem Platz ist. „George hat einen Termin, er ist in zwei Stunden wieder da", erklärt mir eine Kollegin, die meinen irritierten Blick bemerkt hat. „Ah, danke", lächle ich.

Ich starre noch eine Weile auf die Akte, bis ich sie einfach öffne. Erst erschließt sich mir nicht, wieso sie eine andere Priorität hat als die Akten davor, doch auf der dritten Seite entdecke ich die erste Ungereimtheit. Je weiter ich umblättere, desto schlimmer wird es. Transaktionen von Politikern auf das Firmenkonto. Große Summen, die in Bar entwendet wurden und Restaurants, die monatliche Beträge überwiesen. „Das gibt es doch nicht", flüstere ich.

Voller Adrenalin stehe ich nach Feierabend vor Lios Tür. Er ist heute nicht auf der Arbeit erschienen und nachdem ich den ersten Schock über seine Lüge schwer verkraftet habe, gab mir der zweite den Rest. Ich höre Schritte und als er die Tür öffnet, schaut er mich überrascht an. „Hey", sagt er und lächelt. „Hey" Sein Lächeln verschwindet, als er realisiert, dass hier etwas nicht stimmt. Ich laufe an ihm vorbei in die Wohnung, horche ob noch jemand hier ist. „Was ist los?", fragt er aufgeregt. „Wir müssen reden"

Ich laufe in seinem Wohnzimmer auf und ab. „Kannst du bitte damit aufhören und mir sagen, was los ist?" Ich zittere am ganzen Körper und versuche mich zu beruhigen, doch es klappt einfach nicht. „Was macht ihr sonst noch so für Geschäfte?", frage ich und mein Blick fixiert ihn. Er lässt sich nichts anmerken, doch ich weiß, dass diese Frage ihn kalt erwischt. „Wovon redest du?", seine Stimme ist direkt eine Tonlage tiefer gerutscht. „Davon, dass euch Politiker bezahlen und Restaurants... oder dass mal eben so sechsstellige Beträge vom Firmenkonto in Bar abgehoben werden" Seine Muskeln spannen sich unwillkürlich an und er macht ein paar Schritte auf mich zu.

„Woher weißt du davon?", zischt er. Ich hole die Akte aus meiner Tasche und presse sie ihm gegen die Brust. „Woher hast du die?", fragt er doch ich antworte nicht. „Hast du wieder herumgeschnüffelt?", er erhebt seine Stimme, doch das ignoriere ich. „Ist das gerade dein größtes Problem?", frage ich streitlustig. Seine Nasenflügel beben, als er zu der Akte in seiner Hand schaut. „Und du warst gestern auch nicht mit den Jungs trainieren", sage ich nüchtern. „Wo warst du?"

„Spionierst du mir nach oder was?" Ich schnaube. „Nein, Lio. Ich weiß nicht, wie es in deiner Welt ist, aber in meiner kann es passieren, dass lügen sich von selbst aufdecken. Zum Beispiel wenn man jemandem wie Hunter plötzlich in der Bibliothek begegnet" Ich schreie ihn an. Das wollte ich eigentlich nicht, doch meine Wut und Verzweiflung nehmen überhand.

„Und was willst du jetzt tun?", zischt er und steht nun direkt vor mir. Er baut sich bedrohlich auf und sich schaue ihm direkt in die Augen. Die Sekunden fühlen sich an wie Minuten, keiner von uns bricht den Augenkontakt ab. „Gar nichts", sage ich in einem wesentlich ruhigeren Ton. Meine Antwort bringt ihn aus dem Konzept. „Was?", fragt er irritiert. „Ich habe keine Kopie dieser Akte falls du das denkst. Und da ich nicht glaube, dass George zu eurer Kategorie 1 an Befugten gehört, gebe ich sie dir persönlich zurück" Mein Blick ist immer noch wütend auf ihn gerichtet.

Er schüttelt verständnislos den Kopf. „Ich bin nicht blöd, wie du weißt. Ich habe natürlich von deiner Familie und dem Zusammenhang zu dem Clan in Oakland gehört", seufze ich. „Ach ja? Und war das ein Anreiz für dich? Stehst du auf sowas?", versucht er mich zu provozieren. „Ist es so schwer für dich zu akzeptieren, dass sich jemand einfach für dich um deinetwillen interessiert?" Ich wusste, dass dieser Satz seine Wirkung zeigen würde. Er nahm ihm den Wind aus den Segeln und er sah mich mit finsterer Miene an.

„Es ist deine Entscheidung. Du kannst mich wieder von dir wegstoßen oder du erklärst mir, was hier los ist und gibst uns damit eine Chance" Bevor sich meine Tränen ihren Weg bahnen können, nehme ich meine Tasche und laufe an ihm vorbei zur Tür. Als ich im Aufzug nach unten bin, kann ich sie nicht mehr stoppen.

Lio - Trust my Destiny / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt