42. Selaena

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Es hatte Sela den ganzen restlichen Tag gekostet herauszufinden, wohin der braune Drache geflohen war. Mit einem miesmutigen seufzen hatte Vaelah die Toten Rinder am Eingang seiner Höhle zurückgelassen und sich dann wieder in den Himmel erhoben.

Angelockt vom Geruch des Blutes hatte es nicht lange gedauert, bis der Drache aus der Höhle kam. Misstrauisch suchten seine gelben Augen den Himmel ab, ehe eine gewaltige Flamme auf die toten Tiere nieder ging und er sich begierig darauf stürzte. Da entdeckte er das Mädchen, welches weiter entfernt auf einem Stein saß und ihn beobachtete. Er stieß ein warnendes knurren aus, was sie jedoch nicht sehr zu Ängstigen schien.

Sein Knurren verstummte und er betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf. Sie erwiderte seinen Blick, ehe sie lächelnd aufstand und davon ging.

✶ ✶ ✶

»Wo bist du gewesen?«, wurde Selaena begrüßt als sie in ihre Gemächer eingetreten war und die Prinzessin vor ihrem Fenster erblickte, »ich warte seit Stunden.«

»Ich war mit Vaelah unterwegs, Prinzessin«, antwortete Selaena, doch sie spürte die Kälte darin.

»Es tut mir leid, was ich vorher gesagt habe«, kam es vorsichtig von Rhaenyra.

»Ihr seid die Prinzessin, ihr müsst euch nicht entschuldigen«, Sela sie sie mit verschränkten Armen an, »aber ich werde niemals vor euch kriechen und meinem Mund halten, nur weil ihr euch keine andere Meinung anhören wollt!«

Die Prinzessin lächelte etwas. »Das möchte ich auch nicht, von dir am aller wenigsten... du bist eine der wenigen, die mir die Wahrheit sagt und Zeit mit mir verbringt, ohne eine Gegenleistung zu wollen... und es tut mir leid, dass ich die Prinzessin habe heraushängen lassen.«

Selaena lachte etwas. »Strenggenommen will ich eine Gegenleistung«, misstrauisch verzog Rhaenyra die Stirn, »ich habe gesehen zu was Geheimnisse führen können also lass uns ehrlich zueinander sein. Ich möchte eine Freundin, der ich meine Meinung sagen kann und die mir zuhört, ohne dafür hingerichtet werden zu können!«

Rhaenyra runzelte die Stirn. »Das ist alles? Normalerweise verlangen die Menschen Titel oder sonst was... nicht mal, das ich dich zu einer Tochter der Velaryons mache?«

»Es ist nur ein Name«, entgegnete Selaena, »ich bin Laenor und Laena auch treu, wenn ich nicht den Namen ihres Hauses trage, und sie sind es mir. Loyalität beruht auf Vertrauen.«

Ein Schmunzeln erschien auf Rhaenyras Gesicht als sie meinte: »Na gut, dann lass uns einen Pakt schwören!« Feierlich hob sie ihr den kleinen Finger hin, wie damals Selaena als sie versprach ihre Geheimnisse zu bewahren: »Auf das wir einander Vertrauen können, uns in guten und in schlechten Zeiten beistehen und jeder dem anderen zuhört, ob er es hören will oder nicht...«

»Wir tun aber nicht heiraten, oder?«, warf Selaena grinsend dazwischen und Rhaenyra verdrehte die Augen. »Psst! Wichtige Ansagen der Prinzessin werden nicht unterbrochen«, bemerkte sie mit einem Augenzwinkern.

»Verzeiht eure Hoheit! Fahrt bitte mit eurer Ansprache fort!«

»Du hast mich rausgebracht«, entgegnete sie.

»Dann sagen wir einfach: Auf Freundschaft und Treue!«

Rhaenyra zog die Augenbraue hoch. »Wer will jetzt wen heiraten?« Dann brachen die beiden in Lachen aus.

»Ich möchte dich noch etwas fragen«, fing Rhaenyra schließlich zögernd an und Selaena sah sie aufmerksam an, »warum hast du diesen wilden Drachen in Schutz genommen?«

Selaena blickte nachdenklich aus dem Fenster und beobachtete die Menschen, welche geschäftig umherrannten – ehe sie den Blick hob und Rhaenyra ansah: »Drachen geben uns nahezu unbegrenzte Macht. Eine Macht, über die nur wenige Menschen verfügen und die Furcht und Schrecken über ein ganzes Land bringen kann.

Drachen sind es, die einen besonders machen, solange sie einem „dienen". Sie müssen es nicht, aber sie tun es. Sie stehen uns bei bis zum Ende.

Wir fühlen uns unbesiegbar und werden nicht selten überheblich, dabei vergessen wir, wie klein wir eigentlich sind. Es sind intelligente Wesen, manche sagen, dass sie vielleicht sogar schlauer sind als Menschen... sie denken eigenständig und haben einen eigenen Willen.

In dem Augenblick, wo das was wir wollen und das was sie wollen, nicht übereinstimmt – wird unser Wille unbedeutend. Wir könnten sie nicht aufhalten.«

»Worauf willst du hinaus?«

»In deiner Geschichte bist du die Retterin der Menschen, glaubst du, Schafsdieb hätte dasselbe von dir gedacht?« Sie bemerkte ihren ertappten Gesichtsausdruck als sie fortfuhr: » Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß. Gut und böse gehen meistens übergangslos ineinander über – der wo in der einen Geschichte gut ist, kann aus einer anderen Perspektive abgrundtief böse sein.

Unsere Drachen haben mehr Menschenleben auf dem Gewissen als die drei wilden Drachen zusammen. Hast du dich nie gefragt warum?«

Rhaenyra schüttelte den Kopf.

»Weil sie die Menschen in Ruhe lassen«, antwortete Selaena schlicht.

»Das ist alles?«

»Wir sollten ihnen keinen Grund geben, daran etwas zu ändern. Ein Drache, der angegriffen wird, fängt an sich zu verteidigen. Solange unsere Drachen bei uns sind, haben wir nichts zu befürchten... doch die Dörfer und Städte um uns herum, sind ihnen gegenüber schutzlos, wenn sie kommen sollten und wir nicht dort sind.

Nur weil wir etwas nicht kontrollieren können, heißt es nicht, dass es böse ist oder uns schadet. Es gibt Momente, wo man für sich selbst einstehen muss – doch andere erfordern etwas, was vielleicht noch schwieriger ist: Auf das zu verzichten, was man selbst will und ein Kompromiss eingehen.«

Nachdenklich sah Rhaenyra sie an als sie schließlich leise zustimmte.

»Was also war dein Grund zu denken, einen wilden Drachen anzugreifen, wäre für dich nützlich?«

»Ich dachte, wenn ich dadurch die Gunst des gemeinen Volkes gewinne – würden sie mich als Erbin akzeptieren.«

»Tun sie das denn nicht?«

»Damals, als ich mit Daemon in Flochloch war, habe ich gehört wie missachtend sie über mich sprachen. Ich wollte nur akzeptiert werden und ich dachte, wenn ich sie vor den wilden Drachen beschütze...«

»Würden sie dir dankbar sein«, beendete Selaena den Satz, »und waren sie es?«

»Selbst wenn nicht, hätten sie mir kaum die Wahrheit gesagt.«

»Den Drachen zu trotzen, mag vielleicht heldenhaft erscheinen und ist sicher der schnellste Weg, Anerkennung zu bekommen, aber zu welchem Preis? Mindestens drei tote Drachen und die Menschen, welche sie mit in ihre Gräber nehmen würden.

Menschen sollten Drachen nicht gegeneinander verwenden.«

»Was wäre dein Vorschlag?«

»Geh zu den Menschen, schau wie sie Leben, was sie beschäftigt, was sie bewegt, dann kannst du ihnen wirklich helfen... es ist ein Prozess, der Zeit und Durchhaltevermögen benötigt.«

Aus Asche zu FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt